Die zentrale Bahnstrecke Köln-Frankfurt bleibt mindestens bis kommendes Wochenende gesperrt. Es gibt zahlreiche Verspätungen und offene Fragen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Köln - Wegen erheblicher Schäden muss die Hochgeschwindigkeitsstrecke Köln-Frankfurt noch bis mindestens Ende der Woche gesperrt bleiben. Durch das Feuer an Bord des ICE Neunkirchen, bei dem am frühen Freitagmorgen zwei Wagen ausbrannten, sind nach Angaben der Deutschen Bahn (DB) auch Schäden an Gleisen, Signaltechnik und Stromleitungen entstanden. Ziel sei, mit raschen Reparaturen kurzfristig zumindest wieder eingleisigen Betrieb zu erreichen. Wegen der Sperrung sind Züge auf den Umleitungsstrecken bis zu 80 Minuten länger unterwegs.

 

Die Bundespolizei geht von einem technischen Defekt aus, der das Feuer ausgelöst habe. Auch die Ermittlungen der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) laufen, die sich bei gefährlichen Ereignissen einschaltet. Die verbrannten Wagen wurden beschlagnahmt. Für die 510 Reisenden an Bord des mit bis zu Tempo 300 fahrenden ICE 511 verlief das Unglück glimpflich, da Fahrgäste Rauch bemerkten, die Notbremse zogen und der Zug an einer Nothaltebucht auf offenere Strecke rasch evakuiert werden konnte. Fünf Personen wurden leicht verletzt.

Starke Brandausbreitung löst Besorgnis aus

In Fachkreisen lösen vor allem die gewaltige Hitzeentwicklung und die fast komplette Zerstörung des am schwersten betroffenen ICE-Wagens 33 Besorgnis aus. Nach dem internen Protokoll der Deutschen Bahn, das dieser Zeitung vorliegt, wurde um 6:32 Uhr eine „technische Störung am Zug“ gemeldet, um 6:36 Uhr folgte die Meldung: „Zug liegengeblieben. Brand im Zug. An Wagen 33 brennt eine Achse.“ Eine Minute später heißt es: „Zug wird evakuiert in Fahrtrichtung rechts. Evakuierungsplatz in der Nähe.“

Auslöser des Brands könnte ein überhitztes Radsatzlager gewesen sein, vermutet ein Lokführer, der seit Jahrzehnten ICE-Züge fährt und ungenannt bleiben möchte. Alarmierend sei, dass das Feuer sich so stark ausbreiten konnte, obwohl die Wagenmaterialien die Brandschutzstufe 2 nach DIN 5510 erfüllen müssen. Wagenwände und Dach des ICE bestehen laut DB aus Aluminium-Hohlkammerprofilen und Blechplatten, die Innenschale aus einem Polyester-Sandwich-Aufbau, die Isolierungen dahinter aus Mineralwolle und einer Zellulose-Acetat-Mischung.

1600 Liter Trafo-Öl als Brandbeschleuniger?

Das interne „Einsatzmerkblatt für Eisenbahnfahrzeuge“ der DB, das dieser Zeitung ebenfalls vorliegt, warnt bei Rettungseinsätzen ausdrücklich vor „Gefahren durch Flüssigkeiten und Gase“. So sind beim ICE die Antriebsmotoren unter einigen Wagen angebracht und auch die zur Stromversorgung nötigen zwei Hochleistungstransformatoren mit jeweils 1640 Liter bis zu 110 Grad heißem Trafo-Öl sind dort befestigt. Das Ölausgleichsgefäß wiederum befindet sich auf dem Dach hinter der Verkleidung des Hochspannungs-Stromabnehmers und ist über Rohrleitungen mit dem jeweiligen Unterflur-Trafo verbunden.

Diese Konstellation könnte bei einem Trafodefekt den Brand beschleunigt und die große Hitzeentwicklung verursacht haben, wird in Fachkreisen vermutet. Als Konsequenz aus dem Unglück wird ein noch besserer Brandschutz bei den ICE-Zügen gefordert. Nötig seien an kritischen Stellen vor allem Rauchmelder, damit ein Feuer vom Zugpersonal und den Leitstellen schnell entdeckt werden kann. Bisher gebe es solche Detektoren nur im neuen ICE 4 und den jüngsten ICE 3 (Velaro). In der vorhandenen Flotte seien die Melder nur stellenweise nach Bränden nachgerüstet worden, bei den vielen älteren ICE 3 der Baureihen 403 und 406 fehlten sie im Fahrgastbereich ganz.

„Alle ICE benötigen optimalen Brandschutz und Brandschutzmelder“, fordert auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Jung. „Wir können richtig froh sein, dass bei dem Feuer nicht mehr passiert ist“, sagt der Bahnexperte. „Ein Tunnelbrand hätte verheerende Auswirkungen für die Fahrgäste gehabt und eine lange Streckensperrung auf der Bahn-Schnellfahrstrecke Frankfurt-Köln nach sich gezogen“, warnte Jung. Der Unfall zeige auch, dass leistungsfähige Ausweichstrecken im Bahnnetz fehlten, wie schon bei der Tunnelhavarie in Rastatt-Niederbühl auf der Rheintalbahn.

FDP-Politiker fordert rasche Aufklärung

„Die Bahn und die Bundesregierung müssen schon vor den Ermittlungsergebnissen der Brandexperten aufklären, warum offenbar nicht alle in Deutschland verkehrenden ICE mit einem optimalen Brandschutz und Brandschutzmeldern ausgerüstet sind“, fordert der Liberale. Die Berichte über Schwachstellen beim Brandschutz bei den ICE3-Zügen seien beunruhigend.

Auch die Kritiker des Bahnprojekts Stuttgart 21, für das unter der Stadt derzeit 60 km neue Tunnel gebaut werden, zeigen sich besorgt und verweisen darauf, dass das nötige Brandschutzkonzept bereits mehrfach nachgebessert werden musste und erst nach Fertigstellung der Tunnel genehmigt werden soll. „Die jüngste ICE-Brandkatastrophe sollte den S21-Verantwortlichen eine Warnung sein“, heißt es beim Aktionsbündnis, das an diesem Montag im Rathaus Stuttgart öffentlich über Brandschutzmängel bei S21 informieren will.

Fahrzeiten bis zu 80 Minuten länger

Während der Sperrung werden Fernzüge weiter über Koblenz und Mainz umgeleitet und sind bis zu 80 Minuten länger unterwegs. Die Halte in Siegburg/Bonn, Montabaur und Limburg Süd entfallen. Reisende können laut DB von Montabaur mit dem Regionalzug nach Koblenz und dann weiter nach Köln fahren. Reisende von Limburg Süd können nach Limburg und von dort aus mit dem Regionalzug nach Frankfurt fahren. Von diesem Montag an sollen zusätzliche Züge zwischen Montabaur-Limburg/Süd-Frankfurt Flughafen-Frankfurt/M Hbf eingesetzt werden.

Die Bahn rät, sich vor der Fahrt unter www.bahn.de oder über den DB Navigator zu informieren. Für alle Reisenden auf der Strecke Köln-Frankfurt/Main wurde die Zugbindung für Spar- und Supersparpreise aufgehoben. Darüber hinaus können Reisende, die ein Ticket für eine Fahrt mit Geltungstag bis einschließlich 21. Oktober auf dem betroffenen Streckenabschnitt erworben haben, dieses kostenlos zurückgeben.