Das einstige Rückgrat des Nahverkehrs in der Region ist krisengebeutelt. Politiker schwanken zwischen Verärgerung, Ernüchterung und Fatalismus. Selbst eine dauerhafte Reduzierung des Angebots scheint nicht mehr undenkbar.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Dirk Rothenstein, Chef der Stuttgarter S-Bahn, hat die Flucht nach vorne angetreten. Angesichts einer scheinbar nicht enden wollenden Pannenserie, die Fahrgäste erst verspätet oder gleich gar nicht am Ziel angekommen lässt, hat der Bahn-Vertreter am Mittwoch in der Sitzung des Verkehrsausschusses der Regionalversammlung öffentlich um Entschuldigung gebeten. Die Geste, die menschliche Größe beweist, wurde von den Regionalräten, die den S-Bahn-Verkehr verantworten, zur Kenntnis genommen und hat wohl das anschließende Scherbengericht für den S-Bahn-Chef etwas milder ausfallen lassen.

 

Große Verärgerung in der Region

Gleichwohl haben Vertreter nahezu aller Fraktionen sowie Regionaldirektor Alexander Lahl klargemacht, dass die derzeitige Leistung des Verkehrsunternehmens indiskutabel ist. Einig war man sich allerdings auch in der Analyse, dass kurzfristige und dauerhafte Besserung kaum zu erwarten ist. „Unsere Verärgerung ist groß. Lösungen zu finden kommt aber einer Quadratur des Kreises gleich“, sagte Lahl.

Anlass für Rothensteins Canossa-Gang war die Ankündigung, die Linie S 3 mindestens bis Ende April nur alle halbe Stunde fahren zu lassen und damit den aktuellen Takt zu halbieren. Die Bahn sieht sich dazu aus einem Grund gezwungen, der die Regionalräte einigermaßen fassungslos machte. Derzeit liefert der Hersteller Alstom neue S-Bahnen der Baureihe 430 aus, von der in Stuttgart auch schon ältere Modelle unterwegs sind. Weil sich aber zwischen den Zulassungsverfahren der beiden Fahrzeuggenerationen gleichen Bautyps der Rechtsrahmen geändert habe, sind sich der Hersteller und das Eisenbahn-Bundesamt in Verfahrensfragen uneinig, sodass die Züge nicht zusammen gekuppelt unterwegs sein dürfen. Ein hoher Krankenstand, gehäuft auftretende Unzulänglichkeiten an Gleisen und Signalen und weiterhin noch nicht reparierte Züge, die im vergangenen Sommer beim Umleitungsverkehr wegen des gesperrten Innenstadttunnels Schaden genommen haben, verschärfen die Situation weiter. Zudem ist die Flottenstärke reduziert, weil Züge in den Werkstätten auf die neue Sicherungstechnik ETCS umgerüstet werden, ohne die nach der Inbetriebnahme von Stuttgart 21 nichts mehr geht.

Angesichts des Zustands, in dem bisher 47 der 58 bestellten neuen Züge in Stuttgart angekommen sind, brachte Rothenstein einen Abnahmestopp für die noch ausstehenden elf Einheiten ins Gespräch. Eine Option die ähnlich radikal ist, wie die Überlegung von Regionalrat Michael Lateier (Grüne) für Entlastung im Fuhrpark zu sorgen, indem der 15-Minuten-Takt außerhalb der Hauptverkehrszeiten ausgesetzt werden könnte. Ein Vorschlag, der umgehend von CDU und FDP zurückgewiesen wurde. Sowohl Frank Buß (Freie Wähler) wie auch Gabriele Heise (FDP) kritisierten die bürokratischen Vorgaben, die kaum mehr einzuhalten seien. „Wir werfen uns selbst Knüppel zwischen die Beine“, monierte Buß. Thomas Leipnitz (SPD) nannte die Diskussion über das Zulassungsverfahren für die Züge „nicht mehr vermittelbar“. Rainer Ganske (CDU) brachte die Möglichkeit ins Spiel, den Hersteller zur Kasse zu bitten und mit diesem Geld die leidtragenden Fahrgäste zu entschädigen.

Der Hersteller muss sich erklären

S-Bahn-Chef Rothenstein kündigte an, verstärkt in die Information der Fahrgäste über die Einschränkungen zu investieren. Spontanen Applaus bekam er für seinen Dank an die Mitarbeiter der S-Bahn, die eine schwierige Situation auszubaden haben, die sie nicht verantworten. Einen Beschluss fassten die Regionalräte nicht, sie nahmen Rothensteins Erklärungen „knirschend zur Kenntnis“, wie Regionalpräsident Thomas Bopp (CDU) sagte. In der März-Sitzung des Verkehrsausschuss soll ein Vertreter des Fahrzeugherstellers zu dem Fiasko Stellung nehmen.