Der 17-jährige Ben (Samuel Schneider) besucht seinen Vater (Ulrich Tukur) und dessen neue Frau in Marokko. Der Vater inszeniert dort am Theater. Ben interessiert das eher weniger. Die Oscar-Preisträgerin Caroline Link erzählt von einer schwierigen Beziehung und dem Schwanken zwischen Trotz und Offenheit.

Stuttgart - Vor vielen Jahren ist mal ein blonder deutscher Geschäftsmann in einem arabischen Land angekommen, dort war es laut und heiß und wimmelte nur so vor Einheimischen. Dann ist der gestresste Kerl in einen Leihwagen gestiegen, dessen Stern er vorher noch schnell getätschelt hat, und nun war er voll klimatisiert verkapselt, eine himmlische Ruhe hat ihn umgeben und eine Stimme aus dem Off ihn begrüßt: „Willkommen zu Hause!“

 

Wenn der in Marokko gelandete Ben (Samuel Schneider) nun auch in einer Luxuslimousine sitzt und das bunte Treiben da draußen durch getönte Scheiben betrachtet, erinnert das zunächst sehr an diesen alten Mercedes-Werbespot. Aber der 17-jährige Internatsschüler, der die großen Ferien mit seinem Vater Heinrich verbringen soll, ist dann doch viel zu neugierig, um sich den Eindrücken eines fremden Landes zu verschließen. Er öffnet erst das Fenster, später auch die Tür des Wagens, um in das Gewimmel der Stadt einzutauchen.

Womit darf man Marokkaner belästigen?

Der selbstbewusst-arrogante Heinrich dagegen interessiert sich nicht für Marrakesch, er importiert dorthin für ein Theaterfestival deutsche Kultur, er ist ein Regiestar, der mit seiner ihn bewundernden Truppe „Emilia Galotti“ probt. „Warum muss der Marokkaner mit dieser Klassikerscheiße belästigt werden?“, fragt Ben trotzig. Seine Eltern sind geschieden, sein Vater lebt schon lange mit einer anderen Frau zusammen und hat mit ihr ein Kind, das Ben aber nicht kennenlernen will.

Doch auch Heinrich kann mit seinem Sohn wenig anfangen. Dessen Kurzgeschichten legt er zunächst zur Seite, als er sie gelesen hat, kritisiert er sie harsch. Zu sentimental sei das alles, Gut und Böse allzu sauber getrennt. Er selber liegt in seiner Freizeit am Pool und liest Paul Bowles, der so kühl-distanziert über das Leben in Marokko geschrieben hat. Nein, sein Hotel-Refugium will er nicht verlassen: „Manchmal ist die Fantasie besser als die Realität.“

Mit dem Skateboard in die Wüste

Das Skateboard ist stets dabei

Ben aber sucht in Caroline Links Adoleszenz-Geschichte, in der sich die Paul-Bowles-Anspielungen zur Kritik am Autor des „Himmels über Wüste“ summieren, das „wahre“ Marokko. Er ist noch so jung, so offen und so furchtlos – und auch noch so idealistisch-naiv! –, dass er die Grenzen zwischen Klassen und Kulturen ignoriert.

In einer Rotlichtbar freundet er sich mit der Prostituierten Karima (Hafsia Herzi) an, lässt sich auch am nächsten Tag nicht abwimmeln, steigt zu ihr in einen Bus und fährt mit zu einem Lehmhüttendorf im Atlasgebirge. Dort haust ihre Familie, die von Karimas Geld lebt, aber nicht wissen will, wie sie es verdient. Als ihr Vater zurückkehrt, wirft er seine Tochter und deren neuen Freund sofort hinaus. Bald darauf ist der Diabetiker Ben, dem die Insulinspritzen ausgehen, auf sich allein gestellt, beantwortet aber immer noch nicht die auf seinem Handy einlaufenden Anrufe des Vaters, sondern zieht – das Skateboard immer dabei – alleine los in die Wüste.


Irgendwann laufen die zunächst parallel geführten Erzählungen vom herumirrenden Ben und vom ihn suchenden Heinrich zusammen. Und nun wird das exzellent fotografierte Marokko doch ein bisschen zu dem, was manche Kritiker dem Film von Anfang an vorwerfen: zur exotisch-dekorativen Folie für westliche Sorgen und Nöte.

Vom Kind zum Rivalen

Die einheimischen Protagonisten, die wie Karima zunächst noch eigene Geschichten hatten oder zumindest andeuten konnten, rücken nun mehr und mehr in den Hintergrund. Sie sind nur noch schnell vorbeiziehende Gesichter in einem Roadmovie, in dem die äußere Bewegung zur inneren führt oder mit ihr korrespondiert.

Die Fremde treibt einerseits die Konflikte umso schärfer hervor. Auf einer Dachterrasse fordern sich Vater und Sohn sogar körperlich heraus, in der Weite der Wüstenlandschaft aber kommen sie sich schließlich auch näher, trinken zusammen, rauchen zusammen auch mal einen Joint. Heinrich war zuvor irritiert, dass Ben nicht mehr Kind ist, jetzt akzeptiert er ihn (fast) als Rivalen. Und auch Ben spürt, wie die Entfremdung sich langsam löst, wie sein Vater ihm wieder zum Vertrauten wird.

Ein Schicksal, das man nicht vergisst

Nur ihr Schicksal bleibt offen

Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“) mag die dramatischen Elemente manchmal zu sehr forcieren, diese Sequenzen aber inszeniert sie zupackend und subtil zugleich, und auch Samuel Schneider und Ulrich Tukur fühlen sich genau in ihre ambivalenten Charaktere ein. Das Skateboard überlässt Ben am Ende ein paar marokkanischen Jungs, er ist ja erwachsen geworden.

Und wie geht es jetzt Karima? Wurde sie durch die Begegnung mit Ben von ihrer Familie verstoßen und also ganz aus der Bahn geworfen? Der Film hat Karima schon lange aus den Augen verloren. Aber vorher hat er sie dem Zuschauer doch so nahegebracht, dass ihm ihr Schicksal nicht mehr aus dem Kopf geht.

Exit Marrakech. Deutschland 2013. Regie: Caroline Link. Mit Samuel Schneider, Ulrich Tukur, Hafsia Herzi. 122 Minuten. Ab 6 Jahren.

Am Samstag, den 26.10., um 20 Uhr stellt Caroline Link ihren Film im Atelier am Bollwerk vor.