Magdalena Laubisch spielt die Hauptrolle im SWR-Spielfilm „Die Nichte des Polizisten“, der vom nie ganz aufgeklärten NSU-Mord an einer Polizistin in Heilbronn erzählt.
Im Fernsehfilm „Die Nichte des Polizisten“ spielt Magdalena Laubisch die junge Polizistin Rebecca Henselmann – eine fiktive Figur, die an Michèle Kiesewetter angelehnt ist: Die Ermordung der Polizistin im April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese wird dem rechtsterroristischen Gruppe NSU zugerechnet. Der Film verwebt Realität und Fiktion und stellt zugleich Fragen nach Verantwortung, Machtmissbrauch und gesellschaftlichem Wegsehen. Ein Gespräch über das Spiel mit Nähe zur Wirklichkeit, körperliche Härte – und über die Widersprüche einer Frau, die dazugehören will.
Frau Laubisch, Ihre letzten Worte im Film sind nur ein einziges Wort: „Hey?“ – aber da steckt viel drin.
Das war tatsächlich ein spannender Moment. Wir, also Dustin Loose, der Regisseur, und ich, wussten beim Drehen gar nicht genau, wohin die Szene führen würde. Ich begegne meinem Täter – und im nächsten Moment wird Rebecca erschossen. Das war ein Ausprobieren, ganz im Moment. Ich musste gar nicht viel denken, sondern einfach reagieren. So entsteht im besten Fall Wahrheit vor der Kamera.
Die Szene, in der Ihre Figur erschossen wird, steht ja schon am Anfang. War das nicht seltsam, so früh im Film zu sterben?
Wir haben die Szene gleich in der ersten Woche gedreht. Ich hatte mir das zunächst fast banal vorgestellt, aber diese Gewalt körperlich zu spüren, auch wenn sie gespielt ist, war dann doch ziemlich heftig. Da einfach zu liegen, während um einen herum diese Tat passiert – das ging mir schon nahe. Und gleichzeitig „verliert“ man da ja als Schauspielerin eine Figur, die man gerade erst kennengelernt hat.
Sie waren noch ein Kind, als Michèle Kiesewetter ermordet wurde. Wann haben Sie sich erstmals mit dem Fall beschäftigt?
Erst durch das Drehbuch. Die NSU-Morde waren mir natürlich bekannt, aber der letzte Mord in Heilbronn war, wie so vieles, irgendwie durchgerutscht. Ich hatte das Gefühl, dass über ihn weniger gesprochen wurde – dabei bleiben da ja bis heute viele Fragen offen.
Wie sind Sie damit umgegangen, dass Ihre Figur an eine reale Person erinnert?
Ich habe versucht, bewusst eine Distanz zu wahren. Rebecca ist nicht Michèle Kiesewetter. Ich wollte niemanden porträtieren, sondern eine eigenständige Figur entwickeln. Natürlich habe ich mich informiert – aus Interesse, um zu verstehen, was damals passiert ist. Aber die Rolle war fiktional, der Film ist kein Biopic. Das hat mir auch Freiheit gegeben.
Trotzdem sehen den Film bestimmt Menschen, die Michèle Kiesewetter kannten. Spüren Sie da Verantwortung?
Ja, aber nicht im Sinne von: Ich muss jemanden darstellen. Mein Anspruch ist, meine Figur zu verteidigen – egal, ob man sie mag oder nicht. Wenn ich sie verraten würde, wäre mein Spiel falsch. Ich versuche, den Menschen, den ich spiele, mit Liebe zu betrachten. Nur so kann ich ihn auch glaubwürdig zeigen.
Der Film wurde beim Filmfest in München mit dem Bernd-Burgemeister-Preis ausgezeichnet – mit der Begründung, endlich rücke Michèle Kiesewetter ins Zentrum. Hat das auch für Sie eine politische Dimension?
