Seit 25 Jahren gibt es die Stuttgarter Kantorei, geleitet von Kay Johannsen. Das wird jetzt groß gefeiert vom 28. bis 30. Juni rund um die Stiftskirche.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Seit 25 Jahren gibt es die Stuttgarter Kantorei, geleitet von Kay Johannsen. Das wird jetzt groß gefeiert vom 28. bis 30. Juni rund um die Stiftskirche.

 

Herr Johannsen, zum Stiftsmusikfest gibt es zwischen dem 28. und 30. Juni in und um die Stiftskirche herum insgesamt 58 Veranstaltungen. Falls das jemand will, könnte diese Person eigentlich alle Konzerte besuchen oder muss eine Auswahl getroffen werden?

Wer will, kann alle Programmpunkte erleben. Aber das erfordert schon ein genaueres Studium des Programms. Viel Zeit zwischen Veranstaltungen bleibt dann jedenfalls nicht, aber einige Dinge wie Führungen werden ja auch mehrfach an den drei Tagen angeboten. Ich selbst kann leider nicht alle Konzerte erleben, ich muss ja proben.

Als Veranstalter kennen Sie aber ja auch schon alle eingeladenen Ensembles.

Schon. Wobei: Manche kenne ich sehr gut, mit denen wir schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Andere kommen zum ersten Mal nach Stuttgart., Aber natürlich haben wir uns da dann schon im Vorfeld genau um- und hingehört.

Konnten Sie eigentlich alle verpflichten, die Sie sich für solch eine Jubiläumsveranstaltung gewünscht haben?

Das ist immer so eine Sache. Musik machen ist ja ein dynamischer Prozess. Das heißt, manche sind heute ganz wo anders als sie vor zwei oder drei Jahren waren. Bei einigen geht der Erfolg dann durch die Decke, die kommen mit dem Spielen nicht mehr hinterher. Einige kommen dann nicht mehr. Andere kommen dennoch, weil sie die Akustik und das Publikum hier immer noch als etwas ganz besonderes empfinden.

Was haben Sie zum Jubiläumsfest als etwas Besonderes nach Stuttgart geholt, was sonst nicht möglich gewesen wäre?

Das ist etwa am Freitag um 19 Uhr „Bach: Vokal & Tanz“ in der Stiftskirche, eine Choreografie des Amerikaners Stephen Shropshire zur Bach-Kantate „Ich habe genug“. So ein Abend mit Tanz ist organisatorisch sehr aufwendig, auch in finanzieller Hinsicht. Das könnten wir sonst nicht leisten. Und die Verbindung von Tanz und speziell von geistlicher Musik war in der Vergangenheit nicht immer sehr glücklich. Aber jetzt mit dieser Kooperation mit dem Colours International Dance Festival Stuttgart im Theaterhaus wird das ein sehr gutes Zusammenwirken, auch mit dem Bariton Benjamin Appl, der Violonisten Christine Busch und Kensuke Ohira an der Orgel. Dazu kommen dann noch die Stuttgarter Kantorei und das Ensemble Stiftsbarock unter meiner Leitung. Das ist das Niveau, das wir haben wollen.

Zum ersten Mal wurde für die Stiftskirche ein Kompositionswettbewerb für Orgelmusik ausgeschrieben. Was ist zu erwarten bei den Uraufführungen am Samstag um zehn Uhr?

Das war ein sehr aufwendiger Prozess, die Jury hat es da sehr schwer gehabt. Die Vorgabe war ja ein Solostück von maximal zehn Minuten, basierend auf einer Grundmelodie. Es gab etwa 45 Einsendungen, die meine Vorstellungen übertroffen haben, zumal es da ja schon auch Erwartungen gibt aufgrund unserer vielen Orgelkonzerte. Das wird ein sehr abwechslungsreiches Konzert, da wird unsere Mühleisen-Orgel ausgereizt. Aber die ist ja auch für alle Spieltechniken sehr gut ausgerüstet. Das zeigen auch unsere Erfahrungen aus dem Orgelsommer, dass die Versuchung groß ist, möglichst immer alles auszureizen. Da mussten wir eher darauf hinwirken, dass weniger auch mal mehr sein kann.

Auf was sind Sie besonders gespannt?

