Auf nicht ganz erst gemeinte Weise betrachtet unser Autor in der Kolumne „Filderspitzen“, was sich auf den Fildern mitunter Kurioses tut. Diesmal geht es um die Asylunterkunft Nödinger Hof, die bei gleichzeitigem Hotelbetrieb zum Ort skurriler Begegnungen hätte werden können.

Stetten - Eine Übernachtung im Hotel buchen wollen, aber in der Flüchtlingsunterkunft landen, das wäre für Durchreisende in Stetten bis vor Kurzem möglich gewesen, hätte der Landkreis Weitsicht besessen. Dort ist nur noch die Inschrift „NÖDINGERHOF“ zu lesen. Die letzten Hinweise auf den Hotelbetrieb hat der Kreis entfernen lassen. Vor rund zwei Jahren hatte er den Nödinger Hof gekauft und zur Unterkunft für die Unterbringung von 150 bis 160 Flüchtlingen umbauen lassen. Ein Zimmer konnte man deshalb im einstigen Hotel an der Hauptstraße, die dem beschaulichen Stetten im Niemandsland zwischen Echterdingen, Bernhausen und Plattenhardt erst so richtig Leben einhaucht, nicht mehr buchen. Damit ist dem Kreis eine Chance entgangen: Er hätte leer stehende Zimmer an Übernachtungsgäste vermieten können, um die Sanierungskosten von rund 2,2 Millionen Euro zu refinanzieren.

 

Der Urlaub als Flucht vor Plagegeistern

Konflikte mit den Asylbewerbern hätte es sicher nicht gegeben, denn Reisende und Flüchtlinge haben zumindest einen kleinen gemeinsamen Nenner. Wenn Heerscharen von Urlaubern in die Berge und an die Strände pilgern, ist dies denn nicht auch eine Art von Flucht – vor den Lehrern, der Kanzlerin, dem Fiskus, der Ehefrau oder anderen Plagegeistern? Das Asyl-Hotel Nödinger Hof also als Ort der Begegnungsmöglichkeiten: der vom Finanzamt Gepeinigte im brüderlichen Gespräch mit dem Regimegegner aus der Dritten Welt – und das im Ambiente des ehemaligen Drei-Sterne-Hotels, einem Lifestyle-Kompromiss zwischen Onkel Toms Hütte und dem Fünf-Sterne-Luxus einiger Stuttgarter Edelherbergen. Dazu dann noch für alle die erkennungsdienstliche Behandlung, die Überprüfung durch den Verfassungsschutz und die Untersuchung vom Amtsarzt – und das alles zum All-Inclusive-Preis. Gleich zwei Fluchttreppen, die der Landkreis für Brandfälle anbauen ließ, hätten den Gästen als Nervenkitzel die Illusion vermittelt, das Hotel stehe in Sachsen oder in Brandenburg. Mit der dazu passenden Werbestrategie unter dem Slogan „Übernachten wie Flüchtlinge in Hoyerswerda“ wären Gäste gekommen, die dafür mehr ausgegeben hätten als für ein normales Hotel. Schlecht behandelt werden und viel bezahlen ist durch Boot-Camps ja auch im Fitnessgewerbe ein Trend. Dabei lassen sich biedere Bürohengste von Kommiss-Schleifern mit einem kernigen „Den Hintern nicht durchhängen lassen beim Liegestütz, ihr Schlappschwänze!“ durch die Gegend jagen.

Erlebnisunterkunft in einem Projekt zur Resozialisierung

„Menschen im Hotel“ heißt ein Roman von Vicky Baum, der 1932 mit Greta Garbo verfilmt wurde. Auch der Nödinger Hof hätte sicher den bewährten Mix interessanter, banaler und seltsamer Begegnungen geboten wie die Herberge im Berlin der 1920er Jahre im Buch der Autorin. Möglicherweise hätte sich ein geheimnisvoller, immer wieder im Hotel auftauchender Reisender als Kurt Beck (SPD) entpuppt. Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident suchte schon vor rund zehn Jahren nach einem gemäßigten Taliban, um frei nach Churchills Devise „Lieber Bla-Bla als Peng-Peng“ einen Friedensdialog in Afghanistan in Gang zu bringen. Auch heute noch soll sich der ehrbare Sozialdemokrat unter Afghanen auf der Suche befinden. Im unwahrscheinlichen Erfolgsfall droht dem wackeren Paschtunen, den er aufspürt, ein gemütliches Gespräch über die Vorzüge der repräsentativen Demokratie in einem föderalistischen System – und das alles bei leckerem pfälzischem Saumagen und mindestens einem Schoppen Rotwein.

Auch als Erlebnisunterkunft in einem Projekt zur Resozialisierung von Rechtsradikalen hätte der Nödinger Hof getaugt. Letzteren wäre angesichts der Syrer, Iraker und Afghanen ein Gefühl des Umzingeltseins vermittelt worden, wie es einst die Burgunder des Nibelungenlieds an Attilas Hof, neuerdings Nödinger Hof, erlebten. Asylbewerber vom schwarzen Kontinent hätten die deutschen Braunen in Anthropologie-Seminaren darüber belehrt, dass, wie Lucys Kieferknochen beweist, auch Adolf-Nazis Vorfahren Afrikaner waren. Die Flüchtlinge wiederum hätten von den Nazis lernen können, dass man in der neuen Heimat offenbar auch mit Dummheit durchs Leben kommt, und Skinheads hätten demonstriert, wie man sich durch Einsatz von Fäusten und Baseballschlägern beim Argumentieren die mühsame Anwendung der deutschen Grammatik und Syntax ersparen kann.

Architektur genügt, um Städte zu verwüsten

Heimatgefühl entsteht oft nur durch den Kontrast, und welcher wäre denn brutaler als der zwischen Plattenhardt und Stuttgart. Ein fixer Bestandteil des Lebens am Nödinger Hof wären deshalb Ausflüge dorthin. Vor einigen Jahren hatte die Partei „Die Partei“ eine Vision Trumpscher Dimension: Sie forderte eine Mauer zwischen Stetten und Plattenhardt – vermutlich zum Schutz der Stettener vor dem Anblick der Plattenhardter und umgekehrt. Ein Rundgang durch den vergleichsweise malerischen Filderstädter Stadtteil würde den Flüchtlingen zeigen, dass es nicht ganz so schlimm ist, wie die „Die Partei“ einst vermutete, und dass die Plattenhardter kulturell sogar mit den Stettenern auf einer Stufe stehen. Ein Rundgang unter dem Arbeitstitel „Schlimmer geht nimmer“ durchs Stuttgarter Europaviertel nördlich des Hauptbahnhofs beim Bücher-Knast wäre geeignet, den Asylbewerbern zu zeigen, dass man keine Bomben braucht, um Städte zu verwüsten, denn Architektur genügt. Zurück im Nödinger Hof würden die Asylbewerber befreit aufatmen und im Chor ausrufen: „Wie schön ist es doch auf den Fildern.“