Kurzum, die Darstellerpreise wirken sonderbar verrutscht, als sollten sie kleine Entgelte sein, weil man andere, größere Würdigungen dann doch nicht wagte. Der Däne Thomas Vinterberg mit seinem Lynchjustizdrama „Jagd“, wie viel war er der Jury wert? Sie zögerte – und gab Mads Mikkelsen den Darstellerpreis, dafür, dass er hochsympathisch und vollendet unverdächtig durch Vinterbergs Film hetzt als liebster Kinderschänder aller Zeiten. So schafft man Verlegenheitspreise, statt dem großen Trintignant die Ehre zu erweisen. Doch die Verdrückung geht weiter: Von der langwierig-lastenden Exorzismustragödie im orthodoxen Kloster „Beyond the Hills“, wo zwei Frauen nicht zusammenkommen können, weil weder dem Priester noch Gott solche Lesbenliebe gefällig ist, hatten die meisten Festivalgäste gedacht, dies sei neben Hanekes „Amour“ der nächste große Favorit. So stand’s in sämtlichen Blättern. Aber auch Cristian Mungiu, der rumänische Regisseur, ist in Cannes ein guter Bekannter. Noch vor fünf Jahren gewann er hier Palmengold mit einem Abtreibungsdrama, wieder ging es um Mädchenfreundschaft. Man sieht: der Mann perseveriert.

 

Und was macht die Jury? Sie gehorsamt und stiftet Verlegenheitspreise „ex aequo“ für Cosmina Stratan und Cristina Flutur, die zwei frommen Nonnen in ihrer Liebespein, und wirft noch eine Palme fürs beste Drehbuch hinterher. Spätestens dieser Drehbuchpreis ist ein Witz.

Sagten wir schon, dass auch der Brite Ken Loach ein Dauergast ist in Cannes, ein braver nimmermüder Wiedergänger, der dreimal ausgezeichnet worden ist, zuletzt mit Gold für das Freiheitskampfdrama „The Wind that Shakes the Barley“? Jetzt hat Loach wieder einen Preis bezogen, diesmal den „Preis der Jury“ für das ruppig-flotte Whiskey-Abzapfermärchen „The Angels’ Share“. Warum, wieso, wie kam’s? Vielleicht lag es nur daran, dass es bei Loach – endlich mal wieder – lustig zuging.

Es fehlte an Fantasie und Innovationskraft

Denn dieses Element fehlte dem Festival, genau wie die überschäumende Fantasie, die Innovationskraft, die Lust, Verqueres, Neues, Niegesehenes zu wagen. Beim Mexikaner Carlos Reygades war die Aufbruchslust immerhin spürbar, insofern erhielt sein Film „Post tenebras lux“ („Nach der Finsternis das Licht“) zu Recht einen Preis – unvergesslich das kleine Mädchen im regennassen Wiesenland, die häusliche Digitalteufelei, die fleischwarme Drastik in der Swingersauna, nur: was sollte das alles? Eher hätte den Preis für die beste Regie ein anderer verdient, Leos Carax, der verrückte Monomane, der über alle Grenzen der cineastischen Künste hinwegzutanzen versucht.

Leider prämierte die Jury aber weder Marion Cotillard (zu sehen als beinamputierte Orca-Trainerin im Film des Franzosen Jacques Audiard: „De Rouille et d’os“) noch zeichnete sie die fünfundachtzigjährige Emmanuelle Riva aus, die gemeinsam mit Jean-Louis Trintignant Hanekes Liebes-Film so ergreifend beseelt und durchleidet. Überhaupt schien es, als wollte die Jury Frankreich geradezu schneiden – ein Gastland, das immerhin Resnais, Audiard und den wirren, aber hochingeniösen Filmpoeten Carax aufgeboten hatte, womit es im Wettbewerb fast ebenso stark repräsentiert war wie die USA samt ihren komplett leer ausgehenden Regisseuren Anderson, Hillcoat, Dominik, Daniels, Nichols.

