Eine Ernährungs-Fachtagung an der Uni Hohenheim befasste sich mit neuen Ansätzen zur Bekämpfung von Adipositas. Und auf dem Kongress der deutschen Viszeralchirurgen geht es unter anderem um die operative Verkleinerung des Magens bei adipösen Menschen.

Stuttgart - Bereits jeder zweite Deutsche ist übergewichtig. Wenn dabei viel zu viele Kilogramm den Körper belasten, bringt dies für die Betroffenen oft massive Probleme mit sich. Bei Adipositas, also Fettleibigkeit mit einem Körpermasseindex (BMI, Body-Mass-Index) von 30 Kilogramm pro Quadratmeter, wächst die Gefahr schwerer Krankheiten enorm: Bei etwa der Hälfte dieser Patienten entwickelt sich das metabolische Syndrom, eine Kombination aus verschiedenen Risikofaktoren wie zu hohem Blutdruck und erhöhten Blutzucker- und Blutfettwerten. Damit wächst die Gefahr für Herzinfarkt und Schlaganfall. Etwa 20 Prozent der Fettleibigen bekommen einen Typ-2-Diabetes mit allen negativen Folgen. Aussitzen kann man das Problem kaum, denn: „Nur etwa zehn Prozent von Adipositas sind reversibel“, berichtete der Ernährungsexperte Stephan Bischoff auf der 20. Ernährungsfachtagung an der Uni Hohenheim, die der Adipositas gewidmet war.

 

Bischoff, der in Hohenheim das Institut für Ernährungsmedizin leitet, befasst sich mit seinem Team auch mit der Frage, wie Adipositas entsteht. Neben dem typischen westlichen Lebensstil – mit oft viel zu guter Ernährung, Bewegungsmangel und Stress – sowie genetischen Voraussetzungen sind die Wissenschaftler auch anderen Mitursachen auf der Spur, etwa dem Einfluss der Bakterienflora im Darm. So haben dicke Menschen eine andere Zusammensetzung dieser sogenannten Mikrobiota als Normalgewichtige, wie Bischoff erläuterte. Die Darmflora ist dabei offenbar so verändert, dass sie die Nahrung effektiver aus dem Darm herausziehen kann als im Normalfall. Hinzu kommt, dass bei Übergewichtigen auch eher die Darmbarriere gestört zu sein scheint. Dadurch können vermehrt Bestandteile von Bakterien in den Körper gelangen, die dann in mehreren Organen eine ungesunde Wirkung entfalten können. So begünstigen sie beispielsweise eine Verfettung der Leber, wodurch das Risiko für das metabolische Syndrom stark steigt.

Welche Rolle spielt die Darmflora?

Einen weiteren neuen Forschungsansatz zu den Ursachen von Adipositas stellte Andreas Fritsche vor, der an der Uniklinik Tübingen den Lehrstuhl für Ernährungsmedizin und Prävention innehat. So spielt nach Fritsches Überzeugung auch das Gehirn eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Adipositas. Er und sein Team richten dabei ihre Aufmerksamkeit auf das Hormon Insulin. Dieses gilt gemeinhin als Dickmacher, weil es im Körper die Verbrennung von Fett hemmt.

In seinem Vortrag wies Fritsche allerdings immer wieder darauf hin, dass Insulin wichtige Prozesse im Gehirn beeinflusst. So wirkt es bei normal gewichtigen Menschen beim Sättigungsgefühl mit, wie die Tübingen Wissenschaftler in entsprechenden Experimenten im Kernspintomografen zeigen konnten. Bei stark übergewichtigen Menschen jedoch hat Insulin diese wichtige Funktion offenbar weitgehend eingebüßt. Diese Insulinresistenz im Gehirn führt bei adipösen Menschen dazu, dass sie mehr essen sowie einen verminderten Bewegungsdrang haben. Und um es noch schwerer für die Betroffenen zu machen, haben sie durch die schlechte Insulinwirkung im Gehirn auch noch weniger Erfolg beim Abnehmen.

Keine dauerhaft wirksamen Medikamente

Dies könnte mit ein Grund dafür sein, warum eine normale Diätberatung bei adipösen Menschen oft nicht hilft: „Die Leute können wegen dieses funktionellen Problems vielleicht gar nicht mehr abnehmen“, meint Fritsche. Zudem können sie auch nicht mehr die Gefahr richtig einschätzen, die von sehr kalorienhaltigem Essen ausgeht – was schlanken Menschen den Tübinger Experimenten zufolge gut gelingt.

