Ein Gesetz für einen geordneten Übergang soll an diesem Mittwoch vom Kabinett verabschiedet werden. Doch die Regierung sorgt auch bereits für den Ernstfall gescheiterter EU-Austrittsverhandlungen vor.

Berlin - Angesichts der festgefahrenen Brexit-Verhandlungen hat die Bundesregierung begonnen, sich auch auf das Szenario eines ungeordneten britschen EU-Austritts im nächsten Frühjahr vorzubereiten. „Die Bundesregierung ist natürlich an einem geregelten Ausstieg Großbritanniens interessiert – gleichwohl ist man klug beraten, sich auch für den Fall zu wappnen, dass dies nicht gelingt“, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums unserer Zeitung. „Die Bundesregierung bereitet sich auf alle Möglichkeiten des Austritts vor – geregelt oder ungeregelt“, hieß es am Dienstag aus dem Auswärtigen Amt. Das betreffe „eventuell nötige gesetzgeberische Maßnahmen, aber auch beispielsweise die Einstellung und Ausbildung zusätzlichen Personals, etwa im Zollbereich“.

 

Die Regierung folgt damit einem Aufruf der EU-Kommission, die die Mitgliedstaaten bereits im Juli dazu aufgefordert hatte, sich auf alle möglichen Szenarien einzustellen. An diesem Mittwoch will das Kabinett ein erstes deutsches Brexit-Gesetz verabschieden, was bereits auf den immer knapper werdenden Zeitplan schließen lässt. Das „Brexit-Übergangsgesetz“ steht dabei für den zweigleisigen Ansatz der Regierung, die weiter auf eine Einigung hofft. Damit soll nach dem Austritt Rechtsklarheit für die Übergangsphase bis Ende 2020 geschaffen werden – damit britische Bürger und Unternehmen in dieser Zeit noch keine Nachteile erleiden.

Gleichzeitig hat das Justizministerium gerade den Entwurf für ein zweites Gesetz in Zusammenhang mit dem Brexit vorgelegt, damit Unternehmen mit der britischen Rechtsform einer „Ltd“ auch weiterhin in Deutschland tätig sein können. „Die Regelungen“, so ein Ministeriumssprecher im Hinblick auf die laufenden Vorbereitungsarbeiten der Regierung, „kommen unabhängig davon zum Tragen, ob es im Rahmen der Brexit-Verhandlungen zu einem Austrittsübereinkommen mit einer Übergangsfrist kommt.“ Im letzteren Fall hätten die Unternehmen lediglich mehr Zeit, um die Umwandlung der Rechtsform einzuleiten.

Auch in der Bundesregierung wächst die Skepsis

In der Unionsfraktion wird ebenfalls bestätigt, dass „die Ministerien an Vorschlägen für diverse Beschlüsse arbeiten, die wir bei einem ungeregelten Austritt brauchen werden“. Noch jedoch halte man diese Vorbereitungsarbeiten unter Verschluss, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass der größte EU-Mitgliedstaat eine Verhandlungslösung mit London für immer unwahrscheinlicher hält.

Die zunehmende Skepsis spiegelt sich freilich in der Aussage von Florian Hahn, dem europapolitischen Sprecher der größten Regierungsfraktion von CDU und CSU: „Im Moment sieht es nicht so aus, als wenn zu zentralen Austrittsfragen wie der von allen Seiten gewünschten Vermeidung einer harten Grenze auf der irischen Insel demnächst eine tragfähige Lösung gefunden wird.“ Aus der Sackgasse werde man „nur noch dann rechtzeitig herausfinden, wenn die Briten endlich in der Realität ankommen und insbesondere die Unteilbarkeit der vier Grundfreiheiten des EU-Binnenmarkts akzeptieren“. Weil London weiter auf Branchenlösungen setzt, die sich damit nicht vertragen, sei es Hahn zufolge „den Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals dringend anzuraten, sich auch auf den Ernstfall eines ungeordneten EU-Austritts Großbritanniens Ende März 2019 vorzubereiten“. Die stellvertretende Unionsfraktionschefin Katja Leikert, ebenfalls zuständig für die Europapolitik, klingt auf den ersten Blick etwas optimistischer: „Ich hoffe und erwarte, dass die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden.“ Aber auch sie räumt ein, dass nun auch anderweitig geplant werden muss: „Natürlich müssen sich die EU und die Mitgliedstaaten, übrigens auch Bürger und Unternehmen, auch auf ein Scheitern vorbereiten.“

So ähnlich hat das Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vergangene Woche bei einem Auftritt vor Bankern in Frankfurt gesagt. Der für Europafragen zuständige SPD-Fraktionsvize Achim Post hält es ebenfalls für „wichtig, dass sich die EU für alle Szenarien wappnet“. Vorrangig müsse es in den nächsten Wochen allerdings darum gehen, alle Spielräume zu nutzen, um zu konstruktiven Lösungen zu kommen: „An einem unorganisierten Brexit kann niemand ein Interesse haben.“

Grüne und Linke wollen Verhandlungsphase verlängern

Die eher zurückhaltende Kommunikation der Regierung in Bezug auf einen möglichen harten Brexit hält die FDP derweil für einen Fehler. „Die Bundesregierung muss endlich verstehen, dass man den Brexit nicht aussitzen kann, sondern aktiv die Interessen der europäischen und deutschen Bürger und Unternehmen verteidigen muss – das heißt auch: Vorbereitung auf den Ernstfall „No Deal“, meint der Europaexperte der Liberalen, Michael Link: „Sowohl die britische als auch die französische Regierung hat bereits mit Informationskampagnen für Wirtschaft und Bevölkerung reagiert, hierzulande ist bisher nichts passiert.“

Grüne und Linke wollen angesichts der stockenden Gespräche die Verhandlungsphase verlängern. „Wir brauchen ein ausbalanciertes und solides Austrittsabkommen“, sagte die Grünen-Europapolitikerin Franziska Brantner: „Wenn man dafür mehr Zeit braucht, muss man den Verhandlungszeitraum verlängern.“ Ihr Linken-Kollege Andrej Hunko fordert dies ebenfalls, da selbst „EU-Verhandlungsführer Michel Barnier die Chancen für eine einvernehmliche Lösung in den kommenden Monaten nur geringfügig höher einschätzt als die Möglichkeit des Scheiterns der Gespräche“: „Ein chaotischer ,hard brexit‘ wäre nämlich auf beiden Seiten des Kanals mit vielen sozialen Härten verbunden.“

Die AfD dagegen bezeichnet die Prognosen für den Fall eines ungeordneten EU-Ausstiegs als „Teil einer mühevoll aufrechterhaltenen Drohkulisse, um die Briten am Verhandlungstisch festzuhalten“, so ihr europapolitischer Sprecher Harald Weyel. Er bezeichnete Verhandlungen, die den Briten den Ausstieg so schwer wie möglich machten, um Nachahmungstäter abzuschrecken, als „Farce“. Die Alternative dazu sei die Rückkehr der EU zu einem losen europäischen Wirtschaftsraum mit Welthandelsregeln: „Aber diese Lösung“, so Weyel, „fürchtet das EU-Establishment wie der Teufel das Weihwasser.“