Kultur: Stefan Kister (kir)

In einem Nebenraum schraubt unterdessen das Fotografenduo Frank Bayh und Steff Rosenberger-Ochs schon einmal die Gesichter von Festivalbesuchern auf Körper ihrer Wahl: tätowierte oder anabolikagestählte Luxusleiber beiderlei Geschlechts, die ganz im Sinne Meineckes und Steideles vornehmlich in kreuzweiser Zugehörigkeit montiert werden. Bisweilen sogar mit Blick ins Tierreich.

 

Das gilt auch für die Verwandlungen des falschen, aus Bayern stammenden Rockefellers, wie sie die Künstlerin Sara-Lena Maierhofer in ihrer Ausstellung „Dear Clark“ erzählt. Er lebte unter verschiedenen Identitäten in den USA. Maierhofer erfindet in einer Art Fotoerzählung seine erfundene Geschichte neu, unter anderem in Gestalt des Octopus mimicus, der in der Lage sein soll, andere Meeresbewohner täuschend echt zu imitieren. An einer Wand hängt sein Abschlusszeugnis. Darin heißt es: „Herr Gerhartsreiter verfügt über eine gute Allgemeinbildung und ist vielseitig interessiert.“

Ähnliches könnte man auch von den Literaturwissenschaftlern Dorothee Kimmich und Peter Porombka sagen, die zusammen mit dem Soziologen Ulrich Bröckling höchst unterhaltsam in die Heroengeschichte der Hochstaplerfigur blicken. Denn darin sind sie sich einig: deren große Zeit ist vorbei. Wohl gibt es die Erben Felix Krulls auch heute noch, aber dass eine Gesellschaft sich in ihnen erkennt, ist untrennbar mit den Bedingungen der Moderne verknüpft, in der der Mensch den Boden unter den Füßen verliert, aus allen tradierten Bindungen fällt und gehalten ist, sich selbst zu schaffen.

Im Netz ist der Schein übermächtig geworden

Der Hochstapler habe den nietzscheanischen Mut, sein Leben auf der Schwelle zu bauen, erkennt die Tübinger Literaturwissenschaftlerin Dorothee Kimmich an. Sein windiger Posten sei untrennbar verbunden mit der Entwicklung der Medien, deren er zu seiner Darstellung bedarf. Seine Geschichten führten schließlich nicht nur zu einer Demaskierung seiner selbst, sondern auch der Gesellschaft, die sie glaubt. Doch im Netz funktionieren sie nicht mehr: „In der virtuellen Realität springt kein Funke zwischen Sein und Sein über, weil der Schein so mächtig geworden ist“, sagt Stefan Porombka.

Die Hochstapler von heute pflegen Impression-Management oder wollen amerikanischer Präsident werden. Im „postfaktischen“ Zeitalter, das sich mit einem Kandidaten wie Donald Trump und dem grassierenden Populismus ankündigt, zehrt der allmächtige Schein jegliches Wahrheitsmoment auf, triumphiert die emotionale Wirkung über die Tatsachen. Zu welchen konfusen Reaktionen dies führt, erläutert die Schriftstellerin Kathrin Röggla mit einem kürzlich in Österreich aufgeschnappten Bekenntnis einer älteren FPÖ-Wählerin: „I hob den Hofer gwählt, oba i hoff, dass er’s net wiad.“

Die Erkenntnis der Welt als Täuschung besitzt hier wie dort emanzipatorisches Potenzial. Wo sich die Wirklichkeit unwirklicher als jede Erfindung und das Leben auch nur als Kunst erweist, lösen sich feste Zuschreibungen auf. Meinecke knüpft daran die Hoffnung auf eine weniger hierarchisierte, gewaltfreie Form der Sexualität. Skeptischer äußert sich Steidele, sie verweist auf die vielerorts zunehmende Hetze gegen Homosexuelle.

