Die Fortsetzung der Bestsellerverfilmung „Die Tribute von Panem“ schildert die Zukunftswelt kein bisschen freundlicher als der Vorgängerfilm: Gladiatorenspiele sollen das Volk ruhig halten.

Stuttgart - Immer noch gibt es erstaunlich viele Amerikaner, auch solche, die nicht früh von den Sitzen des Schulsystems gerutscht sind, die ihr Land für einen einzigartigen Hort der Freiheit halten, für eine Demokratie ohnegleichen, für ein Land, zu dem alle staunend aufschauen, mit Ausnahme einiger Millionen geisteskranker Terroristen. Auf Youtube kann man tagelang die Reißfestigkeit seines Zwerchfells respektive die Bruchfestigkeit des eigenen Glaubens an die Menschheit testen, indem man sich durch einschlägige Straßeninterviews und Videoblogs klickt.

 

Aber es gibt auch die anderen, die zu einem zweiten Blick bereit sind, wie der Erfolg der Buchreihe „Die Tribute von Panem“ und ihrer Kinoumsetzung belegt. Die Autorin Suzanne Collins erzählt aus Sicht der 16-Jährigen Katniss Everdeen von einem postapokalyptischen Amerika, dessen neu errichtete Gesellschaft eben nicht ganz und gar anders ist als die uns vertraute. Vieles an dem, was sich seit dem Krieg gegen den Terror verändert und entwickelt hat, ist kenntlicher gemacht, wird offener ausgesprochen, spreizt sich vielleicht auch schamloser.

Bedingungslose Gefolgschaft

„Die Tribute von Panem: Catching Fire“ führt uns mitten hinein in diese wohlwollende Diktatur, deren Präsident (Donald Sutherland) und Eliten nur ein Ziel kennen: Ruhe, Stabilität, Geschlossenheit, zum Wohle aller natürlich. Denn die Alternative zur bedingungslosen Gefolgschaft, so die Staatsdoktrin, wäre das mörderische Chaos. Weshalb dem Staat auch Mord, Folter, Schikane und Spitzelei, Meinungsmache und Volksverdummung erlaubt sind.

Anfangs holpert der nicht mehr wie der erste Teil von Gary Ross, sondern von Francis Lawrence („I am Legend“) inszenierte Film ein wenig, aber das ist kein übles Vorzeichen. Hier muss einfach zügig eine Menge dessen erklärt werden, was Neueinsteiger dringend brauchen, Fans aber längst wissen. In den USA der Zukunft gibt es jährliche Gladiatorenspiele. Jede der zwölf Provinzen des Landes lost zwei Kandidaten aus, die sogenannten Tribute, die in einer als Dschungel gestalteten Hightecharena gegeneinander kämpfen, bis nur noch ein Überlebender die blutige Showbühne verlässt.

Gefährliche Wahrheit

Die von Jennifer Lawrence sehr energisch, aber nicht superheldenglatt gespielte Katniss war im vorigen Film eine Arenakämpferin, aber ihr Sieg wurde zur Minirevolte. Katniss hat das Dschungelcamp zusammen mit einem anderen Kandidaten verlassen, der Triumph einer cleveren Gegenstrategie zur Fernsehdramaturgie. Katniss, ihr Partner Peeta (Josh Hutcherson), der Kandidatentrainer Haymitch (Woody Harrelson) und der Stylist Cinna (Lenny Kravitz) haben den Kameras eine große Liebesgeschichte geliefert, haben die Duellanten Katniss und Peeta zu Romeo und Julia umdefiniert. Dass Katniss zu Hause einen ganz anderen liebt, ist die gefährliche Wahrheit, die nicht bis in die Medien dringen darf.

Der aktuelle Film erzählt vom Gegenschlag des Systems. Präsident Snow fürchtet jede noch so kleine Subversion. Manches Bild in „Catching Fire“ legt auch nahe, dass das System bereits weit instabiler ist, als die Inszenierungen der Macht, die wir bisher sehen durften, verraten haben. Snow ordnet Jubiläumsspiele an, in denen bisherige Sieger aufeinandertreffen. Beim zweiten Durchgang wird die Liebespaar-Dramaturgie von Katniss nicht funktionieren. „Die Tribute von Panem“ bringen also, zynisch gesagt, die Erfüllung des plattesten Wunsches der Filmindustrie mit sich: Muster, Figurenkonstellation und Motive eines Erfolgsfilms wiederholen zu dürfen.

Gegen das Berieselungskonfetti

Aber hier geht die Wiederholung logisch und sinnig aus dem bislang Erzählten hervor. Und wie Ross im ersten Teil setzt auch Lawrence im Nachfolger nicht auf endlose Kampfsequenzen, Schockmomente, Ekelprovokationen. So spannend die physischen Herausforderungen auch präsentiert werden, der Film hält vor allem die moralische und menschliche Seite im Blick: Wie überlebt man innerlich diese Form des Überlebens?

Vor allem aber beeindruckt wieder das Drumherum, die Bilder der martialischen Polizeitruppen, die gewissenlose Animierlust des TV-Moderators Caesar Flickerman (Stanley Tucci), der die Spiele als großen Spaß verkaufen soll, das ständige Drehen der Funktionäre an der Lügenschraube, ihr Zukleistern elender Wahrheiten mit dampfendem Pathos. Der Film „Die Tribute von Panem“ führt jungen Zuscheuern eine Medien-, Amüsier- und Propagandawelt vor, die ihnen vertraut vorkommen müsste. Und mahnt, dass kein Konfettifetzen dieser Dauerberieselung harmlos oder authentisch ist. Hollywood streut die Saat des Zweifels in die Köpfe. Möge sie aufgehen.

Die Tribute von Panem: Catching Fire. USA 2013. Regie: Francis Lawrence. Mit Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Philip Seymour Hoffman, Stanley Tucci. 146 Minuten. Ab 12 Jahren.