Unbedingt. Wenn durch den Film wieder über diesen Fall gesprochen wird, ist schon viel erreicht. Es geht nicht darum, Schuldige zu benennen, sondern sich zu fragen, was damals passiert ist – und was man daraus lernen kann. Nach den jüngsten Wahlen, wo Rechtsruck und Radikalisierung wieder Thema sind, wirkt der Film vielleicht aktueller denn je. Er zeigt, wie Machtmissbrauch entsteht und wie leicht man wegsieht.
Rebecca ist Polizistin in einer Männerwelt, die sie beeindrucken will. Gleichzeitig spürt sie, dass etwas nicht stimmt. Was treibt sie an?
Rebecca agiert nicht intellektuell, sondern aus dem Bauch heraus. Sie will dazugehören, stark sein und in ihrem Beruf aufsteigen. Auch wenn sie dabei manchmal ihre eigenen Werte verrät. Sie bleibt und nimmt Dinge in Kauf, die sie eigentlich ablehnt – das finde ich spannend. Ihr eigener Kampf für die Gerechtigkeit und sicher auch ein Stück Erwachsenwerden.
War das Ihre bisher anspruchsvollste Rolle?
Rebecca ist mir sehr fern, körperlich, emotional, von der ganzen Haltung her. Das war in der Tat der anspruchsvoll und hat mir viel abverlangt, war aber auch ein Geschenk. Nach dem Film „Sechswochenamt“, der ebenfalls auf dem Filmfest München Premiere feierte, war das meine zweite Hauptrolle. Natürlich empfinde ich in so einer Position eine ganz andere Verantwortung, wenn ich weiß: mit meiner Performance steht oder fällt der Film.
Wie haben Sie sich körperlich vorbereitet?
Ich hatte das große Glück, mit einer tollen Stuntfrau und Kampfkoordinatorin zu arbeiten. Wir haben etwa anderthalb Monate vor Drehbeginn trainiert, auch während der Dreharbeiten. Das wat hart, aber es hat geholfen, eine andere Körperlichkeit zu entwickeln – zu verstehen, wie diese Frau sich bewegt, steht, atmet.
Der Film spielt vor allem in Baden-Württemberg, Rebecca kommt aber wie Sie aus Ostdeutschland.
Interessant war, wie sich das Ost-West-Gefälle in kleinen Szenen zeigt – diese Unterschiede im Selbstverständnis, im Auftreten, den unterschiedlichen Lebensrealitäten der Menschen, gerade von jungen Leuten. Sie ist in den Westen gegangen, weil es dort eine andere Perspektive für sie gibt, andere Möglichkeiten beruflich aufzusteigen. Ich habe Rebeccas sozioökonomische Hintergrund als Antrieb verstanden.
In einer Szene singen Sie überraschend Nenas „Wunder geschehen“. Wie kam es dazu?
Das war spontan! Einen Tag vor dem Dreh bekam ich eine Nachricht vom Regisseur: „Mach doch mal was am Klavier.“ Dann haben wir uns auf das Lied geeinigt. Ich singe eigentlich nicht gern, aber es war schön, eine andere Seite von Rebecca zu zeigen. Lange war gar nicht klar, ob die Szene im Film bleibt – umso schöner, dass sie es geschafft hat.
Haben Sie selbst eine Theorie, was damals in Heilbronn passiert ist?
Ich glaube auf jeden Fall, dass es anders war, als es bislang dargestellt wurde – und dass mehr Menschen daran beteiligt waren, als man annimmt. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen.
Der Fall Michèle Kiesewetter
Mord DIe Polizistin Michèle Kiesewetter wurde am 25. April 2007 durch einen gezielten Kopfschuss ermordet, ein Kollege von ihr schwer verletzt. Erst vier Jahre später wurde der Fall in Verbindung mit der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) gebracht, nachdem die Dienstwaffen der Polizistin und des Polizisten neben den Leichen der NSU-Extremisten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden.
Film Der TV-Film „Die Nichte des Polizisten“ wird am Mittwoch, 8. Oktober, um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Er setzt sich fiktionalisiert mit dem Fall auseinander. Die Schauspielerin Magdalena Laubisch (27) spielt die Hauptrolle. Im Anschluss zeigt das Erste die Dokumentation „Warum starb Michèle Kiesewetter?“.