Ryan Murphys tragikomische Musical-Verfilmung „The Prom“ mit Meryl Streep, Nicole Kidman und James Corden entlarvt Diskriminierung und Vorurteile.

Stuttgart - But it’s not about me!“, singt Broadway-Star Dee Dee Allen (Meryl Streep) an einer Highschool im provinziellen Indiana, „aber hier geht es nicht um mich!“ – doch sie windet sich, um die Worte herauszubringen. Sie meint es nicht ehrlich, denn in Dee Dees Welt dreht sich alles immer nur um sie. Nun engagiert sie sich für die lesbische Schülerin Emma; die soll nicht am für amerikanische Teenager lebenswichtigen Jahresabschlussball („Prom“, für „promenade“) teilnehmen dürfen, nachdem erzkonservative Eltern eine strikt heterosexuelle Veranstaltung durchgesetzt haben.

 

Doch Dee Dees Auftritt dient allein der Imagepflege. Flankiert von Kollegen möchte die zweifache Tony-Gewinnerin das Etikett „Narzisstin“ loswerden – die „New York Times“ hat es ihr angehängt am Premierenabend eines Musicals über die Präsidentengattin Eleanor Roosevelt, das nach den verheerenden Kritiken direkt wieder abgesetzt wurde. Derlei egoistische Motive sind natürlich nicht lange zu verschleiern, und bald wird aus dem Lippenbekenntnis ein kraftvolles Plädoyer für gleiche Rechte und Offenheit in Matthew Sklars und Chad Beguelins Broadway-Musical.

Starke Komödie ohne falschen Klamauk

Spaß und Ernst sind gut ausbalanciert: „The Prom“ bietet viel Komödie mit starken Gags („This is not America, this is Indiana!“), verkneift sich aber jeden falschen Klamauk, wenn es ans Eingemachte geht. Der Regisseur Ryan Murphy, einer der Erfinder der erfolgreichen Musicalserie „Glee“ (2009–2015), schöpft in seiner Verfilmung die Möglichkeiten des Genres voll aus. Die Sequenzen mit den griffigen Jazz-Pop-Songs sind überbordend choreografiert in bonbonfarben schillernden Kulissen und mondänen Kostümen.

Das funktioniert, weil die Besetzung souverän mit den Überzeichnungen umgeht – und sich für die Oscars empfiehlt. Meryl Streep, 71, wirkt wie eine durchtrainierte Mittfünfzigerin bei ihren grandiosen Auftritten, einmal rappt sie sogar kurz. Nicole Kidman spielt das in die Jahre gekommene „chorus girl“ Angie, das auf die erste große Rolle wartet. Sie erklärt Emma in einem Song, dass sie ihr „Zazz“ finden muss – eine schöne Wortschöpfung für die Fähigkeit, sich selbst zu mögen, wie man ist.

James Corden ist der König der Herzen

Als König der Herzen fungiert der Brite James Corden, der in seiner Reihe „Carpool Karaoke“ schon mit Adele und Michelle Obama im Auto gesungen hat. Sein empathischer Barry ist als Präsident Roosevelt mit Dee Dee in Narzissmus-Sippenhaft geraten – und hat als schwuler Junge und verstoßener Sohn selbst nie einen Abschlussball erlebt. Der tapfere Trent (Andrew Rannells, „Girls“), zum Barkeeper abgestiegen, entlarvt Homophobie als irrationalen Reflex: Er widerlegt vorurteilsbeladene Mitschüler, die sich aufs Christentum berufen, mit Bibelstellen und plädiert lebensfroh für „common sense“ (gesunden Menschenverstand).

Emma weiß die Hilfe der New Yorker Theaterleute zu schätzen, den entscheidenden Schritt muss sie aber selbst tun. Jo Ellen Pellman gibt sie als grundsympathisches, natürliches Mädchen. Ariana DeBose als Emmas Freundin Alyssa spielt exemplarisch die Rolle der verängstigten, zerrissenen Heimlichtuerin, in die sich viele homosexuelle Teenager gedrängt fühlen. Kerry Washington, zuletzt beeindruckend in der Serie „Little Fires everywhere“ als vagabundierende, alleinerziehende Künstlerin, verkörpert hier exakt das Gegenteil als Alyssas tyrannische, voreingenommene Mutter.

Es geht auch um Theaterillusionen

Durchweg geht es auch um die Seifenblasenwelt der schönen Theaterillusionen und der vorgegaukelten Ideale, in die Menschen wie der engagierte Highschool-Rektor Hawkins (der Comedian Keegan-Michael Key) gerne entfliehen. Er verwechselt Dee Dee zunächst mit einer ihrer Rollen, obwohl sie schon beim ersten gemeinsamen Abendessen sagt: „Erzählen Sie mir – das habe ich noch nie zu jemandem gesagt – von sich.“

Dass Meryl Streep und Nicole Kidman in diesem Film auftreten, ist ein starkes Signal und beschert ihm die Aufmerksamkeit, die er verdient. Die dick aufgetragene Hochglanzoberfläche amerikanischer Unterhaltungskultur, die man freilich aushalten können muss, bietet einen leichten Zugang zu einem substanziell vorgetragenen Anliegen: versöhnen statt spalten. „The Prom“ wäre ein idealer Schulstoff.