Die Reformation hat Heiligenbilder- und Figuren aus Kirchen verbannt. Die Gläubigen in Filderstadt-Plattenhardt leisteten jedoch Widerstand. Sie wandten eine List an, die im Lauf der Jahre jedoch in Vergessenheit geriet.

Plattenhardt - Kurz nachdem Herzog Ulrich in Württemberg die Reformation durchsetzte, mussten die Heiligenbilder aus den Gotteshäusern weichen. Die Einwohner von Plattenhardt jedoch widersetzten sich geschickt: Die etwa 50 Zentimeter hohe Heiligenfigur aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, sagt der Stadtarchivar Nikolaus Back, sei von den Plattenhardtern bei der Reformation nicht aus der Antholianus-Kirche entfernt worden: „Man hat sie in einer Wandnische im Chorraum versteckt und diese zugemauert und verputzt. Die Gläubigen wussten, wo ihr Heiliger stand, aber nach zwei Generationen wurde er vergessen.“ Erst 1964 kam die Figur bei der Kirchenrenovierung wieder zutage. Seither gibt sie Rätsel auf.

 

Anno 1704 schrieb ein evangelischer Pfarrer: „Der Heilig allhier solle Antholianus heißen.“ Woher der Geistliche seine Information hatte, ist nicht überliefert. „Selbst in Frankreich war Antholianus von Clermont bis auf die Auvergne nahezu unbekannt“, sagt Back. Der fränkische Geschichtsschreiber Gregor von Tours (540 bis 594) schrieb, dass ihm bei Clermont eine Basilika geweiht gewesen sei und dass er den Märtyrertod erlitten habe. Sein Tod datiert auf die Jahre um 300.

Wenn es sich beim Plattenhardter Heiligen tatsächlich um den Mann aus Clermont handelte, dann sei die Kirche wohl die einzige in Deutschland gewesen, die ihn zum Patron gehabt habe. Mönche aus Frankreich müssten ihn in Plattenhardt bekannt gemacht haben. Verbürgt sind Beziehungen, die es im Mittelalter zwischen Esslingen und St. Denis bei Paris gegeben hat. Möglicherweise haben diese Mönche auch eine Reliquie des Heiligen mitgebracht.

Es gibt unterschiedliche Theorien zum Heiligen

Es gibt aber auch eine andere Erklärung. Beim näheren Betrachten der Heiligenfigur sieht man Spuren einer roten Bemalung am Saum des dunkelblauen Hemds: Flammen. An der Brust erkennt man Muster, die einen Stoff aus Palmfasern darstellen. Die sind jedoch Merkmale, die auf einen anderen, weit prominenteren Heiligen hindeuten: auf den Einsiedler Antonius (251 bis 356 n. Chr.), einen christlichen Bauernsohn aus Ägypten. Nicht zuletzt dadurch, dass er als Begründer des Mönchtums gilt, wurde er als Heiliger weit verehrt. Die Flammen an seinem Gewandsaum stehen für das Antoniusfeuer, eine Krankheit, die den Betroffenen entstellt wie Pestbeulen. Sie bricht nach dem Verzehr des Mutterkorns aus; das ist ein schwarzer Pilz im Getreide, vor allem im Roggen. Eine Figur aus dem Bild „Die Versuchung des Heiligen Antonius“ im Isenheimer Altar von Matthias Grünewald ist Medizinern zufolge von den Spuren dieser Krankheit gezeichnet, die auch zum Abfallen von Gliedmaßen führen kann.

Wie dem auch sei: Mit der Einführung der Reformation waren die Tage des Heiligen in Plattenhardt gezählt. Martin Luther wollte die Heiligen als Vorbilder behalten. Seine Kritik richtete sich gegen die Heiligenverehrung. Weil aber in Württemberg auch der Schweizer Reformator Zwingli Einfluss hatte, diskutierten im Jahr 1537 Lutheraner und Anhänger Zwinglis auf dem Uracher Götzentag darüber, wie man mit den Heiligen verfahren solle. Herzog Ulrich von Württemberg folgte Zwinglis Empfehlung und ließ alle Heiligenbilder und -statuen aus den Kirchen entfernen. „Dass die Plattenhardter Gläubigen die Staue in der Kirche einmauerten, zeugt von ihrer Widerborstigkeit. Leider gibt es keinerlei Aufzeichnungen darüber, was die Bevölkerung damals über die Reformation gedacht hatte“, sagt Nikolaus Back. Das Verstecken des Heiligen sei ein „seltenes Beispiel einer Meinungsäußerung.“

Außergewöhnlich sind die übermalten Renaissancemalereien

Die Figur des Heiligen Antholianus ist zwar das älteste, aber nicht das einzige Kunstwerk in der Plattenhardter Kirche. Zu erwähnen ist das spätgotische Kruzifix eines unbekannter Meisters von etwa 1510. Der 2014 gestorbene Bildhauer Ulrich Henn befreite es 1952 von Übermalungen, so dass es jetzt im ursprünglichen Zustand zu sehen ist. Der Chor und die Sakristei der Kirche wurden 1480 fertiggestellt. Die Tür zur Sakristei stammt aus dieser Zeit.

Bemerkenswert im Kirchenschiff sind Renaissancemalereien am Süd- und Nordportal, am Bogen zum Chorraum und an einem Fenster an der Nordwand. Sie sind in Grau, Terracotta, Gelb, Schwarz und Weiß gehalten und wurden im Laufe der Reformation übermalt. Erst bei der Kirchenrenovierung von 1964 kamen sie wieder ans Licht. Vermutlich war das Kirchenschiff noch umfangreicher bemalt. Mit etwas Fantasie kann man sich vorstellen, wie die Kirche vor der Reformation ausgesehen hatte. Kurios ist ein Hinweis darauf, dass in der protestantischen Kirche einst der Hochmut das Sagen hatte. Ein Epitaph aus dem Jahre erinnert an den Pfarrer Hochmuth, der 1694 gestorben ist.