Am Sonntagabend hat die von Regisseur David Wnendt inszenierte Verfilmung von „Feuchtgebiete“ in Locarno Weltpremiere. Im StZ-Interview spricht die Autorin Charlotte Roche über Sex, Werbung und ihren Film.

Locarno - Vor vier Jahren hat Charlotte Roche sich einen Produzenten für die Verfilmung ihres Debütromans „Feuchtgebiete“ gesucht. Gestern hatte der von David Wnendt inszenierte Film in Locarno Weltpremiere, und Roche ist sehr froh, damals auf Geld verzichtet zu haben.

 
Frau Roche, sind Sie zufrieden mit der Verfilmung Ihres Romans „Feuchtgebiete“?
Und wie! Der Film gefällt mir extrem gut. Seit ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, schlafe ich abends mit einem Lächeln ein und wache morgens mit einem Lächeln auf. Ich bin seitdem wie auf Ecstasy.
Hatten Sie Angst, es könnte schief gehen?
Mit den teilweise ekligen, konfrontativen und sexuellen Aspekten hätte das im Film ganz schnell klamaukig werden können.
Warum gibt man als Schriftstellerin überhaupt ein Werk aus den Händen?
So, wie ich schreibe, ist das schon auf Unterhaltung gemacht. Da gibt das keinen Sinn, wenn das am Ende niemand liest oder sieht. Außerdem ist es total schmeichelnd, wenn alle Produzenten ankommen und mir sagen, dass sie mein Buch verfilmen wollen. Worum es nicht ging, war das Geld. Da habe ich auf ziemlich viel verzichtet – und bin darauf sehr stolz.
Tatsächlich?
Ja, denn auf den Produzenten Peter Rommel bin ich selber zugegangen. Der hat um die Rechte gar nicht mitgeboten, weil er davon ausging, mit seinen Summen bei einem Bestseller sowieso keine Chance zu haben. Aber ich habe mir „Halbe Treppe“ und „Sommer vorm Balkon“ angesehen, die Rommel mit Andreas Dresen gemacht hat. Die waren voller echter Körper und Menschen, mit Themen wie Tod und Arbeitslosigkeit, aber trotzdem lustig, mit ganz viel dunkel-schwarzem Humor. Da dachte ich mir: wer bitte macht sonst so geile Filme in Deutschland?
Rechnen Sie angesichts des Films mit Reaktionen wie: Muss das jetzt auch noch sein?
Das kenne ich ja schon. Beim Buch wurde ich auch immer wieder gefragt: Reicht es denn nicht? Wir sind doch nicht verklemmt, wir sind oversexed. Natürlich verstehe ich, was die Leute meinen, weil Werbung ständig Sex und nackte Körper benutzt. Doch das ist ja nicht echt, sondern eine falsche Vorstellung von Sex. Deswegen schreibe ich die Bücher. Ich will einen Gegenpol bilden zur Dreckswerbeindustrie und wie die den menschlichen Körper darstellt. Das macht uns krank.
In welcher Hinsicht?
Weil wir ständig konfrontiert sind mit diesen bearbeiteten Bildern. Aber was da oder auch in Pornos abgeht, ist nicht Sex, sondern eine Performance von Sex. Wenn man denkt, dass man das jetzt nachmachen muss, hat man richtig falsch gedacht. Natürlich kann man sich davon inspirieren lassen. Aber sich davon abzugrenzen, ist für viele ein Riesenproblem. Denn wir können dieses künstliche Bild gar nicht erreichen. Und irgendwann hasst man dann seinen Körper, weil man so sauer ist, dass der da nicht mitmacht.
Was das Körperliche angeht, erweist sich die Hauptdarstellerin Carla Juri als recht angstfrei. . .
Oh ja. Ich bin richtig verliebt in sie. Durch Carla ist die Geschichte viel sexier als im Buch. Und sie ist viel schöner als ich mir Helen vorgestellt habe.Carla ist als Typ so rein, so unschuldig und so frei, dass sie eigentlich gar nicht von dieser Welt sein kann. So sind Menschen sonst nicht.
Als der Roman herauskam, wollten viele Helen als Ihr Alter Ego lesen.
Klar, damit habe ich auch gespielt. Irgendwann habe ich mal gesagt, siebzig Prozent der Figur seien autobiografisch, was natürlich voll gelogen war. Tatsächlich ist das auch ein Grund für meine Euphorie, dass es jetzt ein anderes Gesicht zu dem Buch gibt. Wenn künftig jemand „Feuchtgebiete“ liest, hat er Carlas Gesicht vor Augen, nicht meins. All diese alten Schmierlappen-Journalisten, die sich immer vertraulich rübergebeugt haben und meinten: „Na, Frau Roche, nun sagen Sie doch mal ehrlich: das haben Sie doch alles selber an sich gemacht.“ Endlich bin ich aus dieser Nummer raus.