Eine iranische Filmcrew überlistet das Regime und bringt „The Witness“ heraus. Die Produzentin Silvana Santamaria stammt aus der Region um Ludwigsburg.
Eine ältere Dame beobachtet, wie ihre Nachbarin, eine junge Frau, von ihrem Ehemann ermordet wird. Sie will, dass die Wahrheit ans Licht kommt, doch die Polizei weigert sich, den Fall ernsthaft zu untersuchen. Deshalb will die Zeugin die Öffentlichkeit über den Mord informieren. Allerdings bringt sie damit sich selbst und ihre Familie in Gefahr, weil der Täter ein hochrangiger Regierungsbeamter ist.
Das ist guter Filmstoff, aber durch sein Setting wird er außergewöhnlich. Der Film „Shahed – The Witness“ („Die Zeugin“) spielt im Iran. Also in einem Land, in dem die Menschen nicht frei sind, in dem das Mullah-Regime Menschenrechte verletzt, foltert und tötet. Noch außergewöhnlicher: Der Film wurde im Iran gedreht, was wegen seiner Kritik am System ein Ding der Unmöglichkeit ist – fast zumindest.
Mitgewirkt an dieser Unmöglichkeit hat eine gebürtige Marbacherin, die in Beilstein aufgewachsen ist: Silvana Santamaria. Sie studierte an der Filmakademie in Ludwigsburg und lebt mittlerweile in Berlin. Als Filmemacherin hat sich die Mittvierzigerin längst einen Namen gemacht, ihre Werke wurden auf den renommierten Festivals gezeigt und gewannen zahlreiche Preise. Etwa bei den Filmfestspielen in Cannes 2022, dort hatte ihr Film „Pamir“ Weltpremiere und wurde mehrfach prämiert.
Studium an der Filmakademie Ludwigsburg
Anfang September kam eine weitere Auszeichnung dazu: Für „The Witness“ gab es den Publikumspreis bei den Filmfestspielen von Venedig – es ist nichts weniger als einer der wichtigsten Preise in der Filmbranche. Silvana Santamaria produzierte den Film zusammen mit Said Nur Akkuş (Arthood Films) auf der deutschen Seite und Arash T. Riahi und Sabine Gruber (Golden Girls Film) auf der österreichischen Seite. Regie führte Nader Saeivar, der zusammen mit Jafar Panahi auch fürs Drehbuch zuständig war. Jafar Panahi gilt als einer der wichtigsten unabhängigen Filmemacher im Iran. Er hat unter anderem „Taxi Teheran“ gedreht.
Silvana Santamaria gehört zu denen, die „The Witness“ von Deutschland beziehungsweise Österreich aus unterstützt und möglich gemacht haben. Selbst durfte sie nicht zu den Dreharbeiten in den Iran reisen. „Das wäre zu auffällig gewesen“, sagt sie. Dort einen Film zu machen, sei überhaupt „sehr tricky“. Bevor man eine Drehgenehmigung bekommt, wird das Drehbuch durch die Regierung zensiert. Heißt: Man versucht eben, den Stoff so darzustellen, dass er von der Regierung abgesegnet wird.
Was nicht heißt, dass sich die Geschichte nicht noch während des Drehs verändern kann. Aber: „Die Crew steht ständig unter Beobachtung“, weiß Silvana Santamaria. Einige wenige iranische Filmemacher sind der Überzeugung, dass man über die Missstände im eigenen Land Filme machen muss, auch wenn sie sich dadurch in große Gefahr begeben. Sie riskieren zum Beispiel, dass sie danach nicht mehr beim Film arbeiten dürfen. Das ist auch dem Drehbuchautor Jafar Panahi schon passiert. Im Jahr 2010 wurde er wegen „Propaganda gegen das Regime“ zu einer sechsjährigen Haftstrafe und einem 20-jährigen Berufsverbot verurteilt.
Dass Panahis neuer Film nun in Venedig mit dem wichtigen Publikumspreis ausgezeichnet wurde, macht Silvana Santamaria stolz. „Das ist richtig toll“, sagt sie. Und: „Ich bin sehr, sehr dankbar, dass ich die Chance hatte, dabei mitwirken zu können.“ Zur Preisverleihung ist sie nicht nach Venedig gefahren. Auch wenn sie es gerne getan hätte. Aber zum einen war ihre Zeit sehr knapp. Zum anderen „hatte ich das Bedürfnis, den iranischen Kollegen die Bühne zu überlassen“, sagt sie.
Sie haben mit dem Dreh viel riskiert und großen Mut bewiesen. Der Preis ist eine Auszeichnung dafür. „Cannes und Venedig sind die zwei wichtigsten Festivals der Welt“, sagt Silvana Santamaria. „Alle Stars der Welt wollen da hin.“ In „The Witness“ geht es aber nicht um Stars – es geht um Politik und die Kritik an einem menschenverachtenden System, deshalb sei das umso bemerkenswerter.
Hinzu kommt, dass der Film und der Publikumspreis von Venedig einem Thema Präsenz verschafft, das immer wieder droht, in Vergessenheit zu geraten: die Menschenrechtsbewegung „Frau – Leben – Freiheit“ im Iran.
Vor zwei Jahren löste der Tod von Jina Mahsa Amini die heftigsten und bisher am längsten dauernden Proteste gegen das iranische Regime aus. Die junge Frau starb, nachdem sie die Sittenpolizei festgenommen hatte, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen hatte. Ihr gewaltsamer Tod jährte sich wenige Tage nach der Filmpremiere zum zweiten Mal.
„Ein äußerst realistischer, wütender, schmerzhafter Spielfilm“
Auch „The Witness“ übt Kritik am iranischen Regime. Auch hier passiert ein Mord an einer jungen Frau – und seine Aufklärung wird im Keim erstickt. Dabei wollte die junge Frau nur tanzen, was im Iran allerdings verboten ist. „Ein äußerst realistischer, wütender, schmerzhafter Spielfilm, der aber nie die Hoffnung zu verlieren scheint, dass sich die Dinge in Zukunft ändern können“, schreibt das Filmmagazin Cinema Austriaco.
Noch ist nicht klar, wann, aber „The Witness“ wird auch in deutschen Kinos zu sehen sein. Auch seine Erfolgsgeschichte wird womöglich noch weiter gehen. „Ich könnte mir vorstellen, dass ‚The Witness’ eine Chance hätte, für Österreich ins Oscar-Rennen zu gehen“, sagt Silvana Santamaria.
Silvana Santamaria
Ausbildung
Silvana Santamaria wurde in Marbach geboren und wuchs in Beilstein auf. Sie schloss 2010 ihr Studium der Filmregie an der Filmakademie in Ludwigsburg ab. Bereits während ihres Studiums erlangte Santamaria internationale Aufmerksamkeit unter anderem mit ihrer Regiearbeiten „Status:geduldet“ und „Nirgendwo.Kosovo“.
Werk
2023 wurde sie für das renommierte Programm „Producers on the Move” der European Film Promotion während des Cannes Filmfestival ausgewählt und nahm als einzige deutsche Produzentin an dem Programm teil. Aktuell führt sie Regie bei „Die Bergretter“.