Ulrich Tukur spielt die Titelrolle in dem Spielfilm „Rommel“, den die ARD an Allerheiligen ausstrahlt. Der Schauspieler erzählt, was ihn an „Rommel“ gereizt hat und warum ihn Geschichte fasziniert.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)
Stuttgart - Der 55-jährige Schauspieler hat schon viele historische Rollen gespielt. Ulrich Tukur erzählt, was ihn an „Rommel“ gereizt hat, warum ihn Geschichte fasziniert und wie er als Student zwischen keltischen Hügelgräbern auf der Schwäbischen Alb geschlafen hat.
Herr Tukur, Erwin Rommel, das ist der „Wüstenfuchs“, der glorifizierte Soldat, das ist auch Hitlers Günstling, der einen furchtbaren Krieg mit verantwortet hat – eine oszillierende Figur, die bis heute Rätsel aufgibt. Warum wollten Sie diese Rolle spielen?
Sie sagen zu Recht, er sei eine oszillierende Figur. Er ist schwer zu fassen: Auf der einen Seite haben wir den gefeierten militärischen Draufgänger, den Soldaten, der den Gegner respektiert und den fairen Kampf sucht, den Offizier, der Hitler widerspricht, sich aber von ihm nicht wirklich lösen kann, und den Mann, der zutiefst verunsichert mitansehen muss, dass sein Land von einem Hasardeur in den Abgrund gerissen wird. Rommels strenge soldatische Fassade, dahinter ein ungeheurer Konflikt – das will man spielen.

Der Film zeigt die letzten sieben Lebensmonate des Feldmarschalls im Jahr 1944. Rommel hat den Auftrag, am Atlantikwall die Invasion der Alliierten zu verhindern, was ihm nicht gelingt. In dieser Zeit kommt er mit der Widerstandsgruppe um Claus Schenk Graf von Stauffenberg in Berührung. Es bleibt unklar, wie er zu den Umsturzplänen steht, aber er verrät sie nicht.
Cäsar von Hofacker, der dem inneren Kreis des Widerstands angehörte, hat ihn kontaktiert und vorgefühlt, inwieweit er für eine politische Lösung zur Verfügung stünde. Auch sein Stabschef Speidel hat in diese Richtung gewirkt. Rommel wusste, dass es Bestrebungen gab, die Herrschaft Hitlers zu beenden, und es ist sicher, dass er angesichts des verlorenen Krieges den Gedanken nicht abgelehnt hat, Hitler kaltzustellen, aber ein Attentat kam für ihn nicht infrage. Wie viel er auch immer wusste, er hat geschwiegen. Und das wurde ihm zum Verhängnis. Immer wieder hat er Hitler vergeblich von der Notwendigkeit zu überzeugen versucht, den Krieg im Westen zu beenden. Schließlich entschloss er sich, die Kapitulation auf eigene Faust einzuleiten. Er versichert sich der Zustimmung anderer Generäle der Westfront und wird dann tragischerweise Opfer eines Tieffliegerangriffs. Während er schwer verletzt im Lazarett liegt, findet das Attentat statt, und er wird von den Dingen überrollt.

Können Sie dieses Zögern und Zaudern nachvollziehen?
Rommel war durch und durch Soldat. Und er war Kind einer anderen Zeit. Da muss man ihn abholen. Die Menschen waren anders erzogen, sie dachten anders, ein Ehrenwort, ein Treueeid war eine bindende Verpflichtung, undenkbar, so etwas aufzukündigen. Für uns ist das heute kaum mehr nachvollziehbar. Natürlich verdankt Rommel Hitler und der Goebbels’schen Propagandakunst einen großen Teil seiner Karriere und Popularität. Das hat ihn in eine perfide Abhängigkeit gebracht. Und nun muss er erfahren, dass der Mann, dem er dient und die Treue hält, alles in den Abgrund steuert. Er denkt nach, und im Gegensatz zu den meisten anderen Generälen und hohen Offizieren fängt er an, die Dinge infrage zu stellen. Er widerspricht Hitler immer wieder und verzweifelt zusehends am Wahnsinn der militärischen Lage. Schließlich gibt er sogar dem Gedanken Raum, Hitler zu entmachten. Das ist für einen Mann von solch strikten, altmodischen Moralvorstellungen eine ziemliche Entwicklung, und sie hat gedauert.

Den letzten Schritt aber, den politischen Schritt, den geht er nicht.
Genau. Und ich glaube, dass er darunter gelitten haben muss. Ich sage das mit aller Vorsicht, aber vielleicht hat auch seine schwäbische Grunddisposition eine kleine Rolle gespielt. Auch ich stamme aus schwäbischer Familie, und ich weiß, dass wir sehr zur Vorsicht neigen und nicht wirklich geschaffen sind für Revolutionen und radikale Lebensentscheidungen.