Liebster Kinderschänder aller Zeiten

Kurzum, die Darstellerpreise wirken sonderbar verrutscht, als sollten sie kleine Entgelte sein, weil man andere, größere Würdigungen dann doch nicht wagte. Der Däne Thomas Vinterberg mit seinem Lynchjustizdrama „Jagd“, wie viel war er der Jury wert? Sie zögerte – und gab Mads Mikkelsen den Darstellerpreis, dafür, dass er hochsympathisch und vollendet unverdächtig durch Vinterbergs Film hetzt als liebster Kinderschänder aller Zeiten. So schafft man Verlegenheitspreise, statt dem großen Trintignant die Ehre zu erweisen. Doch die Verdrückung geht weiter: Von der langwierig-lastenden Exorzismustragödie im orthodoxen Kloster „Beyond the Hills“, wo zwei Frauen nicht zusammenkommen können, weil weder dem Priester noch Gott solche Lesbenliebe gefällig ist, hatten die meisten Festivalgäste gedacht, dies sei neben Hanekes „Amour“ der nächste große Favorit. So stand’s in sämtlichen Blättern. Aber auch Cristian Mungiu, der rumänische Regisseur, ist in Cannes ein guter Bekannter. Noch vor fünf Jahren gewann er hier Palmengold mit einem Abtreibungsdrama, wieder ging es um Mädchenfreundschaft. Man sieht: der Mann perseveriert.

Und was macht die Jury? Sie gehorsamt und stiftet Verlegenheitspreise „ex aequo“ für Cosmina Stratan und Cristina Flutur, die zwei frommen Nonnen in ihrer Liebespein, und wirft noch eine Palme fürs beste Drehbuch hinterher. Spätestens dieser Drehbuchpreis ist ein Witz.

Sagten wir schon, dass auch der Brite Ken Loach ein Dauergast ist in Cannes, ein braver nimmermüder Wiedergänger, der dreimal ausgezeichnet worden ist, zuletzt mit Gold für das Freiheitskampfdrama „The Wind that Shakes the Barley“? Jetzt hat Loach wieder einen Preis bezogen, diesmal den „Preis der Jury“ für das ruppig-flotte Whiskey-Abzapfermärchen „The Angels’ Share“. Warum, wieso, wie kam’s? Vielleicht lag es nur daran, dass es bei Loach – endlich mal wieder – lustig zuging.

Es fehlte an Fantasie und Innovationskraft

Denn dieses Element fehlte dem Festival, genau wie die überschäumende Fantasie, die Innovationskraft, die Lust, Verqueres, Neues, Niegesehenes zu wagen. Beim Mexikaner Carlos Reygades war die Aufbruchslust immerhin spürbar, insofern erhielt sein Film „Post tenebras lux“ („Nach der Finsternis das Licht“) zu Recht einen Preis – unvergesslich das kleine Mädchen im regennassen Wiesenland, die häusliche Digitalteufelei, die fleischwarme Drastik in der Swingersauna, nur: was sollte das alles? Eher hätte den Preis für die beste Regie ein anderer verdient, Leos Carax, der verrückte Monomane, der über alle Grenzen der cineastischen Künste hinwegzutanzen versucht.

Aber Carax ist Franzose. Und ach, Morettis Jury hat den Franzosen diesmal nur Tort angetan, so sehr, dass einem die sonst so selbstbewusste Nation fast wieder leidtat. Man bemitleidete sie wie die weiblichen Regisseure, denen der Zutritt in Cannes verwehrt blieb, als wären sie Deutsche. „Eine Jury ist wie Mayonnaise; entweder sie geht auf – oder eben nicht“, erklärte der Festivalpräsident Gilles Jacob. Diesmal, 2012 ist die Mayonnaise gleich nach der Haneke-Würdigung aus lauter Gehorsam geronnen.