Auch im zweiten Jahr erntet Hans Neuenfels´ Sicht auf den "Lohengrin" in Bayreuth Kopfschütteln. Doch Jubel herrscht vor.

Bayreuth - Irgendwas muss passiert sein. Die Ratten sind ja noch da. Besonders die kleinen rosafarbenen, die so süß mit den Pfötchen winken und "Macht Platz" singen, wenn Elsa kommt. Und viele wie der Herr, schlohweiß, im Smoking und in Reihe zwanzig halbrechts, kommen aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus, wenn sich das Rudel zu den martialischen "Lohengrin"-Chören formiert oder von Labormenschen mit Spritzen traktiert wird. Doch dann entfährt nicht nur dem kopfschüttelnden Mann, sondern auch vielen anderen Ungeplantes: Man lacht. Auch über die Frau, die im hinteren Parkett zweimal bei offener Szene buht.

 

Die große Frage, die schlussendlich bei dieser heftig bejubelten, betrampelten, aber auch abgelehnten Bayreuther Wiederaufnahmevorstellung auftaucht, lautet also: Kann man sich an den "Lohengrin" von Hans Neuenfels gewöhnen? Thesenbewaffnet wie der gerade grässlich gescheiterte "Tannhäuser"-Regisseur ist auch der Altmeister. Doch im Unterschied zu Sebastian Baumgarten, der sich im Konzeptdickicht verheddert hat und mangels Handwerkszeug keine Bresche schlagen kann, tut Neuenfels anderes: er scheint mit dem "Lohengrin" zu spielen.

Vielsagend, vielschichtig und ironiesatt

Aus dem Teutonischen lässt er mit der Nagetierarmee lustvoll die Luft raus. Das Stück wird gewendet, aufgebrochen, konterkariert. Vieles ist aus Neuenfels' Symbol-Mottenkiste, anderes überflüssig und überholt. Doch wer akzeptiert, dass es hier keine 1:1-Nacherzählung gibt, und wer nicht bei jedem Symbol sofort nach Erklärung schreit, der erlebt eine vielsagende, vielschichtige, intensive und, das ist das Beste, sehr ironiesatte Aufführung. Mit dem Auftauchen eines neuen Gralsgesandten hat der Abend ohnehin seine Erfüllung gefunden: Klaus Florian Vogt singt den Lohengrin seit zehn Jahren. Doch so schmerzvoll wahrhaftig, so schön und inniglich, auch so kraftvoll und gleichzeitig beseelt hat er es vielleicht noch nie getan.

Vogt ist ganz stückgemäß das Wunder dieser Aufführung. Wo die Kollegen (wie 2010 Jonas Kaufmann) tricksen und sich mühen, fließt ihm alles wie selbstverständlich aus der Silberkehle. Auch Vogt scheint mit dem Lohengrin zu spielen - und die Zuschauer, viele mit einer Träne im Auge, sind außer sich.

Der andere Wundermann steht im Graben. Andris Nelsons hat schon vor einem Jahr eine manchmal gefährdete Premiere dirigiert. Jetzt ist der Lette, gewöhnt an die Akustik und in enger Symbiose mit Vogt, ganz bei sich. Nelsons liebkost die Klänge, lebt sich ab dem ersten Vorspieltakt tief in sie hinein. Alles ist da: intimste Kammermusik, die Dämonie des zweiten Akts, aber auch die überrumpelnd dramatisierten Monumentalstellen. Im zweiten Akt ist Nelsons, als Spiegelung einer Bühnenwand, sogar zu sehen. Und wer seine gestischen Liebeserklärungen an diese Partitur verfolgt, der weiß nun, warum ihm Festspielorchester, -chor und -solisten so hingebungsvoll folgen.

Georg Zeppenfeld (Heinrich) und die sehr hochdramatisch gelaunte, effektvoll auftrumpfende Neu-Ortrud Petra Lang verbucht man dabei auf der Habenseite. Tímas Tímasson (Telramund) singt klangbewusst, wäre aber als Don Giovanni oder Almaviva besser aufgehoben.

Die Zeit spielt also für Neuenfels, der beim zweiten Solovorhang beinahe in den Graben gestrauchelt wäre: Am Ende dürften auch die Strenggläubigen am Hügel Tierfreunde sein.

Übertragung Der Bayreuther "Lohengrin" ist am 13. August im Radio auf SWR 2 zu hören; Beginn: 20.05 Uhr.