Silke Stürmer hat einen Film über vier Flüchtlinge gedreht, die im Rems-Murr-Kreis eine neue Heimat gefunden haben. Die Dokumentation soll vor allem junge Menschen für das Thema sensibilisieren.

Winterbach - Sie sind nur mit wenigen Habseligkeiten nach Deutschland gekommen. Dafür ist das Päckchen, das Ali, Paria, Tereza und Ahmed mit sich tragen, umso größer. Sie haben ihre eigenen Geschichten von Flucht und Vertreibung, aber auch vom Ankommen in der neuen Heimat mitgebracht. Teilweise ist es ein Wunder, dass sie es überhaupt hierher geschafft haben.

 

Bei den Dreharbeiten reißen alte Wunden auf

Tereza ist mit 14 Jahren aus Eritrea geflohen, um nicht beim Militär zu landen und womöglich Opfer von Gewalt und Vergewaltigung zu werden. Ihr Weg führte durch die Sahara, durch unbarmherzige Hitze, in Begleitung ständiger Angst. „Es sind Menschen aus der Gruppe gestorben, sie sind nachts einfach vom Sand zugeweht worden“, erzählt sie in dem Film: „Ich will leben, frei sein“.

Ali gehört den Hazara an, einer Minderheit in Afghanistan. Als er von einem Paschtunen bezichtigt wurde, einen Freund ermordet zu haben, wollte ihn sein eigener Vater lieber umbringen, als sich Ärger mit der dominierenden Volksgruppe einzuhandeln. Er musste fliehen, das letzte Stück nach Europa schaffte er zwischen den Achsen eines Lastwagens.

Ahmed filmte in Syrien Demonstrationen und Enthauptungen und landete dafür mehrfach im Gefängnis. Von der Behandlung dort zeugen heute noch Narben am Körper. „Mir war bewusst, dass ich durch die Dreharbeiten Wunden wieder aufreißen werde. Aber es musste sein, sonst hätte ich den Film nicht machen können“, sagt Silke Stürmer.

Dieser Film ist eine Herzensangelegenheit

Die Winterbacherin ist Pfarrerin, seit November ist sie als Assistentin der neuen Dekanin des Kirchenbezirks Schorndorf für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Seit vielen Jahren dreht die zweifache Mutter zusammen mit Stefan Adam Filme, vor allem für das Evangelische Medienhaus. Die Dokumentation über junge Flüchtlinge aus dem Rems-Murr-Kreis ist ihr aus mehreren Gründen ein besonderes Anliegen. Silke Stürmer engagiert sich seit einigen Jahren in der Flüchtlingsarbeit, begleitet eine syrische Familie. Von daher ist das Thema auch persönlich eine Herzensangelegenheit. „Ich habe zudem die Erfahrung gemacht, dass sich die Menschen nicht von Zahlen, sondern nur von Geschichten berühren lassen“, sagt die 48-Jährige. Und deswegen erzählt sie in dem 30-minütigen Film von vier jungen Menschen, die inzwischen im Rems-Murr-Kreis eine neue Heimat gefunden haben. „Ich wollte Menschen aus unterschiedlichen Ländern zeigen, die aus unterschiedlichen Gründen geflüchtet sind und verschiedene Formen der Integration erleben.“ Und: sie wolle Geschichten erzählen, die trotz allem Hoffnung machen. „Es ist Wahnsinn, was alles gelingen kann.“

Die kleine Tochter vertreibt das Heimweh

Tereza lebt mittlerweile in Aichstrut bei einer Pflegefamilie, findet dort Geborgenheit und Trost – und lernt Fahrrad fahren. Paria aus dem Iran ging es in der alten Heimat nicht schlecht. Aber die Familie ist christlich und deswegen nach Winterbach gekommen. Sie arbeitet in der Kinderkirche mit und genießt es, sich in Jeans und ohne Kopftuch frei bewegen zu können. Ahmed möchte Architekt werden und jobbt als Dachdecker. „Ich habe kein Heimweh mehr, seitdem ich meine eigene Familie habe“, sagt der 21-Jährige, der eine kleine Tochter hat und einwandfrei schwäbisch spricht. Und Ali hat eine Ausbildungsstelle, eine eigene kleine Wohnung in Remshalden und neue Freunde im Sportverein. In Afghanistan hat er in der U14-Nationalmannschaft Fußball gespielt. Der Traum von einer Karriere als Profispieler ist während der Flucht verloren gegangen.

Ehrenamtliche werden durch Film motiviert

Der Film „Ich will leben, frei sein“ ist in erster Linie als Unterrichtsfilm gedacht. „Deswegen war es mir auch wichtig, mit jungen Flüchtlingen zu drehen. Die Schüler sollen sich mit den Protagonisten identifizieren können und dadurch sehen, wie Leben auch aussehen kann und wie jemand aussieht, der einen Trip durch die Wüste überlebt hat.“ Ihre Schwester sei Lehrerin und hätte den Film in ihrer Klasse gezeigt. „Da war es mucksmäuschenstill. Es scheint also zu funktionieren.“ Bei verschiedenen Vorführungen hat Silke Stürmer erlebt, dass ihre Dokumentation auch ein Film für Erwachsene ist: „Viele, die sich für Flüchtlinge engagieren, fühlen sich dadurch bestärkt in dem, was sie tun und sehen, dass es richtig ist“, sagt Silke Stürmer.