In der gefliesten Metzgersküche füllen sie jetzt Wurstmasse in Schweinedärme, und Hasan bindet die fertigen Würste mit einer Schnur ab. „In Gerchsheim funktioniert das mit der Integration“, sagt Metzgermeister Erwin Knab. Auch weil gar nicht so viele Flüchtlinge gekommen seien und diejenigen, die hier wären, sich dann eben arrangieren mussten. „Man kennt und hilft sich gegenseitig, und so bringt man die Leute in Arbeit.“ Wenn es weiter so gut läuft, sagt Knab, könne Hasan in einem Jahr die Arbeit eines Fleischers alleine hinbekommen. Für Knab und seinen Laden wäre das gut: „Das größte Problem ist hier momentan der Personalmangel“, sagt er. Nicht nur in der Fleischerbranche, sondern überall im Handwerk – der Zimmerman nebenan habe die gleichen Schwierigkeiten.

 

Am Spätnachmittag sind die Dorfstraßen leer. Nur auf dem Platz zwischen Rathaus, Kirche und Volksbank reißt ein älterer Mann in Arbeitshose und mit Schildmütze Unkraut aus dem Rosenbeet. An der kleinen freien Tankstelle am Ortseingang ist jetzt Stammtischzeit. Fast jeden Tag kommen am frühen Abend ein paar zusammen, trinken ein, zwei Biere und gehen wieder nach Hause. Früher, in den 70ern oder 80ern, gab es in Gerchsheim noch fünf Gaststätten. Heute ist die Tankstelle mit Ausschank die einzige Adresse für ein Feierabendbier – jedenfalls an den Tagen, an denen der Landgasthof Ruhetag hat. Das Gesellige, sagen sie am Stammtisch, gehe verloren, obwohl das Bier auf dem Land ja immer noch bezahlbar sei.

Auch die Flüchtlinge sind noch ein Thema im Ort

Wie blickt man in Gerchsheim auf die große Politik? „Unsere hohen Politiker gehen doch am wahren Leben vorbei“, sagt ein Stammtischler. „Die beschließen irgendwas, egal welche Partei, und dann kannst du als kleiner Mann nichts mehr machen.“ In Stuttgart wisse ja sowieso kaum jemand, dass sie hier, am letzten Zipfel des Landes, überhaupt noch zu Baden-Württemberg gehören. Und jedes Mal würden man hier vor den Wahlen wieder schimpfen und sagen: Wir wählen sie jetzt nicht mehr, wir wählen jetzt links. Aber am Ende würden doch wieder 50, 60 Prozent schwarz wählen. „Das ist halt eine christliche Gemeinde, schon von jeher“, sagt ein anderer, „alles gute Katholiken – außer uns.“

Das niedrige Lohnniveau auf dem Land ist so ein Thema, worüber sie sich aufregen. Die steigenden Mietpreise und die fehlenden Baugebiete. Die Frage, wie es einmal mit der Rente gehen wird. Die Schule, die zugemacht wurde, und das Gefühl, dass sie in Gerchsheim gegenüber Großrinderfeld vernachlässigt würden.

Und dann die Flüchtlinge. Auch die sind noch ein Thema im Ort. „Da war vor zwei Jahren schon Unzufriedenheit mit Berlin zu spüren“, sagt die Tankstellenbetreiberin, die im Türrahmen zwischen Kasse und Lokal steht. „Dass man da sagt, wir schaffen das, und wir müssen es dann stemmen.“ Ein paar aus der Runde widersprechen. Wenn man die Menschen, die da kommen, entsprechend begleite, dann gehe das alles mit der Integration und der Arbeit, das sehe man doch in Gerchsheim. „Meiner Meinung nach mussten wir jeden Flüchtling aufnehmen, das gehört gesetzlich und christlich dazu“, sagt einer. „Unser Versagen ist, dass wir nicht rechtzeitig mitgeholfen haben in Syrien, dass die Leute dort bleiben konnten.“

Aber der Strukturwandel hinterlässt auch in Gerchsheim seine Spuren. Bis in die 70er Jahre war hier alles Landwirtschaft. Davon merkt man heute nichts mehr. Im Winter wird wohl der letzte Milchbauer seine Kühe verkaufen. Im vergangenen Jahr haben die Schule und die Sparkasse zugemacht. „Das hat die Leute sehr getroffen“, sagt Damian Samulski. „Vor allem, weil es eigentlich genug junge Familien gibt, die hier wohnen wollen.“

Gerchsheim liegt direkt an der Grenze zu Bayern, hat eine eigene Autobahnabfahrt und um die 1500 Einwohner. Glaubt man Ortsvorsteher Heinz Schmitt, dann singt man hier das Frankenlied, auch wenn sie ja offiziell Badener sind. In den siebziger Jahren wurde Gerchsheim mit drei anderen Orten zur Gesamtgemeinde Großrinderfeld. Verwaltungseinheit nennen sie das, aber als Einheit wollen sich die Leute bis heute nicht so recht fühlen. Weil jede Teilgemeinde Angst hat, dass die anderen mehr bekommen.

In Syrien war Haitham Hasan Rechtsanwalt, jetzt ist er Fleischer – und Imker

Ein paar Meter die Straße rauf, im Schlachthaus der Metzgerei Knab, steht Haitham Hasan, 32, an einem Stahlbecken und drückt mit einem Plastiksieb Gelbwürste unter Wasser. Dienstags fangen sie immer mit Gelbwürsten an, große und kleine, mit Petersilie und ohne, danach kommen die Bratwürste, 50 bis 100 Kilo. „Als Muslim esse ich keine Wurst vom Schwein, aber sie zu machen, ist für mich kein Problem.“ Hasan holt die Ringe aus dem Wasser und hängt sie der Reihe nach in ein Metallgestell. In Syrien wusste Hasan nicht mal, dass es so viele verschiedene Wurstsorten gibt: Gelbwurst, Bratwurst, scharfe Salami, normale Salami, Putensalami.

