Stücke von Claude Vivier, Rued Langgaard und Rupert Huber prägten den „Sommer in Stuttgart“.

Stuttgart - Vor vier Monaten, während des Festivals Eclat, lagen bunte Postkarten auf den Tischen im Foyer des Stuttgarter Theaterhauses: Einen neuen Namen sollte das kleine Geschwisterchen von Stuttgarts großem Neue-Musik-Ereignis bekommen, und als Preis für den besten Vorschlag wurden Freikarten versprochen. Das Ergebnis: Der bunte Reigen an Konzerten, den an diesem Wochenende die Akademie Schloss Solitude, Musik der Jahrhunderte, der SWR, das Stuttgarter Kammerorchester, das Ensemble Ascolta und die Musikhochschule veranstalteten, trägt weiterhin den etwas biederen Namen „Der Sommer in Stuttgart“. Vielleicht ist das aber auch nicht anders möglich bei einem Festival, das keine gemeinsame Idee hat, sondern Unterschiedliches einfach aneinanderreiht – sozusagen als Klang gewordenes Picknick im Grünen, zu dem jeder Gast etwas Leckeres mitbringt.

 

Für die Hauptspeise fühlte sich am Samstagabend der SWR verantwortlich. Zu hören waren – unter dem Reihentitel „JetztMusik“, der an diesem Abend nicht wirklich passte, Werke zweier eigenartiger Einzelgänger des 20. Jahrhunderts sowie fünf Orchesterlieder Kaija Saariahos („Chateau de l’ame“), in denen es um Hinduismus, Heilungsriten und um die Liebe geht. Die Texte waren im Programmheft leider nicht abgedruckt, aber Lini Gong sang mit klar geführtem Sopran und großem Ausdruckswillen, und das SWR-Symphonieorchester wie auch das vor allem dekorativ geforderte SWR-Vokalensemble erwiesen sich als zuverlässige Zuarbeiter eines nach bekannter Rezeptur hergestellten Schönen. Hoffnung auf Unerwartetes durfte sich hier indes niemand machen. Anders gesagt: Man langweilt sich.

Wiederentdeckenswert: Rued Langgaards „Sphärenmusik“

Das passiert bei Rued Langgaards „Sphärenmusik“ nicht. Dafür füllt dieses 1918 entstandene Werk auf zu interessante Weise den Raum: Es ist in ein Haupt- und ein (hinter den Zuhörern aufgestelltes) kleines Zweitorchester aufgeteilt, und klanglich spreizt es sich ebenfalls zwischen tiefen Bläsern und Pauken auf der einen Seite und hohen Violinen und Piccoloflöten auf der anderen – als wolle der Komponist Himmel und Erde miteinander verbinden. Am erstaunlichsten sind jedoch die statischen (Streicher-)Tremolo-Flächen, die Langgaard hier ganz ähnlich auf- und abwärts schiebt wie später György Ligeti. Immer wieder dieselben Motive werden eher aneinander gereiht als miteinander verbunden, und obwohl hier nichts streitet und nichts fortschreitet, steckt das Stück (nicht nur beim „Do-Re-Mi-Fa-Sol-La“ des Chores, das eben nicht den Tönen der Solmisationssilben entspricht) voller Stachel und Überraschungen. Sogar der Deckel des Flügels ist – wohl erstmals in der Musikgeschichte – abmontiert, sodass dessen Spieler direkt in die Saiten greifen kann.

Unerwartetes ist auch von Claude Viviers „Siddhartha“ zu sagen, einer freien, raffiniert instrumentierten Fantasie über Hermann Hesses Roman, die das Orchester oft in kleine kammermusikalischen Gruppen sortiert. „Nicht der Komponist bestimmt, was zu schreiben ist, sondern uns unbekannte . . Kräfte“, zitiert das Programmheft den früh verstorbenen Kanadier, und wer das liest, mag zurückdenken an den Abend zuvor, an dem Rupert Huber die Aufführung seines „Eliá“ leitete. „Musikalische Installation“ nennt Huber das Werk; man könnte es auch als meditative Improvisation bezeichnen.