In der ganzen Stadt ist am Wochenende ausgelassen gefeiert worden: im Bohnenviertel, im Osten, auf dem Marienplatz, auf dem CSD-Sommerfest und in der Villa Reitzenstein. Auch gelegentliche Regenschauern taten der guten Laune keinen Abbruch.

Stuttgart - Gleich wird’s kuschlig“, prognostiziert Stefan Reger mit einem kritisch-prüfenden Blick gen Himmel. Schnell schnappt er seine Jacke und sichert sich einen Platz an der überdachten Theke des Getränkewagens. Es dauert keine zwei Minuten, da ist der 32-Jährige von dicht an dicht gedrängten Menschen umringt. Der Himmel hat am frühen Samstagabend ein weiteres Mal seine Schleusen geöffnet und den Besuchern des Marienplatzfestes eine kräftige Dusche verpasst. Diesmal ist es aber nicht ganz so dramatisch wie am Nachmittag. Da war das Nass so heftig herniedergeprasselt, dass schließlich selbst die Bühnentechnik für eine knappe halbe Stunde ihren Dienst versagte.

 

Die Organisatoren und Besucher des Marienplatzfestes nehmen die Wetterkapriolen gelassen. „Da kommt man wenigstens mit anderen Menschen ins Gespräch“, sagt Stefan Reger, der die Gunst der Stunde dazu nutzt, um zwei durchnässten jungen Damen einen Drink zu spendieren. Die nehmen die Einladung des sympathischen Mannes gerne an. Auch als sich die Wolken längst verzogen und wieder verhaltenem Himmelblau Platz gemacht haben, ist Reger noch mit den beiden Frauen im Dialog. Sie reden, lachen und ziehen am Ende sogar gemeinsam um auf eine der Paletteninseln, die den Besuchern an den drei Festtagen dazu dienen, um sich gemütlich auf dem Platz niederzulassen und den abwechslungsreichen Darbietungen auf der Bühne zu folgen.

Beim Bohnenviertelfest wird niemandem kalt

Nur wenige hundert Meter weiter, im Bohnenviertel, lassen sich die Besucher vom Himmelsnass ebenfalls nicht ins heimische Wohnzimmer schicken. Sie trotzen dem Schauer und werden am Ende mit einem trockenen Restabend belohnt. Dieser ist allerdings nicht von sommerlicher Wärme geprägt. Die Caipirinhas und die Viertele schmecken wie die vielfältigen Speiseangebote trotzdem. Auch das Lauschen von, mal live gespielter Rockmusik, mal unplugged präsentiertem Gitarrenfolk und mal aus der Konserve serviertem Reggae macht Spaß. „Schade ist nur, dass es nach dem Regen vom Boden her sehr kühl ist“, sagt Marianne Scherer. Sie zieht mit drei Freundinnen durch die Gassen und hat sich zwischendurch einen Coffee-To-Go geleistet – „damit es wenigstens ein bisschen warm wird“. Die vier Frauen sind auch froh, ihre Jacken mitgenommen zu haben. „Als wir los sind, war es noch richtig warm und ich habe lange gezögert, ob ich die Strickjacke mitnehmen soll“, sagt Christina Murat und ergänzt: „Jetzt bin ich doch richtig froh, sie mitgenommen zu haben.“ Wirklich kalt wird es in dem dichten Gedränge, das im Bohnenviertel herrscht, aber niemandem. Bis zum Schluss wandeln Tausende durch die Straßen und Gassen und vergnügen sich bei akustischen Genüssen und kulinarischen Leckereien, die an allen Ecken und Enden angeboten und gut gelaunt goutiert werden.

