Im Mordfall der 19-jährigen Studentin aus Freiburg nimmt die Polizei einen 17-jährigen Afghanen fest. Doch die Arbeit geht weiter. Bisher spricht offenbar wenig dafür, dass auch der Mord an einer Joggerin in Endingen auf sein Konto geht.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Freiburg - Sieben Wochen hat die Freiburger Polizei fieberhaft nach der sprichwörtlichen heißen Spur im Mordfall der Medizinstudentin Maria L. gesucht. Dann geht alles plötzlich Schlag auf Schlag. Am Mittwoch meldet das kriminaltechnische Institut in Stuttgart, dass es eine genetische Übereinstimmung zwischen der Täter-DNA und einem auffälligen Haar gebe, das in einem Brombeerbusch entlang des Dreisamradwegs gesichert worden war. Schon drei Tage später sitzt der Leitende Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer auf dem Podium im Schwarzwaldsaal des Regierungspräsidiums und beugt sich über zwölf Mikrofone. „Es gibt einen Ermittlungserfolg“, sagt der Chef der Freiburger Staatsanwaltschaft. „Seit heute mittag befindet sich ein junger Mann in Untersuchungshaft, der im dringenden Verdacht steht, am 16. Oktober das Tötungsdelikt zum Nachteil der Maria L. begangen zu haben.“

 

Ein junger Flüchtling unter Tatverdacht

Es handele sich um einen 17-jährigen Schüler aus Afghanistan, der im Jahr 2015 iohne seine Eltern in die Bundesrepublik eingereist sei und bei einer Gastfamilie im Stadtteil Littenweiler wohne. Ganz in der Nähe war auch das Opfer zu Hause. Die ursprünglich aus dem Enzkreis stammende 19-Jährige war nachts gegen 3 Uhr auf dem Heimweg von einer Unifete auf dem Radweg hinter dem Schwarzwaldstadtion missbraucht und ermordet worden. Eine Spaziergängerin fand sie ertrunken in der nahen Dreisam liegen.

Die Ermittlungsarbeit glich der berühmten Suche der Nadel im Heuhaufen. Aus drei Säcken mit Dornengestrüpp, das die Spurensicherung in der Nähe des Tatorts eingesammelt hatte, sortierten die Mitarbeiter des Kriminaltechnischen Instituts (KTI) am Landeskriminalamt in Stuttgart, das Haar aus, das dem mutmaßlichen Täter letztlich zum Verhängnis wurde. Es habe sich um ein äußerst markantes Haar gehandelt, sagte der Leiter der Stuttgarter Kriminaltechnik, Andreas Stenger: 18,5 Zentimeter lang, schwarz, mit einer changierenden Blondierung. Zudem habe man an einem schwarzen Schal, der im Flussbett der Dreisam lag, DNA-Spuren sichern können, die nicht eindeutig, aber zumindest mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf den Täter hindeuteten.

Hinweis aus der Überwachungskamera

Für den Kriminaloberrat David Müller und seine zuletzt auf 68 Kollegen angewachsene Sonderkommission Dreisam war dies der entscheidende Hinweis. Schon direkt nach der Tat habe man Videoaufzeichnungen aus der Tatnacht gesichert. Doch beim ersten Durchgang war den Beamten mangels brauchbarer Anhaltspunkte nichts aufgefallen. „Nun haben wir alle Filme noch einmal angesehen“, sagte Müller. Sieben Ermittler seien damit befasst gewesen.

Am Donnerstag konnte eine junge Polizistin auf dem Video einer Überwachungskamera der Freiburger Verkehrsgesellschaft VAG dann eine entscheidende Entdeckung machen. Ein junger Mann mit schwarzem Schal stieg in der Tatnacht um 1.57 Uhr am Bertholdsbrunnen im Stadtzentrum in eine Straßenbahn der Linie eins und fuhr in Richtung Littenweiler. Seine Frisur war auffällig: Seitlich waren die Haare abrasiert, aber am Oberkopf waren sie lang, blondiert und zu einem Zopf gebunden. Auch den Ausstieg des Mannes aus der Bahn dokumentierte die Kamera. „Er hat sich etwa 50 Minuten vor dem Tatzeitpunkt einen Kilometer entfernt vom Tatort aufgehalten“, sagte Müller.