Früher, in Damaskus, war Haitham Hasan Rechtsanwalt. Vor zwei Jahren flüchtete er vor dem Krieg nach Deutschland, wo er ein paar Monate nach seiner Ankunft bei McDonald’s in Tauberbischofsheim Arbeit fand. Als er nach Gerchsheim kam, war das mit der Busanbindung in die Stadt und den Schichtzeiten schwierig, also half ihm der Ortsvorsteher, den neuen Job zu bekommen. Was er arbeitet, sei nicht so wichtig. Aber dass er arbeitet und eigenes Geld verdient, das sei wichtig – auch um von den Leuten respektiert zu werden.

Jetzt steht er jeden Morgen ab 6 Uhr in der Metzgerei. Nach der Arbeit kümmert er sich um den Garten, den ihm Leute aus dem Ort zur Verfügung gestellt haben, und um seine Bienenvölker. Freizeitimker war er auch schon in Syrien, deshalb ist ihm die Arbeit mit den Händen nicht fremd. Er habe richtig Glück gehabt mit Gerchsheim, sagt Hasan: das Leben auf dem Land, die freundlichen Menschen.

„Unsere Politiker gehen am Leben vorbei“

In der gefliesten Metzgersküche füllen sie jetzt Wurstmasse in Schweinedärme, und Hasan bindet die fertigen Würste mit einer Schnur ab. „In Gerchsheim funktioniert das mit der Integration“, sagt Metzgermeister Erwin Knab. Auch weil gar nicht so viele Flüchtlinge gekommen seien und diejenigen, die hier wären, sich dann eben arrangieren mussten. „Man kennt und hilft sich gegenseitig, und so bringt man die Leute in Arbeit.“ Wenn es weiter so gut läuft, sagt Knab, könne Hasan in einem Jahr die Arbeit eines Fleischers alleine hinbekommen. Für Knab und seinen Laden wäre das gut: „Das größte Problem ist hier momentan der Personalmangel“, sagt er. Nicht nur in der Fleischerbranche, sondern überall im Handwerk – der Zimmerman nebenan habe die gleichen Schwierigkeiten.

Am Spätnachmittag sind die Dorfstraßen leer. Nur auf dem Platz zwischen Rathaus, Kirche und Volksbank reißt ein älterer Mann in Arbeitshose und mit Schildmütze Unkraut aus dem Rosenbeet. An der kleinen freien Tankstelle am Ortseingang ist jetzt Stammtischzeit. Fast jeden Tag kommen am frühen Abend ein paar zusammen, trinken ein, zwei Biere und gehen wieder nach Hause. Früher, in den 70ern oder 80ern, gab es in Gerchsheim noch fünf Gaststätten. Heute ist die Tankstelle mit Ausschank die einzige Adresse für ein Feierabendbier – jedenfalls an den Tagen, an denen der Landgasthof Ruhetag hat. Das Gesellige, sagen sie am Stammtisch, gehe verloren, obwohl das Bier auf dem Land ja immer noch bezahlbar sei.

Auch die Flüchtlinge sind noch ein Thema im Ort

Wie blickt man in Gerchsheim auf die große Politik? „Unsere hohen Politiker gehen doch am wahren Leben vorbei“, sagt ein Stammtischler. „Die beschließen irgendwas, egal welche Partei, und dann kannst du als kleiner Mann nichts mehr machen.“ In Stuttgart wisse ja sowieso kaum jemand, dass sie hier, am letzten Zipfel des Landes, überhaupt noch zu Baden-Württemberg gehören. Und jedes Mal würden man hier vor den Wahlen wieder schimpfen und sagen: Wir wählen sie jetzt nicht mehr, wir wählen jetzt links. Aber am Ende würden doch wieder 50, 60 Prozent schwarz wählen. „Das ist halt eine christliche Gemeinde, schon von jeher“, sagt ein anderer, „alles gute Katholiken – außer uns.“

Das niedrige Lohnniveau auf dem Land ist so ein Thema, worüber sie sich aufregen. Die steigenden Mietpreise und die fehlenden Baugebiete. Die Frage, wie es einmal mit der Rente gehen wird. Die Schule, die zugemacht wurde, und das Gefühl, dass sie in Gerchsheim gegenüber Großrinderfeld vernachlässigt würden.

Und dann die Flüchtlinge. Auch die sind noch ein Thema im Ort. „Da war vor zwei Jahren schon Unzufriedenheit mit Berlin zu spüren“, sagt die Tankstellenbetreiberin, die im Türrahmen zwischen Kasse und Lokal steht. „Dass man da sagt, wir schaffen das, und wir müssen es dann stemmen.“ Ein paar aus der Runde widersprechen. Wenn man die Menschen, die da kommen, entsprechend begleite, dann gehe das alles mit der Integration und der Arbeit, das sehe man doch in Gerchsheim. „Meiner Meinung nach mussten wir jeden Flüchtling aufnehmen, das gehört gesetzlich und christlich dazu“, sagt einer. „Unser Versagen ist, dass wir nicht rechtzeitig mitgeholfen haben in Syrien, dass die Leute dort bleiben konnten.“

„Gejammert wird halt immer“, sagt Ortsvorsteher Schmitt, der mit am Tisch sitzt. „Aber meistens gibts hier aufm Dorf bis auf ein paar Nachbarschaftsstreits ja verhältnismäßig wenig Konflikte.“

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