Das Filmfest applaudiert: Michael Douglas ist wieder da, als exzentrischer Entertainer Liberace im – nach eigener Aussage – letzten Film von Stephen Soderbergh. Aber auch Valeria Bruni-Tedeschis und Paolo Sorrentinos Regiearbeiten überzeugen.

Cannes - The Festival is open“, das war der Schlachtruf des vom US-Kino dominierten Rummels, mit dem der Palmenwettbewerb vor einer Woche begann. Bald wird er closed sein. Und immer schärfer stellt sich die Frage, wer wohl die Nase vorn haben wird – ein Europäer, ein Asiate, ein Amerikaner? Die von Steven Spielberg energisch gelenkte Jury hat es nicht leicht, in keiner Hinsicht. Wie man hört, trommelt der Hollywood-Regisseur seine Truppe – darunter Christoph Waltz und Nicole Kidman – schon morgens um sieben zu ersten klärenden Gesprächen zusammen, ein anderes, böses Gerücht will allerdings wissen, der Meister sehe sich die Filme lieber auf dem Breitwand-Screen seiner Yacht an, was zwar gemeinschaftszersetzend, aber in Cannes durchaus stilgerecht wäre.

 

Damit gerät ein Aspekt in den Vordergrund, der auch die Filme der letzten Tage merkwürdig deutlich prägt: Luxus, Glamour, Saus und Braus – dahin sind die Elendsdramen, keine Spur mehr von den grauen Hoffnungslosigkeiten einer sozial zerrütteten Welt. Das Wohlleben feiert sich selbst, ausschweifend, dekadent, hemmungslos. Tat sie’s früher nicht sogar ungenierter als heute?

Die schrillste aller Attraktionen von Las Vegas

Keine Frage, in den siebziger Jahren war Las Vegas‘ berühmter Showstar Liberace (für Intimfreunde: Lee) im Universum der Neu- und Möchtegernreichen die verführerischste, schrillste aller Attraktionen: ein genialisch klimpernder und leichthin plappernder Bravour-Entertainer, scheinbar immerjung, in Wahrheit zunehmend verglatzend unter der kringelschwarzen Perücke mit den langen Koteletten.

„Behind the Candelabras“ hat dieser Mann sein sündteures Homosexuellenleben ausgelebt, und haargenau so – „Hinter den Kandelabern“ – nennt Steven Soderbergh nun das Episodenwerk, mit dem er sich in Cannes noch einmal zeigen will. Soderberghs „Helden“: Liberace und dessen jugendlicher Lover Scott Thorson, buhlerisch vereint unterm Baldachin eines goldbronzierten Plüschbetts im Las Vegas Hilton – fünf Jahre lang, bis zum Krach.

Es sei dies, behauptet der Regisseur, seine letzte Regietat. Große Chancen, noch anspruchsvolle Filme zu organisieren im Meer der Blockbusterei, sehe er nicht mehr – so die Rede eines Resignierten, der sich mit fünfzig Jahren in den cinéastischen Ruhestand zurückzuziehen gedenkt. Liberace hielt länger durch; wobei Geld indessen keine Rolle für ihn spielte.

Fast kommen ihm die Tränen

Immerhin, auch Soderberghs Produzent Jerry Weintraub hat sich fürs Casting zwei Teuerste leisten können: Michael Douglas und Matt Damon – die sind einander wert, und wie! Damon als kerniger, pausbackig blondgeschopfter Bursche, der von seiner kalifornischen Hundefarm durch Freundesvermittlung in die lüsterklirrenden Gemächer des tuntigen Entertainers gelangt, und Douglas mit einer feinen, kindlich-zartsinnigen Strahlkraft, die man dem Erkrankten kaum mehr zutrauen wollte: aus kajalgeränderten Augen erotische Sensationen erwartend, effeminiert, gockelhaft extravagant, ein schnarrender Bizarrerie-King mit dem leicht ordinären Organ des Massenunterhaltungspriesters.

Es ist dies Michael Douglas‘ erste Rolle, seitdem er, wie es heißt, den Krebs besiegt hat. Grauhaarig im grauen Anzug, müde, fragil, doch rosig geschminkt, gestikuliert er in Cannes in die Kameras der Fotografen, noch gezeichnet von dem Bekenntnis, wie sehr ihn Soderberghs Offerte überwältigt habe: fast versagt ihm die Stimme, fast kommen ihm Tränen. Als gelifteter Liberace präsentiert er im Film ein porenreines Gesicht, straffhäutig jugendlich – und es ist wirklich ein Wunder, auch wenn Maskenbildner und digitale Nachbearbeitung weitere Glättungswunder bewirkten. Warum nicht ihm die Darstellerpalme? Michael Douglas jedenfalls spielt den Exzentriker Liberace glänzend.

