Die Verfilmung von Noah Gordons Bestseller beschwört ein düster buntes Mittelalter herauf. Der Regisseur Philipp Stölzl setzt auf Opulenz und Grusel, um die Reise des Badergehilfen Rob Cole nach Persien zu illustrieren.

Stuttgart - Lauft um euer Leben, ihr Kranken, der Arzt naht – das möchte man den Siechen und Geplagten zurufen, wenn im „Medicus“ der Karren des Baders heranrumpelt. Denn wir befinden uns im europäischen Mittelalter, in der Hochzeit der Quacksalber und Frömmler. Krankheit wird als Prüfung des Betroffenen durch Gott betrachtet, gar als Strafe, weshalb auch der Bader, den Stellan Skarsgard spielt, vorsichtig beim Behandeln sein muss. Er hat zwar ein wenig mehr Ahnung als mancher andere Zahnbrecher und Knochenrichter, der über die Jahrmärkte tourt, aber wenn er zu erfolgreich oder selbstbewusst werden sollte, könnte er als Hexer ins Visier der Kirchenmänner geraten.

 

Philipp Stölzls in der Kinofassung 155 Minuten lange Verfilmung des 1988 erschienenen Bestsellers von Noah Gordon bemüht sich durchaus, Schmutz, Dreck und Beengtheit einer anderen Epoche vor uns hinzustellen und den Schmodder nicht nur als Hygieneproblem zu zeigen, sondern als Sinnbild für die Düsternis in den Köpfen. Von großartigen Bildsequenzen, Verdichtungen und Poetisierungen, wie sie Tom Tykwer in „Das Parfum“ eingesetzt hat, ist „Der Medicus“ aber frei. Das Ganze ist ein klassischer Fernsehmehrteiler, der für den Leinwandeinsatz verdichtet wurde. Der 1967 geborene Stölzl („Nordwand“, „Goethe!“) musste mit einem Budget, das dafür eigentlich nicht ausreichte, über eine stattliche filmische Strecke Opulenz und Prunk, Schauwerte und Gruseleffekte auffahren.

Unter Gefahren in den Orient

Das machen er und die Produzenten nicht einmal schlecht. Man merkt, dass sie mogeln, aber sie mogeln ganz gut. „Der Medicus“ führt Zuschauer durch bunte und düstere Kulissen. Er hält aber stets dramatisch überhitzte Schicksale im Mittelpunkt bereit, damit wir nicht zu lange beim Betrachten der Kulissen verweilen und nicht immer noch mehr Panoramen, Überblicke und Massenszenen fordern.

Skarsgards Bader will eigentlich keinen Gehilfen, aber der junge Rob Cole drängt sich ihm förmlich auf. Robs Mutter ist gerade gestorben, weil die Kirchenmänner eine Behandlung ihrer Krankheit nicht zuließen. Heilen, das ist für Rob (Tom Payne) von nun an keine individuelle Wiederaufrichtung mehr, sondern eine Großaufgabe der generellen Weltverbesserung. Und als er erfährt, dass weit im Osten Gelehrte wirken, deren Kenntnisse und Fertigkeiten über die kruden Improvisationen von seinesgleichen hinausgehen, lässt seine Wissbegierde alles hinter sich, was als ziemlich gilt. Er bricht unter großen Gefahren dorthin auf, gibt sich als Jude aus, um im Machtbereich des Islam geduldet zu werden, und schafft es bis ins Persien des Schahs Al ad-Daula (Olivier Martinez) – und hinein in die Medizinschule des Weisen Ibn Sina (Ben Kingsley) in Isfahan.

Ein Bekenntnis zur Aufklärung

„Der Medicus“ ist zwar reich an erzählerischen Auslassungen und Vereinfachungen, aber während Rob sich tiefer in seine Tarnidentität als Jesse ben Benjamin wühlt, sich Freunde und Feinde macht und sich auch verliebt, treibt ihn an, was Fernsehmehrteiler und alte Hollywoodschnulzen durchaus liebenswert machen kann: nämlich das unbedingte Bekenntnis zu klaren Werten, hier zur Aufklärung, zur Wissbegier, zur Anteilnahme am Leid anderer.

Aus dieser Fixierung auf Werte erwächst aber das größte Problem des „Medicus“. Gegenüber dem Roman aktualisiert der Film die Konfliktlage vor Ort. Rob lebt in einem Land, mit dessen eher weltlichem Despoten sich reden lässt. Mit dem starken islamistischen Untergrund, der vor hat, die Gesellschaft unter die Knute religiösen Buchstabenglaubens zu zwingen, lässt sich aber nicht verhandeln.

Wie der Christ zum guten Helden wird

Rob wandelt sich vom Lernenden zum Lehrenden, vom Barbaren, der im Orient eine Horizonterweiterung erfährt, zum Gelehrten, der seinen Horizont gegen die Barbarei verteidigt. Parallelen zur populären Sicht auf den Iran, auf Afghanistan und den Irak sind durchaus beabsichtigt. Hier wird der Westen wieder zur Verteidigungsinstanz der Menschenrechte.

Das geht so weit, dass die Islamisten ein Massaker an den Juden verüben, das der erschreckte Christ, der zuvor sogar erfolgreich die Pest bekämpft hat, die selbst Ibn Sina nicht bändigen konnte, hilflos mitansehen muss. So wird fast nebenbei die Pogromgeschichte des Abendlands dem Orient zugeschoben. Am Ende kehrt Rob heim und führt die moderne Medizin in London ein, von der man als Zuschauer dann eines sinnlich mitbekommt: einen bitteren Geschmack auf der Zunge.

Der Medicus. Deutschland 2013. Regie. Philipp Stölzl. Mit Tom Payne, Ben Kinsgley, Olivier Martinez. 155 Minuten. Ab 12 Jahren.