Hoppla, was ist denn hier los? Robert Redford spielt in einem abendfüllenden Ein-Mann-Film einen Segler, der ums Überleben kämpft. Kann das spannend sein? Oh ja!

Stuttgart - Ist das nun ein Akt der Demut oder einer der Anmaßung, wenn sich ein Mann allein in einem kleinen Boot hinaus aufs Meer begibt? Vertraut da einer in arroganter Verblendung auf die moderne Technik, die ihn mit ihren satellitengestützten Navigationshilfen und hoch belastbaren Materialen gegen alle Gewalt der Natur zu wappnen scheint? Oder begibt sich so ein Kapitän ohne Mannschaft fast schutzlos in die Hand seines Gottes oder undurchschaubarer Zufallsalgorithmen, weil er davon überzeugt ist, dass Heil und Weiterleben nie eigenes Verdienst und erworbenes Recht, sondern immer nur von oben gewährte Gnade sind?

 

Wir werden in „All is lost“ nicht erfahren, welche innere Einstellung der vom 77-jährigen Robert Redford gespielte namenlose Alleinsegler beim Auslaufen aus dem Hafen hatte. Es gibt keine zweite menschliche Figur, mit der er sprechen könnte, und für Selbstgespräche ist er zu diszipliniert. Die Dialogspur des Films enthält Ächzen, Keuchen, Stöhnen und ein wenig Gefluche. Was immer er zuvor gedacht haben mag über das Kräfteverhältnis von Mensch und Natur, nun erfährt er die Zerbrechlichkeit menschlichen Instrumentariums.

Alles andere als ohnmächtig

Leicht schriebe sich nun hin, der Mann mache eine existenzielle Ohnmachtserfahrung, aber eben das wäre die falsche Formulierung. Ohnmacht bedeutet, dass einer aller Handlungsmöglichkeiten beraubt ist – oder das jedenfalls meint. Der Bedrängte aber gibt nicht auf, er kämpft, als schweres Wetter über sein Boot herfällt, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Und wenn ihm welche weggenommen werden, versucht er, sich neue zu schaffen.

Man muss kein besonders ungeduldiges Nervenbündel sein oder eine Play Station als Amme gehabt haben, um angesichts dieses Filmkonzepts die Stirn zu runzeln. 106 Minuten lang nur ein Darsteller, der auf einem begrenzten Schauplatz agiert und letztlich nur zwei Dinge zu tun hat, nicht zu ertrinken und nicht zu verschmachten – kann das spannend bleiben?

Doch, man darf das ruhig eine Überraschung nennen: „All is lost“ bleibt spannend. Das liegt an einem durchdachten Rhythmus, der nicht bloß auf Steigerung setzt, sondern auch auf Entspannung. Wobei Entspannung nicht bedeutet, dass der Segler sich in falscher Zuversicht den Angstschweiß und die Blutkruste von der Stirn wischen kann. Entspannung meint jene Verschnaufpausen, in denen er eine Bestandsaufnahme der jüngsten Schäden vornehmen kann und überlegen, wie sie wohl auszubalancieren wären.

Melancholie statt Bombast

Wie Redford wortlos durchs überschwemmte Innere seiner Jacht watet, wie er die Lenzpumpe klar macht und anfängt, bis zur Erschöpfung und zum Muskelkrampf das Wasser aus dem Boot zu zwingen, buchstäblich mit der Hand am Arm, das führt uns nicht nur menschliche Zähigkeit und Widerstandskraft vor. Es ist auch ein melancholisches Bild dafür, dass wir manchmal nichts anderes tun können als unter größter Anstrengung das Vergebliche. Das nun angeknackste, leckgeschlagene, notdürftig geflickte Boot wird die nächste raue See schlechter überstehen als die vorige.

Die Kamera findet genaue und unpathetische Bilder für den Überlebenskampf, der stoische Redford, nun ein heißer Oscar-Kandidat, hütet sich vor jeder Übertreibung, die Musik von Alex Ebert, naturgemäß präsenter als in einem Dialogfilm, verzichtet auf den dramatischen Bombast üblicher Krisenbegleitung und überrascht durch minimalistische, hocheffiziente Gemütsinvasionstechniken. Nicht wenig aber trägt zur Spannung der geschmeidige Wechsel der Symbolebenen bei.

Wahrscheinlich stoppt wieder kein Schwein

Mal scheint der Kampf des Seglers ein existenzielles Gleichnis, dann kommen religiöse Anklänge hinzu, um bald einer bissig politischen Deutung Platz zu machen. Der einsam Havarierte kommt durchaus an die Schifffahrtsstraßen heran, riesige Containerfrachter kreuzen seinen Weg, er zündet seine Notraketen, aber niemand reagiert. Sieht man ihn nicht? Der Kamerablick von unten und außen hinauf zur Brücke der Giganten legt eine andere Deutung nahe. Hier müssen enge Termine eingehalten werden, hier geht es um viel Geld, hier hat man keine Zeit und will nicht sehen, was zu einer lästigen Verzögerung führen würde.

Der Autor und Regisseur dieses ungewöhnlichen Projekts ist der 1973 geborene Jeffery C. Chandor, der mit „Margin Call“ eine brillante Darstellung des momentanen Zusammenbruchs des großen Banken-, Börsen- und Immobilienschwindels geliefert hat. Aber er gerät nicht in Gefahr, „All is lost“ nur zum Bild für das vereinzelte Individuum in einer Welt ohne Rücksichtnahme zu machen.

Einsamer als im Weltall

Chandor ist sich der vielfältigen Verknüpfungen seines Films bewusst, von John Sturges’ Hemingway-Verfilmung „Der alte Mann und das Meer“ von 1958 bis hin zu den modernen Einzelkämpferfilmen. Redfords Segler kann man mit Tom Hanks’ schiffbrüchigem Zustellspezialisten in „Cast Away“ vergleichen, dann fällt auf, dass er keinen Auftrag, keine Mission mehr hat. Ihm widerfahren nicht jene erhabenen Prüfungen aus „Life of Pi“, er ist keine Heldenfigur wie die Astronautin in „Gravity“, die momentan zwar von allen und jedem isoliert ist, deren Schicksal auf Erden aber garantiert ein großes Medienthema sein dürfte.

Redfords Figur ist einfach allein und muss für sich selbst sorgen. Nein, dieser Film will kein kollektives Selbstmitleid ausbeuten. Aber dass er darauf setzt, dass wir uns in diesem Mann problemlos wiedererkennen, sagt schon etwas über das gesellschaftliche Klima aus.

All is lost. USA 2013. Regie: J.C. Chandor. Mit Robert Redford. 106 Minuten. Ab 6 Jahren.