Beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, der Schau der noch nicht etablierten Filmemacher, lassen sich immer wieder wunderbare Produktionen entdecken. Sie finden später nur selten den Weg ins Kino oder ins Fernsehen.

Mannheim - Kronleuchter glitzern über dem roten Teppich; auf die Wand hinter den weißen Sesseln ist ein Kaminfeuer projiziert. Die zweite Etage des Mannheimer Stadthauses strahlt abends ein wenig die Atmosphäre einer Bar aus, nur dass die gut gelaunten Menschen hier nicht nach Cocktails zur „Happy Hour“ anstehen, sondern auf Einlass in den Kinosaal harren. Und das Warten lohnt sich. Denn beim Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg, der Schau der noch nicht etablierten Filmemacher, lassen sich immer wieder wunderbare Produktionen entdecken, die später nur selten den Weg ins Kino oder ins Fernsehen finden.

 

Neunzehn Wettbewerbsfilme führten in alle möglichen Ecken der Welt und ließen sich stimmig unter dem diesjährigen Motto „Leben! Aber wie?“ subsumieren. Mit Witz, Gefühl und originellen Bildern erzählt der marokkanische Beitrag „Raue Hände“ von der Suche nach den richtigen Lebensumständen. Die Lehrerin Zakia will nach Spanien zu ihrem ausgewanderten Freund. Ihr Nachbar Mustapha organisiert ihr gegen Bezahlung die nötigen, falschen Papiere. Die werden zwar nicht beanstandet, dennoch scheitert ihre Ausreise an der Behördenwillkür. Jetzt muss sie sich in ihrem Heimatland neu orientieren.

Muslime in Montreal, Außenseiter verschiedener Generationen

Dramatischer geht es in dem kanadischen Film „Halal Butcher Shop“ zu. Hier erweist sich das Leben als unfreiwilliger Kampf der Kulturen und Traditionen. Ein muslimisches Ehepaar betreibt in Montreal die Titel gebende Metzgerei, in der Fleisch, nach islamischen Regeln aufbereitet, angeboten wird. Die zwei führen eine innige, gleichberechtigte Beziehung, bis der Vater des Mannes auftaucht. Der verbreitet in der Community radikales Gedankengut und möchte, dass sein Sohn sich trennt, weil dessen Frau Jamila nicht schwanger wird. Der iranisch stämmige Regisseur Babek Aliassa verknüpft zwei Frauenschicksale, zwei unterschiedliche Lebenswege. Während Jamila sich von ihrem Liebsten und damit von den familiären Zwängen löst und in die Ungewissheit aufbricht, entscheidet sich ihre viel aufmüpfigere Freundin, beim gewalttätigen Gatten und dem kleinen Sohn zu bleiben.

Zwei Außenseiter verschiedener Generationen finden einander in Jens Sjögrens berührendem Debüt „Good Luck and Take Care of Each Other“ aus Schweden. Der Rentner Alvar baut für Figürchen, die seine verstorbene Frau kreiert hat, Modelle von Städten, die sie bereisen wollten. Die fünfzehnjährige, fantasievolle Miriam hat eine bessere Idee der Trauerarbeit. In einer Art „Guerilla Sculpturing“ setzen sie die skurrilen Wesen paarweise nachts aus und verabschieden sich mit dem Spruch „Viel Glück, und passt gut aufeinander auf“. Die Internationale Jury verlieh dafür den Rainer-Werner-Fassbinder-Preis.

Manchmal erscheint die Filmauswahl rätselhaft

Eine große Karriere sagt der Festivalleiter Michael Koetz dem amerikanischen Regisseur und Drehbuchautor Jason Cortlund voraus. Dessen Film mit dem unübersetzbaren Titel „Now, Forager. A Film about Love and Fungi“ – sinngemäß: „Greif zu, Sammler. Ein Film über Liebe und Pilze“ – gefällt durchaus. Der Zuspruch mündete im Publikumspreis sowie in einer Empfehlung der Kinobetreiber-Jury. Hübsche Dokumentaraufnahmen von Pilzen gibt es hier zu sehen, auch wenn der Spielfilm eher davon handelt, ob man lieber frei und prekär lebt und arbeitet oder doch besser angestellt und mit scheinbaren Karriereaussichten. Das Paar in dem klugen, ironischen und kulinarischen Film schlägt unterschiedliche Wege ein.

Manchmal erscheint die Filmauswahl auf den ersten Blick rätselhaft. In dem iranischen Spielfilm mit dem internationalen Titel „Final Whistle“ etwa, was soviel wie „Schlusspfiff“ bedeutet, trifft eine erfolgreiche Regisseurin auf eine unbedeutende junge Darstellerin, die verzweifelt Geld aufzutreiben versucht. Deren Mutter ist des Mordes an ihrem Ehemann angeklagt, der zuvor die Tochter vergewaltigt hatte, und soll hingerichtet werden. Nur die Zahlung eines „Blutgelds“ kann die Todesstrafe abwenden. Die Regisseurin versucht, was sie besitzt, zu Geld zu machen, um der jungen Frau zu helfen. Die Geschichte, in der zu keinem Moment das iranische Rechtssystem hinterfragt wird, mutet mit der selbstlosen Heldin ein wenig naiv und gelegentlich fast ein bisschen eitel an, da die Drehbuchautorin und Regisseurin Niki Karimi auch noch die Hauptrolle spielt.

Im anschließenden Publikumsgespräch sitzt sie in blauen Röhrenjeans und schwarzem Kopftuch auf dem Podium. Als Niki Karimi mit ruhiger Stimme berichtet, dass „Final Whistle“ in iranischen Kinos zu sehen war, fragt man sich plötzlich, ob es sich nicht doch um einen mutigen Film handelt, weil er bedrückende Schicksale zeigt und damit im eigenen Land die Grenzen des Regimes auslotet. Der Jury war er gar den Hauptpreis wert. Jedenfalls lässt er einen nicht so schnell los. Und genau wegen solcher Irritationen, Anstöße, filmischer und persönlicher Begegnungen schätzen wir das Filmfestival Mannheim-Heidelberg so sehr.