Steven Spielbergs Märchen „BFG – Big Friendly Giant“ bietet einige doppelte Böden. Zwar geht es in der Verfilmung eines Kinderbuchs von Roald Dahls um ein kleines Mädchen und einen Riesen. Aber Spielberg erzählt versteckt auch von sich und vom Kino.

Stuttgart - Nichts gegen gesunden Nachtschlaf. Der kann helfen, den kommenden Tag intensiver auszukosten. Aber in Steven Spielbergs neuem Film „BFG – Big Friendly Giant“ ist Schlaf nicht Vorbereitung auf die nächsten Erlebnisse, sondern die Verdichtung der alltäglichen Erlebnislosigkeit. Die achtjährige Sophie (Ruby Barnhill) läuft darum tief in der Nacht lieber wach durchs Waisenhaus, in dem sie leben muss, und sucht nach kleinen Freiheiten. Sie blickt auf Londons Straßen in der Hoffnung auf Ablenkung. Sie wird Ungeheuerliches zu sehen bekommen.

 

„BFG“, die Adaption eines Kinderbuchs von Roald Dahl, steckt voller doppelter Böden. Sophies Waisendasein ist die unvollständige, prosaische Kindheit, vielleicht das beschädigte Leben überhaupt. Das Fenster des Waisenhauses ist das Kino, das Zauber und Entrückung bringt. Spielberg kehrt hier zurück zu jenem kindlichen Kino, für das man ihn einmal geliebt und auch gescholten hat. Er zeigt noch einmal, wie er sich eskapistisches Kino wünscht. Nicht bloß als etwas, das vor unseren Augen abläuft, sondern als etwas, das hineingreift in unser Leben und uns herausholt.

Das alte Hollywood

Sophie sieht einen Riesen. Aber sie bekommt nicht einfach nur zu Gesicht, was im Tagprogramm der Stadt nicht vorkommt. Sie wird handfest ergriffen. Der Ertappte bemerkt sie, langt ins Waisenhaus, packt Sophie und trägt sie davon ins Land der Riesen. Diese Geschöpfe gibt es auch im Fabelengland von „BFG“ eigentlich nicht mehr – so wie das alte Hollywood, das Spielberg liebt und auf das er sich oft bezieht, längst am Ende war, als der 1946 in Cincinnati Geborene mit dem Filmemachen begann. Aber ganz weg geht das mächtige Alte nie, rumort noch umher.

Und so ist der freundliche Riese, der Sophie nur entführt, um das Geheimnis seiner Existenz zu wahren, nächtlich zugange in der Menschen- und der Fantasiewelt. In letzterer fängt er Träume ein, die er in einem rührend altmodischen Labor untersucht, miteinander kreuzt, raffiniert frisch anmischt, um sie dann den Menschen einzupusten. Spielberg macht klar, wie er sich Hollywood vorstellt.

Kopfzerbrösler und Kumpane

Nur ist der freundliche Riese nicht alleine, nicht der Letzte seiner Art. Viel größer als ein Mensch, ist er doch bloß ein Hänfling unter brachialen Klötzen, die anders als er unfreundliche, bösartige, sackgrobe und steindumme, ja, menschenfresserische Scheusale sind. Ihre Namen künden davon: Blutschlürfer, Klumpenwürger, Kopfzerbrösler etwa. Folgt man der Verführung, „BFG“ als Spielberg’sches Schlüsselwerk zu lesen, als Selbstverortung, dann lassen sich diese fiesen Riesen, zu denen er Sophie trägt, als jenes Effekt-, Rabatz- und Spektakelkino deuten, dem Spielberg den Weg bereitet hat. In manchem bezieht es sich zwar noch auf ihn, aber es teilt kaum noch Werte mit ihm und drückt sein Schaffen beiseite.

Zwar ist auch in „BFG“ ein hochmoderner Illusionsapparat am Werk, verwandelt der Bildcomputer die Schauspielarbeit von Mark Rylance, mit dem Spielberg schon „Bridge of Spies“ gedreht hat, in Mimik und Körpersprache der Titelfigur. Die Anmutung des Films aber ist konsequent altmodisch: von der Architektur über die Kleidung bis hin zu Kamera und Schnitt, die Figuren und Geschehnisse nicht in kleine Splitter zerhacken. Spielberg achtet aber nicht nur auf das Aussehen seiner Welt, er legt das Hauptgewicht des Andersseins auf das verdrehte Sprechen der Riesen. Kein Spielberg-Film bisher war so an Sprache interessiert.

Dank der Queen wird es konservativ

Das noch in den gruseligen Momenten doch auch gemütlich Bleibende wird rundheraus putzig, wenn Sophie und der Riese Hilfe gegen die Ungetüme von der englischen Königin erbitten. Dann wird das märchengartenhaft Künstliche so deutlich, dass auch der jüngste Zuschauer die Inszenierung erkennt. Das große Paradoxon des Spielberg-Werks scheint auf: Dieser Regisseur, der das mit Riesenhand ergreifende Kino so schätzt, distanziert uns doch stets, indem er das Kino als Gegenwelt sehr kenntlich macht, als Hirngespinst.

Ein Film für den Brexit?

So heiter „BFG“ sein möchte, so zornige Kritiken hat er teils auf sich gezogen. Spielbergs Vision eines altmodisch schnuckeligen, weißen, durch die Windsor-Regentschaft charakterisierten Großbritannien biete Flankenschutz für ein rückwärtsgewandtes Brexit-Sentiment, so ist interpretiert worden, ja, der Kampf gegen die andersartigen Riesen, die letztlich in einer Militäraktion gefangen und weit weg deportiert würden, sei eine Kinovariante des Konzepts jener Festung Europa, die Zuwanderer abweist.

Das ist aber gar nicht so bösartig gedacht. 1982, als Dahls Buch erschien, brachte Spielberg „E.T.“ ins Kino, dessen enormer Erfolg bei Erwachsenen viele Erklärungsversuche zeugte. Einer davon lautete, „E.T.“ habe in einer Zeit der konservativen Wende (Ronald Reagan, Maggie Thatcher, Helmut Kohl), der rhetorischen und realen Aufrüstung, mit der Vision eines harmlosen Fremden gepunktet, der der Menschheit nichts Böses will. Auch „BFG“ kommt in einer Epoche des Rechtsrucks ins Kino, aber man kann das Denken eines älteren, konservativeren Spielberg durchscheinen sehen.

Einladung und Hinwendung

Nur sind Filme keine eindeutigen Gleichungen, die man einmal löst, um an einem schlüssigen Ergebnis festzuhalten. Sophies Interaktion mit dem an Büchern, an der Menschenkultur und -sprache interessierten freundlichen Riesen überstrahlt die Konfrontationselemente des Films bei Weitem. Einladung und Hinwendung werden so stark betont wie Furcht und Abwehr. Interessante Träume mischt auch der Riese aus Gutem und Bösem: ein gültiges Kinorezept.

BFG – Big Friendly Giant. USA 2016. Regie: Steven Spielberg. Mit Ruby Barnhill, Mark Rylance, Rebecca Hall, Penelope Wilton. 117 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.