Ihre schwäbischen Wurzeln haben es Ihnen erleichtert, sich in die Figur hineinzuversetzen?
Ich denke schon. Zunächst habe ich mich der Figur äußerlich genähert. Ich habe die erhaltenen Dokumentaraufnahmen studiert und mir mittels seines Heidenheimer Dialekts, angereichert mit einer gewissen sprachlichen Zackigkeit und der steifen Uniform eine Haltung, eine Hülle erarbeitet. Über die habe ich dann versucht, ins Innere des Menschen Rommel zu steigen, mit meinen Mitteln, meiner Fantasie, meiner Stimme. Es ist der Versuch einer Annäherung an die mögliche innere Wahrheit eines Menschen, der seine Gefühle und Ängste nicht veräußern konnte.

Der Film beginnt und endet mit dem erzwungenen Selbstmord Rommels in Herrlingen. Als er sich von seinem Sohn Manfred verabschiedet, zeigt er keinerlei Regungen.
Der Abschied von Frau und Sohn wirkt entsetzlich kühl, aber ich glaube, er ist es nicht. Auch hier habe ich mir vorzustellen versucht, was sich in einem Menschen abspielt, wenn er alles, aber auch alles verliert. Wenn er gelernt hat, Gefühle zu zeigen, bricht er zusammen. Hat er sich aber immer beherrscht, wird er sich auch in dieser letzten Minute zusammenreißen und die Sache mechanisch durchziehen. Innerlich aber stirbt er.

Schon lange vor der Ausstrahlung gab es eine heftige Debatte über den Film. Die Familie Rommel hatte das Drehbuch von Niki Stein stark kritisiert.
So ganz habe ich es nicht nachvollziehen können. Nikis Buch ist wirklich gründlich recherchiert und auf dem neuesten Stand der historischen Forschung. Wir betreiben keine Demontage, sondern nähern uns der Figur des Feldmarschalls sehr umsichtig und respektvoll. Natürlich hat eine Familie, deren Mitglied eine Person der Zeitgeschichte ist, Angst davor, unberufene Personen könnten das Bild ihres Vaters oder Großvaters beschädigen. Das verstehe ich.

Der Vorwurf lautete, zusammengefasst, Rommel werde zu uneinsichtig dargestellt.
So wird er bei uns nicht dargestellt, und ich spiele ihn auch nicht so. Die einen werfen mir vor, ich würde einen Nazigeneral viel zu menschlich und sympathisch verkörpern, die anderen sagen, wir gössen braune Soße über ihn aus. Sie sehen, wie vermint dieses Gelände siebzig Jahre nach dem Desaster immer noch ist.

Konnten Sie sich mit der Familie Rommel über den Film austauschen?
Leider nicht. Ich habe Manfred Rommel als bescheidenen, integren Politiker bewundert und hätte mir gern mit der Familie den Film angesehen. Aber vielleicht ergibt sich ja noch ein Gespräch, wenn sich die Wogen wieder geglättet haben.

Auch Sie sind mit dem Mythos des „Wüstenfuchses“ aufgewachsen.
Ich habe als Jugendlicher Rommels Kriegsbericht aus dem Ersten Weltkrieg gelesen, „Infanterie greift an“ hieß das Buch. Da es auch in meiner Familie Offiziere gegeben hat, stand mehr Literatur dieser Art im elterlichen Bücherschrank. Ich bin also ein bisschen groß geworden wie Jungens fünfzig Jahre vor mir. Ich hörte Schellackplatten und las die Literatur meines Vaters und Großvaters. Für die Interpretation historischer Rollen hat mir das später sehr genutzt, weil ich ein Lebensgefühl verinnerlicht hatte, das es gar nicht mehr gab.

Sie haben in Tübingen Geschichte studiert, Sie spielen häufig historische Figuren. Was fasziniert Sie an der Vergangenheit?
Wenn ich nicht weiß, wo ich herkomme, weiß ich nicht, wer ich bin. Ich lebe auf dem Rücken dahingegangener Geschlechter, ihr Lebenskampf interessiert mich und hilft mir, mit den Anwürfen meiner Zeit umzugehen. Ich habe gehört, dass es hier in Stuttgart eine fantastische Kelten-Ausstellung gibt. Als ich in Tübingen studierte, war ich ein begeisterter Keltomane, bin viel auf der Schwäbischen Alb herumgewandert und habe nachts zwischen keltischen Hügelgräbern geschlafen. Wir haben so viel Vergangenheit in uns und kommen aus ungeheuren Tiefen, und wenn man ein Sensorium dafür hat, wird vieles, was tot und vergangen scheint, wieder frisch und lebendig.

Werden Sie die Ausstellung besuchen?
Ich werde auf jeden Fall versuchen hinzugehen. Und ich werde schwäbisch essen gehen! Ich finde, unsere Küche ist eine der unterschätzten Küchen der Welt. Ich lebe seit zwölf Jahren in Italien, und ich muss sagen: Hier esse ich lieber.