Noch bis Oktober lebt und arbeitet der renommierte Pop-Art-Künstler Andora in Filderstadt. Der Mann, der für den Preis eines Waggons Bananen aus der DDR flog und schon mal eine russische Rakete bemalt hat, will auf den Fildern Kunst schaffen.

Filderstadt - Auf den Turnschuhen sind noch ein paar Farbkleckse zu sehen („obwohl ich sie in die Waschmaschine gesteckt habe“). Auch die Hose beginnt, farbenfroh zu werden, und die eine Seite der Weste ziert eine Mausefalle, auf der anderen Seite ragt ein Smartphone heraus. Es ist das „Gesamtkunstwerk Andora“ – so sieht er sich selbst –, das an diesem Vormittag vor der Städtischen Galerie in Bonlanden sitzt. Dem Ort, in dem er bis Oktober leben und arbeiten wird.

 

Andora, seines Ausweises nach auch Andreas Hoge genannt, stammt aus Ost-Berlin, wurde 1980 aus der DDR ausgebürgert. „Gegen den Gegenwert von einem Waggon voller Bananen“, sagt der 60-Jährige schmunzelnd. Als ausgebildeter Sozialpädagoge war sein beruflicher Weg eigentlich vorgezeichnet, doch der Mann mit den wachen, leuchtenden Augen und der berühmten „Berliner Schnauze“ entschied sich für etwas anderes. „Kunst war und ist für mich die einzige Möglichkeit, anständig durch das Leben zu kommen“, sagt der zweifache Vater, der in Hannover und Berlin lebt.

Als Künstler lebt er irgendwo in diesem Universum

Diesen Weg schlug er nach seiner Einbürgerung in den Westen ein, bemalte zuerst Schuhe und Alltagsgegenstände, dann den Zakspeed-Rennwagen des ehemaligen Formel-1-Piloten Christian Danner, schließlich sogar eine russische Proton-Weltraumrakete. Aufgrund seines ausdrucksstarken, meist farbenfrohen Stils gilt er als Pop-Art-Künstler, definiert das jedoch auf seine eigene Art und Weise. „Alles, was ich mache, ist populär“, sagt Andora. Bei seiner Arbeit spielen soziale Aspekte eine große Rolle, betont der Künstler. Er arbeite mit seinen Bildern gegen das Vergessen und auch gegen die Maßlosigkeit, betrachtet Kunst als Waffe.

Wer mit ihm in diesen Tagen unterwegs ist, wer ihn trifft, erlebt einen Menschen, der schon aufgrund seiner Erscheinung auffällt – und das nutzt, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Ihnen mit viel Humor seine Sicht der Dinge erzählt und sich dabei gleichzeitig ein Bild seines Gegenüber macht. Jemanden, der seine Umgebung neugierig bis hinein ins kleinste Detail wahrnimmt, der von „Spätzle mit Soß“ genauso begeistert ist wie von der aktuellen Ausstellung im Museum Ritter. Der mit seiner Sicht von außen Dinge erkennt, die für viele Menschen hier der Alltag schon verschluckt hat. Und der all das in seinen Aufenthalt in Filderstadt einfließen lassen wird – als Künstler, der auf Facebook als Aufenthaltsort „Universum“ angibt und der zugleich geerdet ist.

Andora will mit Menschen über Kunst reden, wo immer er sie trifft

Dass er nun drei Monate in Filderstadt lebt und arbeitet, hat mit dem Projekt Drehmoment zu tun, das von der Kulturregion Stuttgart organisiert wird. „Es soll der Kunst den Zugang zu industriellen Ressourcen öffnen, indem rund 35 nationale und internationale Künstler in Industrie- und Handwerksbetrieben in verschiedenen Kommunen arbeiten und dort neue Kunstwerke entwickeln“, sagt Ina Penßler vom Kunstbüro Filderstadt. Auf den Fildern wird er – unterstützt von dem in Bonlanden beheimateten, aber international tätigen Unternehmen Herma – unter anderem auch mit den Menschen der Karl-Schubert-Werkstätten Pop-Art-Sitztrommeln (Cajons) für die künftige Produktion gestalten. Diese werden dann regulär zu kaufen sein.

Aber der Wunsch aller Projektpartner ist es, dass Privatmenschen und Unternehmen dem Förderverein der Filderstädter Musikschule Filum Geld spenden, damit dieser die Pop-Art-Cajons erwerben kann, um mit diesen Sitztrommeln Musikerlebnisse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der ganzen Welt zu ermöglichen. „Ein Gewinn für alle Seiten“, ist Penßler überzeugt

Andora will aber noch mehr – „einen offenen Dialog mit den Menschen führen, die sich für die Kunst interessieren“, sagt er. Ihm könnte jedoch noch mehr gelingen: Menschen für Kunst interessieren, die zuvor noch keinen Zugang zu ihr hatte. Oder einfach nur einen neuen, anderen Blick auf die Welt ermöglichen. Berührungsängste muss man keine haben: Der „schräge Vogel“ freut sich über Kontakte zu Firmen, Vereinen, Schulen und Kindergärten, Privatmenschen, hält Vorträge oder Kurse. In der Kunst gibt es dafür auch einen zugegeben sperrigen Begriff: soziale Plastik.

Veranstaltungen mit dem Künstler

Kontakt
Informationen zum Projekt und den Kontakt zu Andora vermittelt Ina Penßler vom Kunstbüro unter Telefon 0711/32 70 00 63 (vormittags). Informationen zu den „Drehmoment“-Veranstaltungen in Filderstadt gibt es unter www.filderstadt.de, zu den Angeboten in der Kulturregion Stuttgart unter www.kulturregion-stuttgart.de.

Besucher
Bis Oktober arbeitet Andora unter anderem in der Städtischen Galerie (Bonlanden, Bonländer Hauptstraße 32/1) und in den Karl-Schubert-Werkstätten (Bonlanden, Kurze Straße 31). Besucher sind herzlich willkommen. Es gibt keine festen Zeiten. Termine
Ab 20. September: „Nicht an diesem Ort – aber in diesen Rahmen“. Dokumentation zum Projekt „Lebe deine Zeit und nutze den Inhalt“ von Herma; Karl-Schubert-Gemeinschaft und Andora in Text und Bild in der VHS (Plattenhardt, Schulstraße 13/1). 23. September: „Kunst & Künstler-Café“ (12 bis 17 Uhr, Städtische Galerie)

Ab September: Kurse zu den Themen Kunst, Handwerk, Produktion (Kunstschule Filderstadt, Anmeldung unter Telefon 07 11/7 73 94 80)

Oktober: Bücherauswahl zu den Themen des Produktionskunstfestivals „Drehmoment“ in der Stadtbibliothek Filderstadt. 7. Oktober: Eröffnungsveranstaltung „Drehmoment“ und Ausstellungseröffnung mit Arbeiten von Andora (11.15 Uhr, Städtische Galerie)

13. Oktober: Percussionskonzert auf den von Andora gestalteten Cajons (von 19 Uhr an in der Musikschule Filum)

14. Oktober: „Künstler + Produktion = Innovation“. Mit GYHJO & Imsimity sowie Volker W. Hamann (14.30 bis 18 Uhr, Städtische Galerie); 14. Oktober: „Andora-Postkarten siebdrucken“ (von 11 Uhr bis 17 Uhr, Siebdrucksammlung Domberger, Uhlbergstraße 36-40)