Das polnische Liebesdrama „Cold War“ ist am Wochenende als bester europäischer Film des Jahres ausgezeichnet worden. Wenn Sie den Film bisher verpasst haben, sollten Sie schnell sein: Noch läuft er in einigen Kinos. In unserer Kritik verraten wir Ihnen, wie uns der Film gefallen hat.

Stuttgart - Es ist der Moment, der alles erzählt. Zula, eine polnische Sängerin, betritt eine Pariser Künstlergesellschaft. Eingeladen hat sie Wiktor, ihr Mentor aus frühen Tagen und späterer Liebhaber. Eine Schallplatte könnte sie mit ihm in einem Studio aufnehmen. Dazu braucht sie Kontakte. Zula lehnt ab. Anbiedern ist ihr fremd. Da, wo sie herkommt, wird die Kunst staatlich gelenkt und organisiert. Zula hat ein schwarzes Cocktailkleid gewählt (man schreibt das Jahr 1957, und auch in Polen weiß man Pariser Schick zu schätzen), das blonde Haar schlicht frisiert. Ihr Lächeln ist zurückhaltend. Doch wie im Gegenzug die Blicke der anderen Zula scannen, lässt sie sich wie nackt fühlen. „Eine Exotin aus dem Osten“, scheinen die Männer zu denken, „keine ernst zu nehmende Konkurrenz“ die Frauen.

 

Ein melancholischer Komponist und eine widerspenstige Sängerin

Joanna Kulig spielt Zula in denkbar direkter Umsetzung. Ihre Gesichtszüge verdunkeln sich. „In Polen warst du ein Kerl, hier bist du anders“, zischt sie Wiktor an. Er macht Business, sie fühlt sich hintergangen. Später wird sie zuviel Champagner trinken und sich mit Wiktor in einem Hotelzimmer lieben. Er ist noch immer der Mann in ihrem Herzen, und auch sie seine große Liebe, obwohl beide längst andere Verbindungen eingegangen sind. Tomasz Kot spielt Wiktor, einen melancholischen Musiker und erfolglosen polnischen Komponisten.

Rückblick: In den Nachkriegsjahren hat er auf staatliche Anordnung ein Gesangs- und Tanzensemble gegründet, ähnlich dem bekannten realen Ensemble „Masowsze“. Zula begegnet er bei einer Audition. Ihr Talent, ihre Energie, ihr bockiger Wille begeistern ihn. Es ist das Potenzial der jungen Frau. In ihm sieht sie ihre einzige Chance, aus einem armseligen Leben in der Nachkriegszeit Polens auszusteigen. Kurze Zeit später – die Auserwählten haben erfolgreich eine künstlerische Eliteschule absolviert, rund um die Uhr bespitzelt – ist Zula der Star des neuen polnischen Tanz- und Musikensembles. Streng auf Norm gebürstet, die Haare gescheitelt, die Körper in ein Folklorekostüm gesteckt, hinter ihnen ein riesiges Stalinporträt, so erobert das Ensemble Polen und die sozialistischen Nachbarn.

Das Polen der 1950er Jahre war schwarz-weiß

So authentisch geschichtsbezogen Pawel Pawlikowski seinen neuen Film beginnt, so formal auch das gewählte Academy-Bildformat in Schwarz-Weiß passt, so bittersüß und herzzerreißend ist die Liebesgeschichte von Zula und Wiktor. Pawlikowski macht sie zum eigentlichen Thema in seinem in Cannes uraufgeführten Noir-Dramas. Gewidmet ist der Film seinen eigenen Eltern. Auch sie waren hin- und hergerissen zwischen Leidenschaft und Alltagsuntauglichkeit, zwischen Ost und West. Eine geheimnisvolle Liebe, wo Pore auf Pore passt.

Als Wiktors Folkloreensemble 1952 in Ostberlin auftritt, flieht dieser in den Westen. Zula kommt nicht wie eigentlich verabredet zum Checkpoint. Ihr eigenes Land ist ihr genug. Der Westen ist der stolzen, sich unabhängig fühlenden Frau fremd. Dort fühlt sich sich nur von ihren Wurzeln abgetrennt, ihrer Geschichte, ihrer Sprache.

Wie schon in „Ida“, das ebenfalls in Polen gedrehte Schwarz-Weiß-Drama des im Exil lebenden polnischen Regisseurs, für das er 2015 den Oscar als in der Kategorie „Bester nicht-englischsprachiger Film“ erhielt, lebt „Cold War“ von der Reduktion. Auch wenn Pawlikowski weniger als in „Ida“ auf einen fotografischen Stil setzt und stattdessen eine bewegte Kamera der hoch dynamischen Hauptfigur, Zula, folgt, so bleiben die Bilder immer in einem ruhigen Fluss. Zwar hatte der Regisseur zunächst erwogen, „Cold War“ in Farbe zu drehen. Doch dann entschied er sich dagegen. „Polen war nicht die USA, die in den 1950er Jahren überall satte Farben hatte. In Polen waren die Städte zerstört, die Farben unscheinbar, etwa grau, braun, grün“, so Pawlikowski.

Die Illusion einer einzigen großen Liebe

Reduktion dominiert auch in der Begegnung zwischen Zula und Wiktor. Sie verlieren sich eher in ihrer Leidenschaft denn in ausführlichen Dialogen. Sie treffen sich in einer zerstörten Kirche und geben sich ohne Gott und Kirche das Jawort. Statt lärmender oder gefühlsduseliger Hintergrundmusik setzt Pawlikowski auf Teile aus Johann Sebastian Bachs Goldbergvariationen. Eine Metapher für den politischen, aber auch kulturellen Systemwechsel ist ein traditionelles Volkslied, das Wiktor als Jazzadaption verfasst und Zula Herz ergreifend in polnisch gesungener Swingversion interpretiert. Die häufig zu lesende Behauptung, gute Songs müssten in englischer oder französischer Sprache gesungen werden, wird so wie nebenbei als Arroganz entlarvt. Zula zeigt: Musik lebt vor allem aus Emotion. Der Sog, den „Cold War“ auf den Zuschauer ausübt, nährt sich von der Illusion einer einzigen großen Liebe. Politik ist bei Pawel Pawlikowski nur der Kontext.

In Stuttgart läuft „Cold War“ derzeit noch im Kino Delphi.