Film des Stuttgarters Joachim Lang „Eine Ohrfeige für die Holocaust-Opfer“ – Historiker greift ARD an

Kinostar Robert Stadlober (Mitte) spielt Goebbels in dem Film „Führer und Verführer“. Foto: Zeitsprung

Die ARD will den Film „Führer und Verführer“ spät nachts senden. Historiker Thomas Weber nennt dies einen Affront gegen Holocaust-Opfer. Programmdirektorin Christine Strobl reagiert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Der Streit um den Sendeplatz des vom SWR mitfinanzierten Antikriegsfilms „Führer und Verführer“ hat eine heftige Debatte ausgelöst. Die international gefeierte Produktion des Stuttgarter Autors und Regisseurs Joachim Lang, der die Mechanismen nationalsozialistischer Propaganda und ihre Parallelen zu heutigen Verführungsgefahren von rechts thematisiert, soll nach ARD-Planung nicht zur Hauptsendezeit, sondern erst spät nachts gezeigt werden – nämlich am Sonntag, 25. Januar 2026, von 23.35 Uhr bis kurz vor 2 Uhr.

 

Der Historiker Professor Thomas Weber, der als Berater an dem Film mitgewirkt hat, protestiert heftig gegen die nächtliche Ausstrahlung. Unterstützung erhält der Experte von Karl Geibel, Mitglied des SWR-Rundfunkrats und des ARD-Programmbeirats. Nächste Woche wird er bei einer Sitzung in München der ARD-Programmdirektorin Christine Strobl persönlich seine Argumente vortragen.

„Der Film hält uns den Spiegel vor“ – Geibel fordert bessere Sendezeit

„Der Film zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie ein ganzes Volk verführt wurde“, sagt Geibel unserer Redaktion. „Er hält uns den Spiegel vor – denn auch heute besteht die Gefahr, dass Demagogen das Volk verführen.“ Deshalb müsse die Produktion, eine Mischung aus Dokumentation und Spielfilm mit Kinostar Robert Stadlober als Goebbels, zu einer Sendezeit ausgestrahlt werden, zu der möglichst viele Zuschauer, insbesondere jüngere, erreicht werden, fordert Geibel. Der Film wurde bereits an Fernsehsender in mehr als 30 Länder verkauft.

Der Stuttgarter Regisseur Joachim Lang zerlegt das von Goebbels sorgfältig aufgebaute Selbstbild. Sein vor allem in der Slowakei gedrehter Film blickt hinter die Fassade der Propaganda und enthüllt die perfiden Strategien, mit denen Goebbels das deutsche Volk täuschte. Lang entlarvt seine Lügen.

Weber warnt in einem ausführlichen Schreiben an die ARD-Verantwortlichen vor einem „massiven Reputationsschaden“ für den Sender. Der Professor an der University of Aberdeen und Fellow an der Stanford University betont, dass der Film weltweit in Holocaust-Gedenkstätten, Synagogen und Universitäten gezeigt werde und dort als „Schutzimpfung gegen Extremismus und Demagogie“ gelte. Besonders schwer wiege, dass sich sieben Holocaust-Opfer aktiv an der Produktion beteiligt hätten – unter ihnen Leon Weintraub, Eva Umlauf, Charlotte Knobloch und Ernst Grube – und die Überlebenden nun die Entscheidung der ARD nicht verstehen könnten.

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hat sich kurz vor ihrem Tod gewünscht, dass „alle Deutschen“ den Film „Führer und Verführen“ anschauen sollten. Foto: Britta Pedersen/dpa

Holocaust-Überlebende Margot Friedländer wünschte sich: „Alle Deutschen sollten diesen Film sehen“

Die im Mai verstorbene Zeitzeugin Margot Friedländer kommt in dem Film zu Wort und sagt darin: „Es waren Menschen, die das getan haben. Es waren keine Monster, keine Ungeheuer.“ Kurz vor ihrem Tod äußerte sie den Wunsch, „alle Deutschen“ sollten diesen Film sehen.

Professor Thomas Weber schreibt in seinem Brief an die ARD-Verantwortlichen, eine nächtliche Ausstrahlung wäre für die Zeitzeugen eine „Ohrfeige“. Der Film sei von den Überlebenden mitgetragen worden, um ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen – eine Ausstrahlung am späten Abend würde dagegen den Eindruck erwecken, die ARD messe diesem Anliegen nicht die gebotene Bedeutung bei.

Weber warnt vor internationalem Protest gegen ARD und SWR

Auch international könne dies als falsches Signal verstanden werden, argumentiert Weber: „Es würde aussehen, als ob sich die ARD vor der AfD duckt oder jüdisches Engagement für Demokratie nicht genügend unterstützt.“ Der Historiker verweist auf die Gefahr, dass prominente Holocaust-Überlebende wie Eva Umlauf und Leon Weintraub öffentlich gegen den SWR und die ARD protestieren könnten – ein Szenario, das laut Weber weltweite Aufmerksamkeit erregen würde.

ARD-Programmdirektorin Strobl verteidigt späten Sendeplatz

ARD-Programmdirektorin Christine Strobl lobt den Film als „herausragend“. Auf Anfrage unserer Redaktion erklärt sie: „Da wir ihn möglichst bald unserem Publikum zugängig machen wollen, haben wir uns dazu entschieden, ihn am 25. Januar 2026 im Vorfeld des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar zu platzieren, wo wir eine größere mediale Aufmerksamkeit für das Thema erwarten.“

Der sogenannte „KinoFestival-Platz“ am späten Sonntagabend sei der bewährte Sendeplatz für hochwertige Kinoproduktionen. Um jüngere Zielgruppen zu erreichen, spiele die ARD-Mediathek die noch viel wichtigere Rolle. „Deshalb wird der Film dort prominent kuratiert und auf der Startseite sichtbar sein“, so Strobl.

„Streit des SWR mit dem Regisseur darf bei Sendezeit keine Rolle spielen“

Mit dieser Programmierung wolle die ARD nicht nur einen „eindrucksvollen Film“ präsentieren, sondern auch einen „Beitrag gegen das Vergessen der Verbrechen der Nazi-Diktatur leisten“, erklärt Christine Strobl. Dieses Bestreben liege dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk besonders am Herzen.

Karl Geibel hält dagegen: „Wenn der Film so gut ist, wie Strobl sagt, muss er um 20.15 Uhr gesendet werden.“ Überzeugt ist er, dass die Programmdirektorin ihr Lob aus voller Überzeugung formuliert habe. Doch daraus müsse sie auch die Konsequenzen ziehen. Dass der SWR und der Regisseur Joachim Lang, der noch bis Jahresende für den Sender arbeitet und dann in den Ruhestand geht, mehrfach juristisch aneinandergeraten sind, dürfe bei der Frage um die Sendezeit keine Rolle spielen, betont Geibel.

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