Ein Elternpaar bekommt die Diagnose, sein Kind werde behindert zur Welt kommen. Julia Jentsch als Mutter und Bjarne Mädel als Vater spielen brillant das Ringen um die richtige Entscheidung.

Stuttgart - Menschliche Größe, der Wille, anständig zu handeln brauchen keine langen philosophischen Abhandlungen, um sich auszudrücken. Manchmal genügt der Satz: „Wir schaffen das.“ Astrid, erfolgreiche Kabarettistin, Mutter einer gesunden Tochter, in einer glücklichen Beziehung lebend, geht in diesem Geist an die größte Krise ihres bisherigen Lebens heran. Sie ist wieder schwanger, und die pränatale Diagnostik hat ein verstörendes Ergebnis gebracht. Das Kind wird mit hoher Wahrscheinlichkeit behindert zur Welt kommen. Astrid (Julia Jentsch) und ihr Partner Markus (Bjarne Mädel) entscheiden sich zunächst gegen eine Abtreibung.

 

„Das ist ab jetzt ein Haushalt mit behindertem Kind. Wo ist denn dein Problem?“, fragt Astrid einmal. Aber der zweite Satz dieser Aussage ist nicht leicht und locker hingetupft, in Erwartung beflissener Zustimmung. Er ist Teil einer heftigen Konfrontation.

Menschen, die das eklig finden

Astrid kracht sich mit ihrer stundenweisen Haushaltshilfe Kati, der sie mehr Bezahlung für mehr Arbeit angeboten hat, völlig sicher, Zustimmung zu ernten. Aber die um einiges jüngere Kati bockt. Sie zeigt sich überhaupt nicht vorurteilsfrei, liberal und neugierig. Unter Druck gesetzt, bekennt sie schließlich: „Ich kann das nicht, ich find’ das einfach eklig!“

Der Spielfilm „24 Wochen“, inszeniert von Anne Zohra Berrached, einer Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, neigt allerdings nicht zu plakativen Konfrontationen und Fensterreden. Im Gegenteil, das Drehbuch von Berrached und Carl Gerber, das den Schauspielern viel Raum für Improvisationen gelassen hat, weist keine richtigen und falschen Wege. Es verschweigt nur nicht, dass es im Umfeld heikler Lebensentscheidungen auch Menschen mit brüsken Haltungen, brutalen Gewissheiten und archaischen Vorstellungen gibt.

Comedy-Star Astrid spürt berufshalber dem Geheuchelten, Misslichen, Peinlichen und Ärgerlichen nach, um es zum Lachen freizugeben. Wenn im Privatleben etwas nicht klappt, ist das Positive daran, dass Stoff für neue Comedy-Nummern abfällt. Aber die Problemschwangerschaft bringt das Paar schnell an die Grenzen der Ironie, auch wenn Astrid ihren sich rundenden Bauch in die Bühnenshow einbezieht.

Wer bleibt allein mit der Entscheidung?

Es sind anfangs vor allem die anderen, die Probleme mit der Erwartung eines behinderten Kindes haben. Ihre besorgten Nachfragen, ihre leise Betretenheit verunsichern mehr als die Aussagen der Ärzte. Aber „24 Wochen“ wird ein immer intensiverer Film, der scharf in den Blick nimmt, wie alleine Menschen mit existenziellen Entscheidungen letztlich sind. Er stellt auch die Frage, ob die Eltern allein mit der Abtreibunsgfrage bleiben oder nur die Mutter, weil auch die Vatermeinung letztlich nur eine externe ist.

Der Filmtitel bezieht sich auf jene von Medizin und Gesetz gezogene Grenze, die die volle Lebensfähigkeit des Kindes markiert, den letztmöglichen Zeitpunkt für eine Spätabtreibung. Astrid wird immer unsicherer, die Ärzte immer gewisser über die Schwere der Behinderung. Und die Zuschauer verlieren zunehmend die Distanz, die ein Spielfilm noch bietet.

Echte Ärzte, großartige Schauspieler

Berrached greift Andreas Dresens Methode beim Dreh von „Halt auf freier Strecke“ auf, der Geschichte einer Familie, in der ein Mann an einem aggressiven, sich rasch voranfressenden Gehirntumor erkrankt. Sie besetzt also einige Rollen mit schauspielerischen Laien, aber Vollprofis der Situation. Die Ärzte in „24 Wochen“ sind echte Mediziner, die so sprechen und handeln, wie sie das in der Praxis auch tun.

Die als großartige Schauspielerin sowieso längst bekannte Julia Jentsch, aber auch Bjarne Mädel wachsen an der Herausforderung: „24 Wochen“ bekommt die Intensität eines Dokumentarfilms, dessen Protagonisten sich in die Seele schauen lassen müssen, weil ihnen die Situation jede schützende Haut abschält. Mädel zerstreut souverän den letzen Rest Zweifel, ob er vielleicht bloß für ulkig-verklemmte Typen wie in „Stromberg“ oder ulkig-pfiffige Typen wie den „Tatortreiniger“ tauge.

Selten spürt man in einem Film den Schraubstockdruck realer Zwänge so schmerzhaft wie in diesem Ringen einer Frau, die sich weder das Leben mit einem schwerst behinderten Kind noch eine Abtreibung vorstellen kann. „Ich habe selbst ein Kind abgetrieben vor dem dritten Monat“, sagt Berrached. „Ich weiß, wie alt das Kind wäre und wann es Geburtstag hätte. Wie muss das erst in höheren Monaten sein? Dann ist das ja ein fertiger Mensch!“

24 Wochen. Deutschland 2015. Regie: Anne Zohra Berrached. Mit Julia Jentsch, Bjarne Mädel. 102 Minuten. Ab 12 Jahren.