23 Jahre nach dem Brand auf der Scandinavian Star mit 159 Toten erheben Experten schwere Vorwürfe. Besatzungsmitglieder sollen das Feuer aus Geldgier gelegt haben.

Kopenhagen - Von „Nordeuropas größtem Massenmord“ und dem „schlimmsten Justizskandal“ spricht Schiffsinspektor Gisle Weddegjerde. Die Rede ist nicht von den Verbrechen des norwegischen Rechtsradikalen Anders Breivik. Weddegjerde ist Vorsitzender einer Expertengruppe, die sich die Aufklärung der Tragödie auf der Scandinavian Star zur Aufgabe gemacht hat. Genau 23 Jahre nach dem Feuer, in dem 159 Menschen starben, legte die Gruppe überwältigende Indizien vor. Sie sollen beweisen, dass die Katastrophe nicht ein von einem dänischen Pyromanen ausgelöstes Unglück war, wie die Polizei einst geschlussfolgert hatten, sondern das „Resultat geplanter Sabotage“, das den Eignern der Fähre die Versicherungssumme von 24 Millionen Dollar einbringen sollte.

 

Es war die erste Fahrt der Scandinavian Star, die eine dänische Reederei gebraucht von einer US-Maklerfirma gekauft hatte. Die Umbauten waren noch nicht fertig, doch der Osterverkehr stand an, und am 6. April nahm die Fähre spätabends von Oslo Kurs aufs dänische Frederikkshavn, mit 383 Passagieren und 99 Mann Crew an Bord. Kurz vor zwei Uhr morgens entstand ein erstes Feuer vor einer Kabine, das rasch gelöscht war. Wenig später brannte es erneut, diesmal mit tödlichen Folgen. Wegen der Sicherheitsmängel und unzureichenden Trainings der Mannschaft wurden der Kapitän, der Reeder und der Reedereidirektor später zu je sechs Monaten Haft verurteilt. Die Schuld an der Katastrophe aber gaben die Ermittler einem schon früher wegen Brandstiftung verurteilten dänischen LKW-Fahrer, der selbst im Feuer umgekommen war.

Experten: die Polizei habe nur in eine Richtung ermittelt

Die Wahrheit sei nie ans Licht gekommen, sagt nun das aus Schiffstechnikern, Brandspezialisten, Polizisten und Juristen zusammengesetzte Komitee im norwegischen Bergen. Die Polizei habe das Feuer als einen Brand behandelt, tatsächlich aber habe es zumindest vier, vermutlich sechs Brandherde gegeben, die letzten Feuer entstanden erst viele Stunden später. Da war der Chauffeur, auf den sich die Ermittlungen rasch konzentrierten, längst tot. Seine Obduktion zeige, dass er im Schlaf vom Feuer überrascht worden war, sagt der Brandtechniker Håkan Winterseth. Die Polizei habe sich auf eine Theorie festgelegt und sämtliche Beweise ignoriert, die in andere Richtungen deuteten.

So wurde der Schwede Ingvar Brynfors, der als erster Feuerwehrmann an Bord kam, nie verhört. Er hatte erlebt, wie Mitglieder der Crew die Löscharbeiten behinderten. Der Passagier Martin Grande hatte gesehen, wie Besatzungsmitglieder Fenster einschlugen: „Man weiß doch, dass man einem Brand nicht Sauerstoff zuführen darf. Es war, als werfe man Benzin in die Flammen.“ Doch die Polizei wiegelte ab. Dabei waren Türen blockiert, Matratzen und Bettzeug in die Gänge gezerrt worden, wo sie dem Feuer Nahrung gaben. Dass dem Obermaschinisten nach der Evakuierung der Nordseefähre ein Umschlag mit 800 000 Kronen in bar, umgerechnet rund 100 000 Euro, zugesteckt wurde, ist aktenkundig. Die Zusammenhänge schienen die Polizei damals nicht weiter zu interessieren.