Welche praktischen Folgen solche neuen Forschungserkenntnisse für die Praxis haben, ist noch nicht abzusehen. Erste Versuche der Hohenheimer Forscher mit Mäusen weisen darauf hin, dass beispielsweise mit sogenannten Probiota – also lebenden Organismen in Lebensmitteln wie etwa Joghurt – die Gefahr einer Leberverfettung bei übergewichtigen Tieren reduzieren könnte.

Klar wurde auf der Hohenheimer Tagung aber auch, dass es bisher keine wirklich guten und dauerhaften Erfolg gewährenden Medikamente gegen Adipositas gibt. Neben den in Einzelfällen möglichen chirurgischen Eingriffen bleibt den Betroffenen somit nur der mühsame und langwierige Kampf gegen die überflüssigen Pfunde – der oft genug nur von begrenztem Erfolg gekrönt ist. Umso wichtiger ist es daher, schon vom Kindesalter an mit gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung der Entstehung von Übergewicht vorzubeugen.

Mit dem Skalpell gegen extremes Übergewicht

Immer mehr krankhaft übergewichtige Menschen suchen ihr Heil in einer operativen Verkleinerung des Magens. Das zeigen zumindest die jetzt von der Krankenkasse DAK-Gesundheit veröffentlichten Zahlen. Demnach sind die von der Kasse bezahlten Eingriffe mit Magenband, Magenballon oder Magenverkleinerung von 406 Operationen 2008 auf 669 im vergangenen Jahr gestiegen. Dabei waren 81 Prozent der operierten Patienten Frauen.

Nach wie vor gelten strenge medizinische Voraussetzungen für eine operative Behandlung von starkem Übergewicht. So müssen laut DAK-Gesundheit andere Methoden wie Ernährungs- und Verhaltenstherapien gescheitert sein. Auch müssen Adipositas-Patienten mehr als fünf Jahre lang stark übergewichtig sein und einen Body-Mass-Index (BMI) von über 40 haben. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist dagegen schon ab einem BMI von 35 eine Operation möglich.

Neue Leitlinie für Diabetiker

Gemäß einer neuen europäischen Leitlinie ist für übergewichtige zuckerkranke Menschen diese sogenannte metabolische Chirurgie sogar ab einem BMI von 30 eine bedenkenswerte Option. Das erklärte jetzt der Vorsitzende der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie und metabolische Chirurgie, Rudolf Weiner, anlässlich des in Nürnberg tagenden Kongresses „Viszeralmedizin 2013“.

Weiner zitiert eine schwedische Langzeitstudie mit mehr als 4000 Patienten, wonach bei 72 Prozent der übergewichtigen Diabetiker die Zuckerkrankheit zwei Jahre nach der Operation vollständig oder teilweise zurückgegangen war. Dabei hatte sich der Blutzucker in vielen Fällen schon wenige Tage nach dem Eingriff normalisiert – also noch bevor das Körpergewicht sank. In Heidelberg wird derzeit untersucht, ob auch bei noch weniger übergewichtigen Diabetikern eine Magenoperation dauerhaft helfen könnte.

„Keine Lifestyle-Operation“

Allerdings betonen auch die Viszeralchirurgen, dass ein solcher Eingriff „keine Lifestyle-Operation ist, nach der die Patienten ihr früheres Leben unverändert fortsetzen können“, wie es Weiner formuliert. Wichtig ist also, dass die Betroffenen mitmachen, sie müssen wirklich motiviert sein. Und sie sollten sich auch über die möglichen Risiken und Nebenwirkungen im Klaren sein – gerade bei adipösen Menschen sind solche Operationen oft keineswegs einfach. Das zeigt sich auch in den steigenden Kosten für die laut DAK-Gesundheit zunehmend komplexeren Eingriffe. Auf jeden Fall sind solche Adipositas-Operationen Einzelfallentscheidungen, die mit der jeweiligen Krankenkasse abgestimmt werden müssen. Zudem erfordern sie eine lebenslange Nachsorge.

Der Body-Mass-Index

Index
Der Körpermasseindex (BMI, Body-Mass-Index) ist der Quotient von Gewicht (gemessen in Kilogramm) und dem Quadrat der Körpergröße (gemessen in Metern).

Gewicht
Man unterscheidet zwischen Untergewicht (BMI bis 18,5), Normalgewicht (BMI bis 25), Übergewicht (BMI bis 30) und Fettleibigkeit (Adipositas) ab einem BMI von 30.

Fettmasse
Auf viele Menschen bezogen, ist der BMI eine recht gute Kenngröße für die Fettmasse im Körper. Im Einzelfall ist er aber oft ungenau, da individuelle Faktoren eine wichtige Rolle spielen. So nehmen etwa im Alter sowohl Körpergröße als auch Muskelmasse ab – der BMI könnte dann den Fettanteil unterschätzen. Auch Menschen mit einem BMI von mehr als 30 können völlig gesund sein.