Ein Rockefeller aus Bayern

In einem Nebenraum schraubt unterdessen das Fotografenduo Frank Bayh und Steff Rosenberger-Ochs schon einmal die Gesichter von Festivalbesuchern auf Körper ihrer Wahl: tätowierte oder anabolikagestählte Luxusleiber beiderlei Geschlechts, die ganz im Sinne Meineckes und Steideles vornehmlich in kreuzweiser Zugehörigkeit montiert werden. Bisweilen sogar mit Blick ins Tierreich.

Das gilt auch für die Verwandlungen des falschen, aus Bayern stammenden Rockefellers, wie sie die Künstlerin Sara-Lena Maierhofer in ihrer Ausstellung „Dear Clark“ erzählt. Er lebte unter verschiedenen Identitäten in den USA. Maierhofer erfindet in einer Art Fotoerzählung seine erfundene Geschichte neu, unter anderem in Gestalt des Octopus mimicus, der in der Lage sein soll, andere Meeresbewohner täuschend echt zu imitieren. An einer Wand hängt sein Abschlusszeugnis. Darin heißt es: „Herr Gerhartsreiter verfügt über eine gute Allgemeinbildung und ist vielseitig interessiert.“

Ähnliches könnte man auch von den Literaturwissenschaftlern Dorothee Kimmich und Peter Porombka sagen, die zusammen mit dem Soziologen Ulrich Bröckling höchst unterhaltsam in die Heroengeschichte der Hochstaplerfigur blicken. Denn darin sind sie sich einig: deren große Zeit ist vorbei. Wohl gibt es die Erben Felix Krulls auch heute noch, aber dass eine Gesellschaft sich in ihnen erkennt, ist untrennbar mit den Bedingungen der Moderne verknüpft, in der der Mensch den Boden unter den Füßen verliert, aus allen tradierten Bindungen fällt und gehalten ist, sich selbst zu schaffen.

Im Netz ist der Schein übermächtig geworden

Der Hochstapler habe den nietzscheanischen Mut, sein Leben auf der Schwelle zu bauen, erkennt die Tübinger Literaturwissenschaftlerin Dorothee Kimmich an. Sein windiger Posten sei untrennbar verbunden mit der Entwicklung der Medien, deren er zu seiner Darstellung bedarf. Seine Geschichten führten schließlich nicht nur zu einer Demaskierung seiner selbst, sondern auch der Gesellschaft, die sie glaubt. Doch im Netz funktionieren sie nicht mehr: „In der virtuellen Realität springt kein Funke zwischen Sein und Sein über, weil der Schein so mächtig geworden ist“, sagt Stefan Porombka.

Die Hochstapler von heute pflegen Impression-Management oder wollen amerikanischer Präsident werden. Im „postfaktischen“ Zeitalter, das sich mit einem Kandidaten wie Donald Trump und dem grassierenden Populismus ankündigt, zehrt der allmächtige Schein jegliches Wahrheitsmoment auf, triumphiert die emotionale Wirkung über die Tatsachen. Zu welchen konfusen Reaktionen dies führt, erläutert die Schriftstellerin Kathrin Röggla mit einem kürzlich in Österreich aufgeschnappten Bekenntnis einer älteren FPÖ-Wählerin: „I hob den Hofer gwählt, oba i hoff, dass er’s net wiad.“

Doch es gibt sie noch, die Partisanen der Täuschung, die den übermächtigen Verblendungszusammenhang in die eigene Falle laufen lassen. Andy Bichlbaum von der amerikanischen Performance-Gruppe der Yes Men ist einer von ihnen. Er erzählt, wie er in seinen Aktionen in die Rolle des Sprachrohrs von Konzernen und Parteien schlüpft, um deren unethische Absichten und Verfahren offenzulegen. Eines seiner Mittel ist die hemmungslose Übertreibung und Zuspitzung. Und während man ihm so zuhört, hofft man klammheimlich, dass es in Wirklichkeit dieser Bichlbaum sei, der in aufklärerischer Absicht hinter manchen absurden populistischen Positionen der einschlägigen Bewegungen sein Unwesen treibt.

Wohl vergeblich. Doch wo die Lüge total geworden ist, bedarf es des Schwindlers, um die Wahrheit auszusprechen.