Am Eduard-Spranger-Gymnasium in Bernhausen lassen sich die Lehrer wie auf dem Kasernenhof anbellen, ehe sie aufeinander losgehen. Das soll entspannend wirken, und schon bald sollen es die Schüler den Erwachsenen gleichtun.

Bernhausen - Zwanzig Lehrer sind paarweise auf der Judomatte der Rundsporthalle in Bernhausen verteilt. Die Hälfte liegt auf dem Rücken, die andere kniet direkt neben ihnen. Auf ein gebelltes Kommando hin stürzen sich die Knieenden auf die Liegenden, und überall auf der klassenzimmergroßen Matte entspinnen sich erbitterte Raufereien. Wieder ein scharfes Kommando, und alle lassen sofort voneinander ab, die Positionen werden gewechselt, und dann beginnen die Kämpfe erneut.

 

Die Lehrer des Eduard-Spranger-Gymnasiums (ESG) sind aber nicht zum Abbau von Stress aus dem Schulalltag hier, und es geht auch nicht um das körperliche Austragen von Konflikten im Kollegium. Sie sind hier, weil sie freiwillig am Projekt „Respekt“ teilnehmen.

Das Kämpfen nach Regeln soll unterschwellige Konflikte lösen

Das ist eine Gewaltpräventionsschulung, die Eugen Keim entwickelt hat. Er ist Polizeibeamter, und er ist derjenige, der die Kommandos bellt und den Lehrern zeigt, wie sie Kampfkunst und Entspannungsübungen zur Gewaltprävention einsetzen können. „Wir kombinieren Entspannungstechniken aus dem Tai-Chi mit den Kampfsportarten Jiu-Jitsu und Judo mit dem Ziel, Entspannung und Kampfkunst zur vereinen. Dabei sollen Werte wie Respekt und Fairness im Umgang miteinander vermittelt werden“, sagt Eugen Keim. Er ist Polizeibeamter, Kampfkunst- und Gewaltpräventionstrainer und bietet „Respekt“ seit ungefähr 20 Jahren an.

Aber wie soll Gewaltprävention durch das Erlernen von Kampftechniken funktionieren? „Der Körperkontakt und das Kämpfen nach klaren Regeln lösen die unterschwelligen Konflikte wie bei Mobbing. Die Übungen führen zu Respekt voreinander. Zudem bieten sie die Möglichkeit, den eigenen Körper zu erfahren“, sagt Keim.

Das hat auch die Schulleitung und die Lehrer am ESG überzeugt. Die Schulleiterin Ursula Bauer hat für das 4600 Euro teure Projekt Sponsorengelder eingeworben, und die Lehrer opfern ihre Wochenenden für den Kurs. Sie wollen das Gelernte an ihre Schüler weitergeben und so selbst als Präventionstrainer arbeiten. Für die Lehrer im Land ist das Thema Gewaltprävention wichtig, laut einer Forsa-Umfrage von 2016 finden fast 60 Prozent von ihnen, dass die Gewalt an Schulen zunimmt.

Der ehemalige Polizist will Disziplin vermitteln

Am Eduard-Spranger-Gymnasium hoffen sie, dass das Projekt Ausgleich schafft und Konfliktkompetenz vermittelt. „Man darf sich heute nicht mehr schlagen, das Projekt gibt da die Möglichkeit, trotzdem eine körperliche Auseinandersetzung zu erfahren und sich gezielt auszupowern“, sagt die Gewaltpräventionslehrerin Sandra Treiber. Sie hat das Projekt gemeinsam mit der Schulsozialarbeiterin an das Filder-städter Gymnasium geholt. Die Schulleiterin Ursula Bauer ergänzt: „Gerade für Jungen in der Mittelstufe ist das Körperliche wichtig. Die erreicht man mit der gesprächsorientierten Konfliktbewältigung von heute oft nicht. Die müssen machen und ihre Kraft ausprobieren, das kommt aber in der digitalisierten Welt von heute oft zu kurz.“

Eugen Keim sieht aber auch für Mädchen Vorteile. „Die Mädchen sind oft angepasst. Mit der Kampfkunst können sie ihre Selbstwirksamkeit erfahren und lernen so, für sich einzustehen.“

Für Keim ist zudem Disziplin ein wichtiger Baustein seines Konzeptes. Deshalb gibt er klare Kommandos, die durchaus an den Ton auf Kasernenhöfen erinnern. „Unsere Gesellschaft bietet heute unzählige Möglichkeiten und Freiheiten, aber nur wenig Orientierung. Junge Menschen suchen aber oft gerade das. Deshalb versuche ich, Disziplin als positives Gefühl zu vermitteln“, sagt er.

Die Schüler werden im nächsten Schuljahr mit dem Projekt in Berührung kommen und ihre eigenen Erfahrungen machen.