Eine Streife entdeckt den Täter

Von einer Öffentlichkeitsfahndung sahen die Ermittler zunächst ab. „Das ist ja immer auch mit dem Risiko verbunden, dass der Täter gewarnt ist“, sagte der Oberstaatsanwalt Inhofer. Stattdessen wurden sämtliche Polizeistreifen über die Personenfahndung informiert. Bereits am Freitag konnte eine Streife des Polizeipostens Littenweiler den 17-jährigen auf der Straße kontrollieren und brachte ihn aufs Präsidium. „Wir waren uns ganz sicher, dass er der Mann aus der Straßenbahn ist“, sagte Müller. Doch war er auch am Tatort? Die Staatsanwaltschaft ordnete einen DNA-Test an, der noch in der Nacht ausgewertet wurde. Am Samstagmorgen kam aus Stuttgart der Bescheid: Ja, das ist der Mann.

Strafrechtlich sei der 17-Jährige in Deutschland bisher nicht in Erscheinung getreten, sehe man vom illegalen Grenzübetritt ab, sagte der Oberstaatsanwalt. Zudem falle sein Namen im Zusammenhang mit einer Schlägerei unter Jugendlichen. Hier habe sich der Verdacht aber nicht erhärtet. Nun gehe es unter anderem darum, den genauen Tatablauf zu klären und zu ermitteln, ob sich Täter und Opfer gekannt hätten, sagte Chefermittler Müller. Bisher gebe es dafür aber keine Hinweise. Auch spricht nichts dafür, dass der 17-Jährige unter den Gästen der Medizinerfete gewesen sei. Über das Uniportal hätten sich mehr als 500 Besucher gemeldet, 500 Einzelfotos seien hochgeladen worden. „Auf keinem ist er drauf“, sagte Müller. Der Verdächtige selbst schweigt bisher zu sämtlichen Vorwürfen.

Der OB fürchtet Pauschalurteile

„Wir freuen uns sehr über den Ermittlungserfolg“, sagte der Polizeipräsident Bernhard Rotzinger. Das Sicherheitsgefühl in der Stadt habe zuletzt sehr gelitten. Offen bleibt allerdings der Mordfall im 30 Kilometer entfernten Endingen (Kreis Emmendingen), wo eine 26-jährige Joggerin an einem Sonntagnachmittag überfallen und ermordet wurde. Bisher gebe es auch keine Anhaltspunkte für einen Zusammenhang der beiden Taten. Überraschungen aus dem Labor sind allerdings auch hier nicht ausgeschlossen. „Wir haben Spuren gesichert, aber die Auswertung ist sehr aufwendig“, sagte KTI-Chef Stenger. Auch hier dürften mehrere Säcke Gestrüpp zur Untersuchung anstehen.

Der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) bedankte sich bei der Polizei für die schnelle Aufklärung. „Der Fahndungserfolg ist wichtig für das Sicherheitsgefühl in der Stadt.“ Seine Gedanken, so Salomon, seien bei der Familie der Studentin sowie ihren Freunden und Kommilitonen. Mit dem Ergebnis der Fahndung müsse man besonnen umgehen. Es wäre schrecklich, die Herkunft des Täters für Pauschalurteile heranzuziehen. Es gehe darum, den Einzelfall zu betrachten. Insgesamt leben in Freiburg mehr als 3500 Flüchtlinge.

Die Security rechnet mit Arbeit

Während vor dem Regierungspräsidium die Kamerateams ihre Ausrüstung in die Übertragungswagen packen, spielt auf dem Bolzplatz des nebenan gelegenen Asylbewerberheims ein zwölfjähriger Bub aus Afrika in kurzen Hosen Fußball. An der Baracke am Eingang hängen zwei Plakate, auf dem um Hinweise auf ein Fahrrad gebeten wird. Es war am Tatort an der Dreisam gefunden worden. Der 17-Jährige hatte es gefahren. Wem es gehört und wie lange der Verdächtige es fuhr, ist weiterhin ein Rätsel.

„Ich habe es schon gehört. Es war ein Flüchtling“, sagt der Teamleiter des Security-Dienstes. „Das bedeutet für uns mehr Arbeit.“ Die Wut wird steigen, glaubt er.