Die Filmakademie feiert ihr 20-jähriges Bestehen. Der Direktor und Dokumentarist Thomas Schadt erinnert sich an die eigenen Anfänge.
Ludwigsburg - Die ersten Videofilmer waren für ihn "Videoten". Und bei allem Technikfortschritt, betont Filmakademiechef Thomas Schadt, wird das Wesentliche nie am Computer generiert: die gute Story.
Jüngst haben Sie erklärt, dass Sie von Ihren Studenten lernen, Herr Schadt. Was denn?Vor kurzem wurde ich gefragt: Welche Bilder braucht die Welt? Das ist doch eine sehr anregende, unerwartete Frage. Auf die muss man erst einmal kommen. Und sie lässt einen nicht mehr los.
Ist das nicht die Grundfrage, die Sie sich immer stellen?
Das stimmt. Die stelle ich mir natürlich schon ein Leben lang. Aber ich maße mir nicht an, darauf eine schlüssige Antwort gefunden zu haben. Wir leben in einer Zeit, in der eigentlich alle Bilder verfügbar sind. Aber es gibt für einen Film richtige und falsche Bilder. Wenn ein Kuss visuell falsch inszeniert wird, wird er die Zuschauer nicht berühren.
Sie selbst haben als Fotograf begonnen...
...und danach die Film- und Fernsehakademie in Berlin besucht. Damals gab es nicht die heutigen Spezialisierungen. Ich verstehe mich als Dokumentarist, der die unterschiedlichsten Ausdrucksmittel verwendet. Schreiben, fotografieren, dokumentieren, Spielfilme drehen: Man muss die richtige Form für den Inhalt finden.
Freut es Sie als Dokumentarist, dass sich offenbar nicht mehr alle Studenten in die Spielfilmecke drängen?
Früher wurden die Studenten in Ludwigsburg, die bei den Plätzen für die Spielfilmklasse leer ausgingen, zur Dokumentation oder in die Werbung zwangsversetzt. Das ist natürlich keine ideale Voraussetzung und Motivation. Heute bewerben sie sich gleich für die verschiedenen Kategorien. Und wir stellen fest, dass auch die anderen Genres an Attraktivität gewonnen haben.
Gibt es keine Königsklasse mehr?
Es war mir ein großes Anliegen, dass nicht mehr nur auf den Spielfilm als die vermeintliche Königsklasse hingearbeitet wird. In Amerika ist die Serie die Königsklasse. Andere sagen, es ist der Dokumentarfilm, weil das Metier schwieriger ist. Andere bewerten die Werbung als das Höchste, weil man in 90 Sekunden eine ganze Geschichte erzählen muss. Das Kommerzielle und das Experimentelle haben für mich den gleichen Stellenwert. Es gibt zwischen dem Blockbuster und dem Arthaus-Film keinen prinzipiellen qualitativen Unterschied. Das Qualitätskriterium ist ja, in der gewählten Form das Optimum zu erzielen.
Wann haben Sie zuletzt einen guten Film gesehen?
Bei der Diplomprüfung. Das ist mein Heimkino. Ich sehe berufsbedingt pro Jahr etwa 300 Produktionen von unseren Studenten. Wenn ich Feierabend habe, gehe ich nur selten auch noch ins Kino. Ich habe zu Hause nicht einmal einen Fernseher.
Nicht jeder Absolvent kommt auch groß raus. Setzt sich das Gute immer durch?
Es gibt Leute, die machen bei uns ein durchschnittliches Diplom, man hört fünf Jahre nichts von ihnen und dann kommen sie mit einem sensationellen Film. Wann es zündet und ob überhaupt, kann man pauschal nicht sagen. Die Wege einer Filmkarriere sind verschlungen und individuell. Das gilt auch für meine eigene Biografie. Es gibt Leute, die studieren hier Dokumentarfilm, und dann schreiben sie preisgekrönte Drehbücher. Man kann nachhelfen und Zufälle provozieren. Wirklich planen kann man eine Karriere im Filmbusiness nicht. Wie übrigens auch jeder Film ein Stück weit unberechenbar ist.
Inwiefern?
Für mich ist es jedes Mal ein kleines Wunder, wenn am Ende aus einer Idee ein fertiger Film wird. Den Zuschauer muss es nicht interessieren, wie viele Katastrophen entlang so einer Filmproduktion passieren können. Aber das ist ein unheimlich fragiler Prozess. Aus mittelmäßigen Drehbüchern können wahnsinnig tolle Filme entstehen und umgekehrt. Ein Film wird vielleicht schon allein deshalb nicht so, wie er sein sollte, weil der Hauptdarsteller fünfmal hintereinander schlecht geschlafen hat. Da gibt es Tausende von Faktoren, die nur bedingt steuerbar sind.