Mein Herzensprojekt ist „Wie vor 1000 Jahren – Gesänge in den Mauern der Urkirche“. Das sind exklusive Konzerte für nur zwölf Zuhörer im Vorraum der Familiengruft des Hauses Württemberg unter der Stiftskirche, also bei den 1000 Jahre alten Begrenzungsmauern der Urkirche in Stuttgart. Anne-Kathryn Olsen (Sopran) singt Gesänge aus dem Spätmittelalter, begleitet von Guillermo Perez auf dem Organetto, ein auf dem Arm getragenes Instrument. Das ist eine Veranstaltung, die nur in einem Rahmen wie solch ein Festival stattfinden kann. Ähnliches gilt für das Wandelkonzert „Die Zeit hören“ im Alten Schloss. Dieses Gebäude hat so viele Räume und Ecken, die es zu entdecken gilt. Angelika Luz, Professorin hier an der Musikhochschule, hat immer so viele Ideen, wie sie mit ihren Studenten originell und ideenreich auf solche Dinge aufmerksam machen kann. Dieses Mal werden etwa Ausschnitte aus „Das Kapital“ von Karl Marx mit Spieluhren konfrontiert, in der Uhrensammlung geben 13 Metronome ein Konzert und römische Kaiserköpfe werden mit Gegenwarts-Sprachmusik von Georges Aspergis konfrontiert. Das ist für uns immer eine große Freude, für beide Veranstaltungen gibt es mehrere Aufführungstermine.

Und dann stehen am Samstag von 18.45 Uhr an 150 Menschen rund um die Stiftskirche, die gleichzeitig alle Psalmgebete der Bibel in ihrer Heimatsprache sprechend vortragen. Ist das der Event-Beitrag dieses Musikfests?

Wir machen hier ein geistliches Musikfest, das ist der Rahmen, in dem unsere Ideen entstehen. Und geistliche Musik entfaltet sich schon eher besser in geschlossenen Räumen. Deshalb konnte es auch nicht unser Ding sein, irgendeinen Chor draußen aufzustellen, damit im Freien auch etwas geboten ist. Aber dies hier fügt sich gut: Die 150 Psalmgebete sind die wichtigste Text- und Inspirationsquelle aller Kirchenkomponisten. Und in Stuttgart werden viele Sprachen gesprochen, viele wenden sich hier jetzt wieder neu dem Glauben zu, lassen sich nachträglich oder nochmals taufen, auch bei uns in der Stiftskirche. Da wollten wir schon einen entsprechenden Akzent setzen. Draußen gibt es übrigens noch Auftritte von verschiedenen Fanfaren-Ensembles. Und wir zeigen, dass das Glockenspiel im Turm des Rathauses auch live gespielt werden kann

Essen aus Syrien gibt es im Rahmen der Veranstaltung „Die Stimme Gottes – Ein Mittagsmahl für alle Sinne“ am Samstag um 12 Uhr in der Sakristei der Schlosskirche. Wie kam es dazu?

Da ist Platz für eine 40-köpfige Tafelrunde. Für die Küche ist Kamiran Mahmud zuständig, der auch das Tempus betreibt beim Haus der Geschichte. Hinzu kommen noch ein Sänger, eine Tänzerin, ein Pianist und eine Theologin. Dieses interkulturelle Zusammenspiel von Kunst und Kulinarik steht für unseren erweiterten Gemeindebegriff.

Die Stuttgarter Innenstadt wird immer beliebter als Veranstaltungsort. Eine Woche nach dem Stiftsmusikfest beispielsweise kommt Jazz Open, bespielt unter anderem den Schlossplatz und das Alte Schloss. Und gleich danach geht es weiter mit anderen Veranstaltungen. War da überhaupt noch Platz im Veranstaltungskalender für das Stiftsmusikfest?

Wir haben den Termin natürlich schon sehr frühzeitig gebucht. Aber wir haben uns da auch nie Sorgen um den Publikumszuspruch bei uns gemacht. Das Stuttgarter Publikum hat doch sehr verschiedene Interessen, da muss man sich keine Sorgen machen als Veranstalter. Die Qualität muss freilich stimmen, das wird hier schon erwartet. Aber wir müssen keinen Rückgang beim Publikumsinteresse beklagen. Das Gegenteil ist der Fall etwa bei der Stunde der Kirchenmusik.

In Stuttgart kümmert sich auch die Bachakademie seit Jahrzehnten um die Pflege der Musik von Johann Sebastian Bach. Wie hat sich das Verhältnis zu dieser Institution entwickelt, vor allem seit dem Rückzug des Gründers und langjährigen Leiters Helmuth Rilling im Mai 2013?

Unter Rilling war die Bindung sehr eng: Die Bachakademie hat regelmäßig Konzerte in der Stiftskirche veranstaltet, unsere Ensembles sind regelmäßig beim Musikfest der Bachakademie aufgetreten. Jetzt, unter Hans-Christoph Rademann, findet wieder eine Annäherung statt. Das klassische Bachakademie-Publikum kommt lieber in die Stiftskirche, um Kantaten zu hören, als in die Liederhalle. Dieses Publikum ist eben etwas traditionsverbundener. Und da haben wir eine große Schnittmenge, insofern sind viele froh über unsere engere Zusammenarbeit. Unser Stammpublikum ist halt nicht so hochpreisig orientiert.