Ob es so war, werden wir nie mehr erfahren. Aber dass es so gewesen sein könnte, macht der Regisseur Dominik Graf klar: bei ihm liebt der Hallodri Friedrich Schiller nicht nur seine künftige Ehefrau, sondern auch deren Schwester. Das wird weder Kostümkitsch noch Bildungsschnulze, sondern sehr lebendiges Kino.

Stuttgart - Nun hat die Hofmeisterin Louise von Lengefeld aber genug. Es muss Tacheles geredet werden mit ihren Töchtern, und darum schickt sie ihren Kammerherrn Knebel vor die Tür, wie man einen nassen Hund aus dem Wohnzimmer weist. Diese Szene in Dominik Grafs Historienfilm „Die geliebten Schwestern“ zeigt gut, wie treffend der Regisseur vom Damals erzählt, vom maroden Feudalismus.

 

Denn der Kammerherr (Michael Wittenborn), so deutet Graf mehrmals an, hat mit der Witwe Lengefeld (Claudia Messner) ein Verhältnis, kennt das Bett der Madame wohl nicht nur vom Aufschütteln. Jedenfalls gibt es da Vertraulichkeit zwischen ihnen, ein Einverständnis, dass Knebel in gewissen Situationen auch ein wenig der Mann an Louises Seite ist. Aber dieser Bund ist Spiel, Geflitter ohne Substanz. Wenn es darauf ankommt, wird Knebel kurz und knapp klargemacht, dass er ein Stück Hausrat auf zwei Beinen ist, ein zum ewigen Gehorchen geborener Niemand.

Ein Asylant in Weimar

Obwohl Louise und Knebel nur Nebenfiguren in den „ geliebten Schwestern“ sind, wird das Vor-die-Tür-Schicken ein Zentralmoment des Films. In dem geht es nämlich um den jungen Dichter Friedrich Schiller, Arztsohn aus dem Schwäbischen, der bei seinem Landesherrn Carl Eugen von Württemberg nachhaltig in Ungnade gefallen war und 1787 nach diversen anderen Stationen in Weimar auftauchte.

Das war nur zum Teil eine vom Poesieradar gelenkte Horizonterweiterungsreise ins Geisteszentrum. Schiller war ein Asylant, ein Flüchtling vor dem Grimm des Diktators Carl Eugen. Es hilft, wenn man diese Vorgeschichte kennt, dann wirkt stärker, dass Graf sie erst einmal weglässt.

Der junge Schiller (Florian Stetter), der da unterm Fenster des Lengefeld’schen Hauses auftaucht, der mit der Tochter Charlotte (Henriette Confurius) ins Plaudern kommt, weil er sich – man darf das sehr symbolisch nehmen – verlaufen hat, wirkt frei, beschwingt, aufbruchsfroh. Modern also, einer, der sich aufgemacht hat, etwas zu erleben und herauszufinden, was ihm im Leben alles möglich sein könnte.

Ein denkbares Dreieck

Als möglich erweist sich das Unmögliche: die Liebe des niedrig Geborenen zur blaublütigen Charlotte. Deren Mutter versucht die Mesalliance zu verhindern, letztlich aber erfolglos. Friedrich und Charlotte heiraten im Februar 1790.

Aber war er damit wirklich akzeptiert in der Gesellschaft? Oder blieb er ein Fall Knebel? Diese Frage stellt Grafs Film, und beantwortet sie im Dünkel der Adligen wie in Schillers Wut und Zerknirschung über die Verhältnisse. Nur ist dieser Schiller kein bloßes Opfer, und die „geliebten Schwestern“ sind kein Experimentalaufbau zur Illustration des Standesdünkels.

Dass Schiller Amouren hatte, dass er wie sein gefährlicher Freund und beinharter Rivale Goethe im Sexuellen eine Freiheit lebte, die im Sozialen nicht möglich war, ist bekannt. Graf erzählt aber in eine Wissenslücke hinein. Charlotte hatte eine Schwester, Caroline (Hannah Herzsprung), und wenige Dokumente und Klatsch von damals lassen ahnen, dass Schiller mit beiden ein Verhältnis hatte. Graf macht daraus eine Dreiecksgeschichte, die um vieles schöner, schwungvoller, schmerzlicher und bildkräftiger ist als die Liebeleien, die das aktuelle Großstadtkino serviert.

Es gab Kommunikation vor Facebook

Die Schwestern werden Konkurrentinnen, doch die Liebe macht ihnen klar, wie unmöglich es für die jeweils andere sein muss, Schiller zu widerstehen. Es geht dabei nicht nur um Gefühle, auch wenn die sich hier sehr kameragerecht ausdrücken, wenn etwa beide Schwestern einen unterkühlten Schiller mit ihren Körpern wärmen. Es geht um das Medium, in dem Liebe sich ausdrückt, in dem soziale Beziehungen entwickelt und gefährdet werden: es geht um Briefe, ums Schreiben, um Worte.

Ohne verkrampft aktualitätssüchtig zu sein, darf man sagen: dies ist auch ein Facebook-Film. Graf zeigt, dass in früheren Zeiten Medien ebenfalls keine biederen Hilfsmittel waren, sondern Eigendynamik entfalteten – und durch ihre Abfangbarkeit das Private nicht mehr ganz privat ließen.

Nachdenken über die Selbstentblätterung

Nur dass Graf, der seine Figuren beim fiebrigen Schreiben, beim atemlosen Lesen, beim folgenreichen Schnüfffeln zeigt, die Briefkultur von einst eben nicht für austauschbar mit Facebook, Twitter und Instagram hält. Die anderen Wege, Zeitbegriffe und Ausdrucksfähigkeiten werden deutlich.

Es gibt jedoch keinen erhobenen Zeigefinger. Was sich geändert hat in der Art, wie wir uns in Selbstbeschreibung und -entblätterung formen, darf jeder Zuschauer selber entscheiden. Aber so viel Spaß, über dieses Thema nachzudenken, wie beim Erleben dieser vertrackten Liebe im späten 18. Jahrhundert hat man selten.

Die geliebten Schwestern. Deutschland, Österreich 2013. Regie: Dominik Graf. Mit Hannah Herzsprung, Henriette Confurius, Florian Stetter, Claudia Messner, Ronald Zehrfeld. 139 Minuten. Ab 6 Jahren.