"Jeder fertige Film ist ein Wunder"
Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler?
Robert De Niro. Mit dem würde ich auch arbeiten wollen, wenn er zehn schlechte Nächte hatte.
Und Ihre Lieblingsfilme?
Unter anderem das Vietnamdrama "Die durch die Hölle gehen" von Michael Cimino, "Der große Diktator" von Charlie Chaplin und "Dogville" von Lars von Trier. Alle drei gehen wahnsinnig virtuos mit den filmerzählerischen Mitteln um.
Und alle haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Hat das Internet die Arbeit der Filmschaffenden verändert?
Mit Sicherheit. Es gibt heute nichts mehr, was nicht visuell im Internet gespiegelt wird. Das ist eine mediale Plattform, auf der ganz anders kommuniziert wird. Für mich gilt aber immer noch die alte These: Ausgangspunkt für einen guten Film ist eine gute Geschichte. Und die kann man nicht künstlich im Computer generieren.
Wie entsteht sie?
Aus der Lebenserfahrung und dem Willen, mit eigenen Augen und Sinnen in die Welt zu sehen. Information ist nicht Wissen. Man muss reflektieren und Orte und Menschen selbst erkunden. Es gibt Hunderte von Blogs, in denen Leute beschreiben, wie man sich küsst. Aber machen sollte man es immer noch selbst. Das ist vielleicht unsere letzte Rettung vor dem Internet.
Die Technologie und ihre Möglichkeiten haben sich enorm erweitert.
Man kann heute filmisch eigentlich alles machen. Zum Beispiel problemlos die Illusion von realen Straßen per Computer generieren. Als ich angefangen habe, gab es 35-, 16- und 8-Millimeter-Film. Heute gibt es 150Kameratypen, damals gab es fünf. Die ersten Filmer mit Videokameras nannten wir "Videoten", weil wir das unmöglich fanden. Heute ist das alles weltumspannend, beherrschend und sogar dreidimensional. Bei alldem darf man die eigentliche Story nicht aus den Augen verlieren.
Sie haben 1993 die FC-Bayern-Profis dokumentiert. Gucken Sie auch Fußball?
Klar. Den 1. FCNürnberg aus meiner Heimatstadt sehe ich gern. Auch wenn das nicht immer großes Kino ist.
Hintergrund: Fakten zur Filmakademie
Kaderschmiede
Die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg zählt zu den renommiertesten deutschen Filmhochschulen, die auch international einen exzellenten Ruf genießt. Sie bietet 14verschiedene Studiengänge an. Seit ihrer Gründung im Jahr 1991 haben dort rund 1200 Studenten ihren Abschluss gemacht. Die Bandbreite der Produktionen reicht vom Einminüter bis hin zu abendfüllenden Spielfilmen. Das Land finanziert die Filmakademie jährlich mit rund elf Millionen Euro.
Abstauber
Die Liste der Auszeichnungen für Absolventen der Filmakademie ist lang und reicht vom Grimmepreis über den Nachwuchspreis First Steps Award bis hin zur Oscar-Nominierung im Jahr 2003 für „Das Rad“ als besten animierten Kurzfilm. Der in Beverly Hills verliehene Studentenoscar für außergewöhnliche Talente ging 2007 an den Nachwuchsregisseur und Ludwigsburger Absolventen Toke Constantin Hebbeln. Die Kamerafrau Daniela Knapp bekam kürzlich für ihre Bildgestaltung in „Poll“ ebenso eine goldene Lola wie Matthias Klein für die Filmmusik in „Das Lied in mir“. Der vorwiegend in Buenos Aires gedrehte 90-Minüter von Florian Cossen war einer der aufwendigsten Diplomfilme in der Geschichte der Akademie.
Hintergrund: Thomas Schadt
Geehrt
Geschichten von Langzeitarbeitslosen, Amokläufern und prominenten Politikern hat er schon verfilmt: Der zweifache Grimmepreisträger Thomas Schadt gilt als einer der profiliertesten Dokumentarfilmer Deutschlands. Er wurde 1957 in Nürnberg geboren und studierte an der Film- und Fernsehakademie in Berlin.
Ernannt
Im Jahr 2000 kam Schadt als Professor an die Ludwigsburger Hochschule; fünf Jahre später wurde er zum künstlerischen Direktor der Filmakademie und wenig später auch zu deren Geschäftsführer. Zurzeit arbeitet der 54-Jährige, den die Künstler Frank Zappa und Joseph Beuys inspirieren, an einer Theaterproduktion über Karl May.