Während die Stadt Leinfelden-Echterdingen laut einer bundesweiten Städtebaustudie auf Wachstumskurs liegt, findet sich die Nachbarkommune Filderstadt unverhofft auf der Schrumpf-Liste wieder – ebenso wie Neuhausen auf den Fildern, Waldenbuch und Steinenbronn.

Rems-Murr: Sascha Schmierer (sas)

Filder - Es ist nicht so, dass Filderstadt in absehbarer Zeit urplötzlich von der Landkarte verschwinden würde. Doch ein Aufwärtstrend war aus Sicht von Städtebau-Experten in der zweitgrößten Kommune des Landkreises Esslingen in der Vergangenheit auch nicht erkennbar. Im Gegenteil: Eine bundesweite Studie über die Entwicklung der Städte und Gemeinden schlägt Alarm – und stellt Filderstadt ein denkbar schlechtes Zeugnis aus.

 

Während die Nachbarstadt Leinfelden-Echterdingen nach wie vor zu den Boom-Kommunen der Republik gezählt wird, sprechen die Kennzahlen bei Filderstadt inzwischen vom Schrumpfkurs. Mit den Lokomotiven des Landes, so die Botschaft der Untersuchung, kann die fast 45 000 Einwohner zählende Mittelstadt jedenfalls nicht mithalten. Während der Wachstumszug andernorts mit ICE-Geschwindigkeit durch die Zeit zischt, ist Filderstadt bei der Entwicklung weiterhin mit dem Tempo einer Vorort-Bummelbahn unterwegs – und droht, den Anschluss zu verlieren.

Wachstumszug im ICE-Tempo – oder Vorort-Bummelbahn

Diese Sicht legen zumindest die sechs Kennzahlen nahe, die das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung in einer aktuellen Studie als Gradmesser für die Entwicklung der Kommunen benutzt. Unter die Lupe genommen haben die Bonner Wissenschaftler nicht nur die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen Jahre, sondern auch den Wanderungssaldo und das Auf und Ab der Arbeitslosenquote.

Außerdem fließen die Entwicklung der Menschen im erwerbsfähigen Alter und die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in die Studie ein. Der letzte Parameter für das bundesweit gültige Rechenmodell ist die Entwicklung der Gewerbesteuer – ohne Moos ist schließlich auch im schönsten Rathaus nix los.

Die Ballungsräume boomen – die Provinz blutet aus

Nach diesem Bewertungsmuster haben die Städtebau-Experten der beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit angedockten Einrichtung die Kennzahlen der Kommunen bundesweit betrachtet – und in wachsende und schrumpfende Städte und Gemeinden eingeteilt. Nachgewiesen wird mit der Untersuchung nicht nur die Binsenweisheit, dass die Großstädte der Republik nach wie vor boomen und die Provinz stark ausblutet. Vor allem in Ostdeutschland, aber auch in weiten Teilen von Rheinland-Pfalz und Hessen droht ganzen Landstrichen eine schleichende Entvölkerung.

Mit Blick auf die sinkenden Einwohnerzahlen und den demografischen Wandel zeigt sich aber, dass es auch im so genannten Speckgürtel wirtschaftsstarker Ballungsräume bröckelt. Ähnlich wie die Stadt Filderstadt werden auch Reutlingen oder Leonberg, Sindelfingen oder Waiblingen zu den Städten mit Minustrend gezählt. Selbst drei „stark schrumpfende“ Kommunen aus der Region sind auf der interaktiven Deutschlandkarte zu finden: Aichtal im Kreis Esslingen, Alfdorf im Rems-Murr-Kreis und Schönaich im Kreis Böblingen sitzen auf einem morschen Ast.

Neuere Entwicklungen sind nicht in die Studie geflossen

Allerdings: Wegen ihrer eher veralteten Datenbasis sind an der Studie durchaus auch Zweifel angebracht. Aktuelle Entwicklungen – wie die auch für die Gewerbesteuer wichtige Ansiedlung der Boss-Logistik oder die beginnende Erschließung im Filder-Airport-Areal – sind ins Resultat ebenso wenig eingeflossen wie die mit der S-Bahn-Verlängerung verbundene Hoffnung auf einen Wachstumsschub. Und auch die Gewichtung der Kennzahlen wirft Fragen auf: So darf sich die Landeshauptstadt Stuttgart auch mit einem Rückgang der Gewerbesteuer von fast 46 Euro pro Einwohner als Lokomotive der Region fühlen – während sich Städte mit einem zwar kleinen, aber feinen Zuwachs auf der Schrumpfkurs-Liste finden.

Filderstadts Baubürgermeister Reinhard Molt fühlt sich durch die Städtebau-Studie deshalb auch nicht beunruhigt. „Das Ergebnis bereitet mir keine schlaflosen Nächte“, spricht er von „teilweise nicht ganz nachvollziehbaren Schlussfolgerungen“ der Bonner Wissenschaftler.

Kritik: Mit sechs Kennzahlen zu grob gestrickt

Molt bemängelt vor allem, dass die Untersuchung mit ihren nur sechs Kennzahlen „zu grobflächig gestrickt“ sei, um ein wirklich stimmiges Bild der Realität nachzuzeichnen. Zu wenig beleuchtet ist seiner Ansicht nach die Infrastruktur, die der Bevölkerung zur Verfügung steht – und in mancher Nachbarkommune eben nicht. Ohnedies darf sich Filderstadt in bester Gesellschaft fühlen – auch Neuhausen auf den Fildern oder die als „kleine Kleinstadt“ zusammengefassten Nachbarorte Waldenbuch und Steinenbronn befinden sich auf der Liste der schrumpfenden Kommunen.

Übrigens: Auch das Bundesinstitut selbst stellt in seiner Studie ausdrücklich fest, dass es „westeuropäische Gesellschaften verlernt haben, dass Entwicklung nicht immer gleichbedeutend mit quantitativer Zunahme ist“. Um so größer ist auch die politische Herausforderung, auf ein Ende der Wachstumskurve zu reagieren.