Nicht minder glänzend, jetzt im Realsinn, sind die Interieurs, Las Vegas‘ schwülverkitschte Glitzerszenerie, ein Dekor, dessen barocke Deckengemälde sich im Juwelenglanz von Liberaces Fingerringen brechen. Kein Wunder, dass der Freund Scott allmählich ausrastet. Irgendwann fängt er zu kiffen an, dann wird’s schlimm – den Prozess, den er anstrengt, als Liberace ihn rausschmeißt, gewinnt er nur partiell, in einem Postoffice jobbt er weiter. Und dort, auf der Post, erreicht ihn nach Jahren ein Anruf – am Telefon: der aidskrank krächzende Liberace, der den einst adoptierten, längst verstoßenen Geliebten ein letztes Mal zu sehen wünscht. Scott reist nach Palm Springs, erfährt schluckend, dass er Liberaces einzige Liebe gewesen sei, und. . . Achtung, jetzt steuert der Film von Stephen Soderbergh vorsätzlich auf die Schnulze zu.

Mit kummervoll-milchblauem Blick

Was folgt, ist Liberaces Beerdigung und ein Regieeinfall, wie er verkitschter nicht sein kann: Scott träumt sich das Begräbnis auf die große Hilton-Bühne, mit einem engelgleich in den Entertainer-Himmel entschwebenden Liberace. „Man muss den Leuten geben, was sie haben wollen“, erklärt Soderbergh den Journalisten in Cannes. Geschmacklose Illusionen zum Abgang – vielleicht fällt ihm der Ausstieg ja damit leichter.

Las Vegas: eitel Luxus, eitel Talmi. Valeria Bruni-Tedeschis „Château en Italie“ ist von steinroter Solidität, jahrhundertealt und steht zum Verkauf, weil die Kinder des steinreichen Schlossherrn das Erbe nicht zu wahren wussten. Die Kandelaber, ionischen Säulen, altmeisterlichen Gemälde, hier in Bruni-Tedeschis Debütfilm sind sie echt, kein Fake. Und die familiären Fährnisse, welche die Regisseurin hineinverwob, sind erlebt, halb autobiografisch – von der künstlichen Befruchtung bis zum Tod des aidskranken Bruders. Selber die Hauptrolle spielend, hält sie mit kummervoll-milchblauen Blicken die Schlossgeschichte locker in Schwung. Ihr Erzählstoff ist klein, doch musikalisch pfiffig aufbereitet.

Und nun erst Rom: wahrlich kein Talmi, „echt“ bis auf den vieltausendjährigen Grund – und ein riesengroßer Erzählstoff. Paolo Sorrentinos Hommage an „La grande Bellezza“ feiert die Stadt in ihrem ruinenreichen, grandios eleganten Luxus, so herzaufwühlend vital, kultiviert, schönheitstrunken sub specie aeternitatis, wie dies seit Fellini kein Regisseur mehr gewagt hat.

Marcello Mastroiannis älterer Bruder

Der Schauspieler Toni Servillo, der darin schlendernd umherstreift, könnte ein hagerer, älterer Bruder von Marcello Mastroianni sein, ein elegischer Elegant, der sich von seinen literarischen Träumen verabschiedet hat, aber als Journalist und gealterter Lebemann noch immer Einfluss genießt. In seinem Apartment mit dem schönsten Dachgarten der Welt, das Colosseum griffnah gegenüber, feiert er turbulenteste, stilvollste Partys, als mokant lächelnder Cicerone einer vergehenden High-Society-Welt, der keine Zukunft beschieden ist.

High Society, kennt man das Wort überhaupt noch? Rom, Ewige Stadt, die schönste Europas – Paolo Sorrentinos Nostalgieprojekt mit den gleitenden Kamerafahrten wäre bereits in Berlin völlig undenkbar. Und in Cannes, wo Gaffer, knüppelnde Flics, Papptafeln schwingende Eintrittskartenschnorrer jeden Zutritt zum Festspielpalais versperren, sucht man das Schöne gleichfalls vergebens. Luxus gibt es – ja schon, hie und da. Nur mit der Kultur ist es nicht mehr allzu weit her.