Mit einem Traktor-Oldtimer fahren Renate und Karl-Heinz Frahm Ende Juli von Filderstadt-Bernhausen nach Norderney. An Ampeln bittet die 74-Jährige den Allmächtigen um Hilfe – aus gutem Grund.

Bernhausen - Im üppig mit blühenden Rosen bestandenen Garten des Ehepaars Frahm herrschen drückende Sommer-Temperaturen. „Ich kann die Hitze nicht ab“, sagt Renate Frahm. Muss sie auch nicht mehr lange, denn bald geht’s in den kühleren Norden. Ende Juli fahren sie zur Nordseeinsel Norderney. Neun Tage lang brauchen sie für die Hinfahrt, denn sie fahren mit einem Traktor-Oldtimer des Baujahrs 1955. „Ich habe ihn vergammelt in einer Scheune im Schwarzwald gefunden“, erzählt Karl-Heinz Frahm.

 

Der 79-jährige Hamburger, den es 1970 mit seiner heute 74-jährigen Gattin nach Bernhausen verschlagen hatte, nahm sich des alten Vehikels der Marke Kramer an: „Zuerst war das eine reine Bastelarbeit.“ Die Aufgabe, den Traktor auf Vordermann zu bringen, war für den Hanseaten, der bis zu seinem Rentnerdasein mit seiner Frau als Kraftfahrzeugsachverständiger ein Ingenieurbüro betrieben hatte, keine große Herausforderung: „Der Traktor wurde am Bodensee gebaut. Die Ersatzteile bekommt man noch, sie sind nur teuer, vermutlich wegen der Lagerhaltung.“

Der Nachbar gab die Anregung für Hamburg

Als der Traktor fertig war, verpasste ihm Frahm eine Lackierung in Signal-Grün mit signalroten Elementen. „Dann sagten wir, dass er zu schade sei, um nur in der Ecke zu stehen. Ein Nachbar, der ebenfalls aus Hamburg stammt, schlug eine gemeinsame Fahrt in die Hansestadt vor. „Er hat einen Rückzieher gemacht, aber wir beide sind im Jahr 2008 gefahren“, sagt Renate Frahm.

Bei der Fahrt mit elf PS entdeckten die beiden zwangsläufig den Reiz der Entschleunigung. „Man sieht jede Blume am Wegrand. Deutschland ist wunderschön“, sagt Renate Frahm. Die längste Fahrt legten sie 2012 ins Ostseebad Zingst zurück. Zehn Tage lang dauerte der Hin- und elf Tage der Rückweg. Kurzreisen führten die beiden in den Schwarzwald, in den Bayerischen Wald oder in den Thüringer Wald. Bisher ist das Ehepaar immer in Deutschland geblieben. „Ob ich mal über die Alpen nach Rom zum Papst fahre, habe ich mir noch nicht überlegt“, sagt Karl-Heinz Frahm.

Beim Loszuckeln nach Norderney wird keine Hektik aufkommen – höchstens an Kreuzungen. Wenn dort bei Grün der Traktor im Schneckentempo in die Gänge kommt, bleibt Karl-Heinz Frahm ruhig, seine Frau wird aber trotz aller Routine immer noch nervös: „Es geht so langsam, dass unsere Spur dann schon Rot hat, und die anderen Ampeln auf Grün schalten. Wir werden von allen Seiten überholt.“ Immer wenn sich die beiden in einem Dorf einer Ampel nähern, schickt Renate Frahm den Stoßseufzer zum Himmel: „Lieber Gott, lass es Grün sein, wenn wir an der Kreuzung sind, damit wir durchfahren können.“ Wie dem auch sei: Böse Erfahrungen haben die beiden mit anderen Verkehrsteilnehmern nicht gemacht. „Viele Auto- und Fernfahrer strecken die Daumen nach oben, wenn sie uns sehen.“

Jede Tagesetappe steht auf einem Blatt Papier

80 bis 100 Kilometer am Tag legen die beiden abseits von Autobahnen ausschließlich auf Landstraßen zurück, mit der Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 bis 18 Kilometern in der Stunde. Vor der Reise hat Karl-Heinz Frahm die Tagesetappen auf einem DIN-A-4-Blatt, das er in eine durchsichtige Kladde neben den Fahrersitz klemmt, festgehalten. Dort stehen die Orte drauf, durch die sie fahren und auch ein paar Hotels und Pensionen für die Übernachtungen. „Wir haben bei der ersten Fahrt ein Navi installiert. Wegen des Rüttelns auf dem Traktor war es nach kurzer Zeit schon kaputt.“ Wenn sie in Norderney angelangt sind, verbringen sie erst einmal elf Tage Urlaub. Dann geht es auf einer anderen Strecke wieder zurück.

Das Reisegepäck ist in einem niederen Anhänger verstaut, auch das Vesper. „Wir halten mittags an und essen im Stehen, weil wir ja lange genug sitzen“, sagt Karl-Heinz Frahm. Übernachtungsmöglichkeiten haben sie fast immer gefunden. Nur in der ehemaligen DDR wurde das Ehepaar dreimal in Hotels abgelehnt, als es mit dem Trecker vorfuhr. „Ich glaube, die haben gedacht, wir gehören zum fahrenden Volk“, sagt Renate Frahm.

Dass die beiden stramm auf 80 Jahre zugehen, sieht man ihnen überhaupt nicht an. „Auf dem Traktor sind wir ja viel an der frischen Luft“, sagt Frahm. Auch die vier Enkelinnen haben sich an die Traktor-Manie ihrer Großeltern gewöhnt. „Früher fanden sie das peinlich, heute sind sie stolz auf uns“, sagt Renate Frahm.