Der Ministerpräsident lädt ein

In der Villa Reitzenstein, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, ist die Vielfalt nicht ganz so groß. Dennoch erweist sich der Tag der offenen Tür zum 60-jährigen Bestehen des Landes als ein echter Besuchermagnet. Mehr als 4000 Menschen strömen laut dem Staatsministerium durch das Zentrum der baden-württembergischen Macht und nehmen das Areal mit großem Interesse in Augenschein. Auch der Ministerpräsident mischt sich am späten Nachmittag unters Publikum, sucht das Gespräch mit den Gästen und geizt auch nicht mit Autogrammen. Dabei freut es die Eltern vieler Kinder, dass der erste Mann im Land besonders dem Nachwuchs auf Augenhöhe begegnet. Immer wieder geht der Ministerpräsident in die Knie, wenn er die großzügig zum Landesjubiläum verteilten Bälle oder Prospekte signiert, die ihm die Kinder freudig entgegenstrecken. „Ich habe mich sehr über die zahlreichen kleinen und großen ,Staatsgäste’ gefreut, die jetzt wissen, wo das Kabinett tagt, Landesgesetze entstehen oder ich meine Mittagspause verbringe“, so Kretschmann, der den Tag der offenen Tür und den direkten Dialog mit den Bürgern als „Politik des Gehörtwerdens in ihrer besten Form“ wertet.

Vor und in der Villa Reitzenstein ist dabei zeitweise Schlangestehen angesagt. Vor allem vor dem Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten warten viele Besucher an diesem Nachmittag geduldig auf Einlass, während im danebenliegenden Kabinettssaal Mitglieder der Regierung davon berichten, wie ihre Arbeit aussieht, wie die dienstäglichen Kabinettssitzungen ablaufen und was vor und nach den Sitzungen so alles im Hintergrund geschieht.

Gut besucht war das CSD-Sommerfest

Im Stuttgarter Osten lockt aber nicht nur die Villa Reitzenstein zum Besuch. Auch auf dem Berger Festplatz im unteren Schlossgarten herrscht reges Treiben. Erstmals findet hier ein CSD-Sommerfest statt – und nach dem Erfolg der Premiere ist es wahrscheinlich auch nicht das letzte. Christoph Michl, der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Christopher Street Day Stuttgart ist begeistert, wie viele Menschen der Einladung zu dem Fest gefolgt sind und gemeinsam einen entspannten Tag verbringen. Doch es ist längst nicht nur Party angesagt. Der Berliner Unternehmer und CSD-Schirmherr Harald Christ nimmt wie Michl die Gelegenheit wahr, immer wieder darauf zu verweisen, warum der öffentliche Kampf um die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben noch immer nicht abgeschlossen ist und sie in diesem Jahr unter dem Motto Gleichbeschäftigung vor allem für mehr Toleranz gegenüber sexuell anders orientierten Menschen kämpfen. Während im Festzelt Musik für gute Laune sorgt, wird draußen an den Infoständen verschiedener Organisationen mitunter heftig diskutiert. „Es ist toll, dass wir mit unserem Fest ein breites Publikum erreichen“, sagt Christoph Michl, der sich vorstellen kann, das Fest im kommenden Jahr auf zwei Tage auszudehnen.

Über mangelnde Festlaune brauchten sich auch die Initiatoren der Langen-Ost-Nacht nicht beschweren. Michael Harnisch, der stellvertretende Vorsitzende des Handels- und Gewerbevereins, ist wie die Vertreter der beteiligten Vereine und Organisationen glücklich darüber, dass die Veranstaltung wieder „ein Fest der Generationen“ ist. Jung und Alt schlendert gemütlich über die Gablenberger Hauptstraße, genießt dabei internationale Gaumenfreuden und lässt sich von den Darbietungen auf den diversen Bühnen in den Bann ziehen. „Das besondere an der langen Ost-Nacht ist, dass für jeden etwas dabei ist“, sagt Harnisch. Dies sehen Roland Hartmann und Carlo Schmidt von den Grünen nicht anders. Erstmals ist die Partei mit einem eigenen Stand dabei und nutzt die Gelegenheit, mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen. „Es geht hier aber nicht um Parteipolitik“, sagen die beiden Ostler. Vielmehr wolle man von den Besuchern mit Karten und im direkten Gespräch erfahren, was im Osten der Landeshauptstadt und insbesondere an der Gablenberger Hauptstraße die Menschen stört. „Der Verkehr ärgert viele Bürger hier, die Entwicklung der Geschäfte und das Fehlen von Kneipen, beispielsweise gegenüber dem Westen“, so das erste Resümee von Hartmann und Schmidt.