In der Friedhofskultur vollzieht sich ein Wandel. Gräber sollen möglichst wenig Zeit und Geld kosten.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart-Plieningen - Gras bedeutet Platz. Wo Wiese wächst, sind Gräber zu vergeben. Auf dem Urnenfeld des Plieninger Friedhofs ist derzeit mehr frei als belegt. Die Stadt Stuttgart hat im nördlichen Teil Grabreihen angelegt, als die Kapazitäten noch angespannt waren. Bis in die 1980er Jahre war der Platz für neue Gräber auf den Friedhöfen in Stuttgart spärlich vorhanden. Inzwischen zeigt sich ein anderes Bild.

 

Maurus Baldermann ist auf den Plieninger Friedhof neben der Martinskirche gekommen, um über Dinge zu sprechen, über die die wenigsten Menschen gern sprechen. Der Steinmetz- und Bildhauermeister arbeitet fürs Friedhofsamt. Maurus Baldermann sagt, dass sich das Verhältnis der Menschen zur letzten Ruhestätte verändert. Immer mehr Leute würden darauf achten, dass ein Grab sie so wenig wie möglich Zeit und Geld kostet. „Der Trend geht zum pflegefreien Grab“, sagt er.

Es gilt: Je kleiner das Grab, desto geringer der Aufwand. Im Jahr sterben 5500 Menschen in Stuttgart, zwei Drittel von ihnen werden nach ihrem Tod eingeäschert. Immer mehr Leute wollen zudem ein Baumgrab. Das bedeutet, dass der Verstorbene in unmittelbarer Nähe zu einem Baum begraben wird, die kleine Gedenktafel mit dem Namen hängt dann am Stamm. Eine solche Bestattung ist seit 2005 auf dem Waldfriedhof in Degerloch möglich, und seit 2010 auf dem Neuen Friedhof in Weilimdorf. Sind im ersten Jahr in Degerloch 54 Gräber dieser Art erworben worden, waren es 2011 doppelt so viele. Auch in Weilimdorf ist die Nachfrage von 21 im Jahr 2010 auf 54 im Jahr 2011 angestiegen.

Die Sparsamkeit hält auf den Friedhöfen Einzug

Ein Zeichen für den Wandel der Friedhofskultur sind zudem die neue Gemeinschaftsgrabanlage auf dem Hauptfriedhof in Bad Cannstatt. Im Sommer hat die Stadt das Projekt vorgestellt. Entscheiden sich Angehörige für eines dieser Gräber, sparen sie Geld und Zeit. Ab 7900 Euro für 20 Jahre bekommen sie hier ein Grab mit allem Drum und Dran. Der Preis, den sie zahlen: Individualität gibt es keine. Gedenkstein und Schmuck sind im Einheitsgewand. Maurus Baldermann sagt, die Stadt müsse mit der Zeit gehen, sie müsse Angebote für die Nachfrage schaffen. „Und die müssen so sein, dass sich die Menschen schnell entscheiden können“, sagt er. „Die jungen Leute leben im Hier und Jetzt, sie befassen sich ungern mit diesen Themen.“

Dass die Sparsamkeit auf den Friedhöfen Einzug hält, ist das eine. Die Stadtverwaltung will jedoch auch die Wünsche derjenigen erfüllen, die mit einem Gemeinschaftsgrab zur vergleichsweise günstigen Gebühr nichts anfangen, die es dafür lieber etwas extravaganter oder persönlicher mögen. „Wir versuchen wirklich, alles möglich zu machen“, sagt Maurus Baldermann. „Die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden.“ Was für Lebzeiten gilt, soll sich auch auf dem Gottesacker widerspiegeln.

So will das Stuttgarter Friedhofsamt beispielsweise auch den Sitten und Bräuchen fremdländischer Kulturen gerecht werden. Dazu passt, dass das Bestattungsrecht in Baden-Württemberg zur Disposition steht. Geht es nach den Landtags-Fraktionen von CDU, Grünen, SPD und FDP, dürfen Verstorbene künftig auch ohne Sarg beerdigt werden. Zudem soll die Frist bis zur Bestattung verkürzt werden.

Die Liegezeit gilt nicht mehr unbegrenzt

Zwar macht die Moderne auch vor einem Dorffriedhof wie dem Plieninger nicht Halt. Aber wenn sich Maurus Baldermann umschaut, beruhigt ihn, was er sieht. Hüben das einstige Leichenhäusle, erbaut vor fast 200 Jahren. Drüben der Turm der altehrwürdigen Martinskirche. „Es wurde immer die Nähe zum Altar gesucht“, sagt Maurus Baldermann. Trotz der Nachbarschaft zum Gotteshaus sei ihm allerdings nicht bekannt, dass der Plieninger Friedhof je kirchlich gewesen sei. Heute gibt sowieso nur noch einen einzigen kirchlichen Friedhof in Stuttgart: den evangelischen Friedhof in Uhlbach. Doch auch auf diesem Gottesacker herrschen mittlerweile die weltlichen Gepflogenheiten.

Zu diesen Gepflogenheiten gehört, dass die Liegezeit nicht mehr unbegrenzt gilt. Die Frist endet nach 20 Jahren. Haben sich die Angehörigen für ein Wahlgrab entschieden, können sie jeweils um mindestens fünf weitere Jahre verlängern. Haben sie derweil ein Reihengrab ausgewählt, endet die Liegezeit so oder so nach 20 Jahren.

Dies ist übrigens auch ein Grund dafür, dass sich die Reihen der letzten Ruhestätten in neuerer Zeit lichten. Viele Leute geben die Gräber ihrer verstorbenen Angehörigen nach 20 Jahren zurück. Und die Großfamilie, die sich über Generationen einen Grabplatz mietet, ist ebenfalls ein Relikt aus der Vergangenheit. In Stuttgart sind jedenfalls alle Ausbaupläne auf Friedhöfen einstweilen gestoppt.

Die Wahl des Grabs ist auch eine Frage des Preises:

Wahlgrab:
Für eine Erdbestattung in einem Wahlgrab fallen Gebühren in Höhe von 1660 Euro für 20 Jahre an. Die Angehörigen dürfen sich einen Platz aussuchen, eine Verlängerung der Liegezeit ist möglich. Ein Erdgrab in einer besonderen Lage kostet 2480 Euro. Ein Wahlgrab für Urnen kostet 1520 Euro.

Reihengrab:
Ein Grab in der Reihe zu wählen, bedeutet, dass der Verstorbene an der nächsten freien Stelle beerdigt wird. Bei Erdbestattungen kostet dies 827 Euro für 20 Jahre. Die Gebühren für ein Urnengrab in der Reihe liegen bei 763 Euro. Die Liegezeit bei Reihengräbern ist grundsätzlich nicht verlängerbar.

Gemeinschaftsgrab
: Seit dem Sommer gibt es in Stuttgart Gemeinschaftsgräber. Ihre Einheitlichkeit drückt den Preis. Hier ist eine letzte Ruhestätte von 7900 bis 8030 Euro zu bekommen – je nach Ausstattung. Im Preis inbegriffen ist jeweils die Gebühr für 20 Jahre, der Gedenkstein sowie die Grabpflege.