Die deutsche Filmförderung müsste dringend reformiert werden. Dann müssten Filmteams quer durch Deutschland fahren, weil die Fördertöpfe der Länder das so vorsehen. Vielleicht gäbe es dann sogar ein Publikum – auch im Fernsehen.

Stuttgart - Auf den ersten Blick haben der Besuch eines deutschen Kinofilms und die private Altersversorgung nichts miteinander gemeinsam. Tatsächlich funktionieren beide jedoch nach einem ähnlichen Prinzip, denn hier wie dort gibt es staatliche Zulagen: bei Arbeitnehmern im Rahmen der „Riester-Rente“, beim deutschen Film im Rahmen der Filmförderung. Sie wurde in der Bundesrepublik 1967 durch das Filmförderungsgesetz (FFG) institutionalisiert. In zwei Jahren wird das FFG fünfzig Jahre alt; ein perfekter Zeitpunkt, um die Förderpraxis gründlich auf den Prüfstand zu stellen. Dabei geht es überhaupt nicht darum, die Unterstützung als solche infrage zu stellen. Kulturelle Produktionsprozesse sind schlicht zu teuer, um sie üblichen Marktmechanismen zu überlassen. Der mit fast 340 Millionen Euro pro Jahr geförderte Kinofilm ist sogar noch vergleichsweise günstig; die öffentlichen Bühnen werden mit weit einem Vielfachen dieser Summe subventioniert.

 

Die überwältigende Mehrheit der deutschen Filme wird jedoch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorgeführt. Allein im vergangenen Jahr sind 230 deutsche Filme in die Kinos gekommen. Im Schnitt sind also jeden Donnerstag mindestens vier deutsche Produktionen gestartet. Meist kommt noch mal die gleiche Zahl an ausländischen Filmen hinzu. Selbst größte Kinoenthusiasten hätten weder die Zeit noch das Geld, sich das alles anzuschauen.

Da die großen Kinoketten neue Hollywoodfilme nicht nur aufgrund vertraglicher Verpflichtungen, sondern auch aus eigenem Interesse zum Bundesstart zeigen, wenn die Werbekampagnen ihren Höhepunkt erreichen, müssen die weniger erfolgreichen Produktionen weichen, und das sind nicht selten deutsche Filme; vorausgesetzt, sie haben es überhaupt ins kommerzielle Kinozentrum geschafft. Die meisten fristen ein Schattendasein in den Programmkinos. Diese Abspielstätten werden ebenso gefördert wie die kleinen Filmverleihe, die die deutschen Produktionen vertreiben. Geld für größere Reklame haben jedoch beide nicht, entsprechend überschaubar sind die Besucherzahlen. Deshalb darf man auch nicht vom Einspielergebnis auf die Qualität der Filme zu schließen, denn viele sind tatsächlich sehenswert.

Zwei Jahre nach dem Kinofrust gibt’s dann den nächsten Tiefschlag, wie das Beispiel „Einer wie Bruno“ zeigt: Die Tragikomödie über einen geistig behinderten Mann (Christian Ulmen), dessen pubertierende Tochter keine Lust mehr hat, sich wie eine Mutter um ihn zu kümmern, hatte rund 22 000 Besucher. Das heitere Drama ist ab sechs Jahren freigegeben und für auch ältere Kinder empfehlenswert, aber das ZDF hat den sehenswerten Film vor ein paar Tagen als „Kleines Fernsehspiel“ um 0.15 Uhr versenden.

Wegen einer halben Million an den Bodensee

Wie immer, wenn man einen Sumpf trocken legen will, darf man sich nicht auf Diskussionen mit den Fröschen einlassen. Kultur ist in Deutschland Ländersache, und daher ist auch die Filmförderung dezentralisiert. Natürlich könnten die Fäden trotzdem irgendwo zusammenlaufen, aber das tun sie nicht, weil jedes Bundesland die Filmförderung als Standortförderung betreibt. Der kanadische Regisseur David Cronenberg hat sein Psychodrama „Eine dunkle Begierde“ 2010 unter anderem am Bodensee gedreht, weil die Produktion mit 500 000 Euro durch die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg unterstützt worden ist. Solche regionalen Subventionen zielen darauf ab, dass das Geld im Bundesland bleibt und für filmspezifische Leistungen in der Region ausgegeben wird, weil einheimische Teams und Techniker zum Einsatz kommen. Im besten Fall soll eine Produktionsfirma das Anderthalbfache der Fördersumme investieren. Dazu zählen dann auch fachfremde Branchen wie etwa das Hotelgewerbe.

Kein Wunder also, dass die regionalen Fördereinrichtungen alles beim Alten lassen wollen, selbst wenn die Auflagen zur Folge haben, dass ein Filmteam kreuz und quer durch Deutschland reisen muss, wenn eine Produktion Fördergelder aus NRW, Berlin und Bayern bekommen hat. Mitunter wird auch getrickst und einigen Beteiligten nahe gelegt, ihren Hauptwohnsitz vorübergehend in eins der Förderländer zu verlegen. Alle wissen das. Wer die Verhältnisse kritisiert, gilt als Nestbeschmutzer. Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters verteidigt das System. Ihr wichtigstes Argument ist eine Zahl: 27 Prozent betrug der Marktanteil des deutschen Films im vergangenen Jahr; im ersten Quartal 2015 lag er gar bei 33 Prozent. Allerdings ist dieser Erfolg größtenteils auf die Kassenknüller „Fack ju Göthe“ (53 Millionen Euro Umsatz) und „Honig im Kopf“ (56 Millionen) zurückzuführen. Die beiden mit jeweils 2 bis 3 Millionen Euro geförderten Komödien gehören zu den wenigen Filmen, die so viel Geld eingespielt haben, dass die Fördergelder zurückgezahlt werden könnten.

Ein anderer Aspekt stört Grütters allerdings mehr: Viele Filme mögen künstlerisch wertvoll sein, aber das scheint im Ausland niemanden zu interessieren. Die Zeiten, da deutsche Regiegrößen bei den Festivals in Cannes und Venedig Palmen und Löwen abgeräumt haben, sind lange vorbei; von Oscar-Nominierungen ganz zu schweigen. Auch kommerziell spielt das hiesige Kino außerhalb des deutschsprachigen Raums keine Rolle. Und so kochen alle im selben Saft: die Filmemacher, von denen es viel zu viele gibt, die Produzenten, die dank der Subventionshängematte keine eigenen finanziellen Risiken eingehen müssen; ARD und ZDF, deren Vertreter in den Gremien dafür sorgen, dass die geförderten Filme fernsehtauglich sind. Und die Fördereinrichtungen, die dieses inzestuöse System am Laufen halten und sich dadurch selbst legitimieren.