Für viele von uns sind schon heute Computer Smartphone und soziale Netzwerke nicht mehr wegzudenken aus dem Leben. Spike Jonze erzählt in seinem genialen neuen Film „Her“ von der nächsten Stufe der Entwicklung: intelligente Software wird zum attraktiven Partner.

Stuttgart - Nicht einmal die dreistesten Werberasseln der Softwareindustrie verstiegen sich bisher zu dieser Behauptung: dass da ein Betriebssystem auf den Käufer warte, in das man sich verlieben könne. Man ist ja schon froh, wenn die wirre Ansammlung von Einsen und Nullen fähig ist, ein paar alltägliche Büroarbeiten zu unterstützen, ohne dauernd abzustürzen. In unserer Welt sind Betriebssysteme noch immer zum Hassen da.

 

Der Regisseur und Autor Spike Jonze aber erzählt in „Her“ aus einer anderen Welt, einer nahen Zukunft, in der die Run Time Errors endlich besiegt sind oder vom Betriebssystem diskret und unauffällig bewältigt werden wie ein Sektblasenhickser von einer Ballkönigin. Joaquin Phoenix spielt in der besten Rolle, die er je hatte, „Walk the Line“ hin, „The Master“ her, den Angestellten Theodore Twombly. Er lebt ein ins Digitale verlagertes Leben, das sich von dem uns bereits möglichen nur dadurch unterscheidet, dass ringsum kein Gegenentwurf mehr existiert.

Ein Leben des Murmelns und Löschens

Theodores Sozialkontakte laufen über E-Mails und Netzwerkapplikationen, die er auf dem Smartphone per Sprachsteuerung sichtet und sortiert. Wenn er unterwegs ist zwischen Büro und Arbeitsplatz, hat er den Knopf im Ohr und lässt sich vorlesen, was an Spam oder Nachrichten zu seiner anstehenden Scheidung nach einer Phase der Trennung eingetrudelt ist.

„Löschen, löschen, löschen“, murmelt er vor sich hin, auf beschirmten Wegen zwischen gläsernen Gebäuden, einer von vielen murmelnden Passanten, jeder allein in der Welt, die er schon kennt, befreit vom Schrecken, sich mit Fremden unterhalten zu müssen.

Blase der Begüterten

Sein Geld verdient Theodore mit Briefen, die er für andere schreibt, für Menschen, die sich ihre sanften Worte an die Geliebte oder die eigenen Eltern aus Zeit-, Sprach- oder Gefühlsmangel beim Intimitätenhändler kaufen. Menschliche Nähe wird durch eine Luxusvariante der Grußkarte simuliert.

Kamera, Schnitt und Ton erschaffen diese Welt als sanften Kokon, sie überzeugen uns mit eleganter Molligkeit, dass hier keiner aufbegehren will. Man kann nicht entscheiden, ob Jonze von einer Blase der Begüterten in einer nach wie vor armen Welt erzählt oder ob er den alten SF-Traum vom Wohlstand für alle zitiert. Aber diese kantenfreie Sphäre ist in sich überzeugend, ein lind die Patienten umfassendes Wellnessbecken zur erfolgreichen Linderung der Entfremdungsjuckreize.

Liebe braucht also doch keinen Körper

Aus einem Impuls heraus kauft Theodore das neue Betriebssystem OS1, das als erste künstliche Intelligenz fürs private Netzwerk aus PC und Smartphone beworben wird. Wie in unserer Realität bilden neue Produkte positive Veränderungssurrogate für eine Gesellschaft, die sich mit der Alternativlosigkeit ihrer Grundkonstruktion abgefunden hat. OS1 spricht mit einer einnehmenden Frauenstimme und wählt für sich selbst den Namen Samantha. Im Original spricht Scarlett Johansson diese Samantha, und sie macht das so gut, dass man die Werbekampagne des Verleihs, die ihr für den körperlosen Auftritt einen Oscar zuschanzen wollte, plötzlich gar nicht mehr so dreist findet.

Frau ohne Körper

Vielleicht erwartet Theodore gar nicht das, was die Werbung verspricht. Vielleicht wäre er schon mit einer aufgesexten Variante dessen zufrieden, was ihm die raumhoch ins Wohnzimmer projizierten Computerspiele liefern, mit denen er seine Abende zubringt, eine mit vielen schlauen Reaktionsroutinen gefütterte Charaktersimulation, die Intelligenz und Persönlichkeit vortäuschen kann.

Aber Samantha ist tatsächlich eine aus Bits und Rechenprozessen, Algorithmen und Datenbänken zusammengesetzte Persönlichkeit. Theodore Twombly hat nun eine Frau an seiner Seite, die keinen Körper besitzt. Und fast so schnell, wie sich die Frage stellt, ob sie gehorsame Dienerin oder autonome Gefährtin ist, ist Theodore auch schon verliebt. Aber wie küsst man ein Betriebssystem?

Vorsicht im Glashaus

„Her“ ist der vierte Spielfilm des Musikvideomachers Spike Jonze, und es ist sein zartester, wärmster, melancholischster geworden. Wie in „Being John Malkovich“ und „Adaption“, für die Charlie Kaufman das Drehbuch schrieb, und der Kinderbuchverfilmung „Wo die wilden Kerle wohnen“, bei der hauptsächlich Dave Eggers die Vorlage von Maurice Sendak umgestaltet hat, verlässt auch „Her“ die Gefilde unseres Alltags. Aber dieses Mal ist die Fremdheit nicht gewollt bizarr, sondern nur eine Verschiebung des bestens Bekannten ins sofort Einleuchtende.Jonze erweist sich als Meister der Beziehungskomödie, der die sich entwickelnde Liebe und die daraus folgenden Differenzen umso ernster nimmt, je unwiderstehlicher er ihre komischen Seiten hervorkehrt.

„Her“ gehört zu jenen Filmen, die ihren Gegenstand auf sein Humorpotenzial abklopfen, weil jede andere Darstellungsart schnell in die Tiefen der Depression führen würde. Der Witz wird aber nie laut, schon gar nicht hämisch. „Her“ will keine Steine im Glashaus werfen: morgen oder übermorgen werden wir vielleicht so lieben.

Her. USA 2013. Regie: Spike Jonze. Mit Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams. 126 Minuten. Ab 12 Jahren.