Selbstherrliche Männer, geduckte Frauen, so stellt man sich im Westen die Ehen der orientalisch geprägten Welt vor. Der libanesische Regisseur Assad Fouladkar greift die Klischees auf, aber nur, um sie durcheinander zu wirbeln

Stuttgart - „Wisst ihr, wo die Babys herkommen?“ In der Mädchenklasse einer Grundschule in Beirut herrscht ratloses Schweigen. Doch die Lehrerin lässt nicht locker. Aufklärung muss sein, basta! Was sie ihren Schülerinnen dann als Wahrheit über den Zeugungsakt auftischt, klingt zwar genial einfach und – sofern man keinen Schimmer von der Materie hat – plausibel. Mit einer pädagogisch wertvollen Einführung in die Biologie hat ihr abenteuerlicher Erklärungsversuch dennoch nichts zu tun. „Der Wurm Alaka kommt aus dem Mann und kriecht in die Frau“, behauptet sie. Dazu zuckt ihr Zeigefinger beängstigend anschaulich vor und zurück.

 

Die Vorstellung wirkt ein bisschen wie eine exotische Variante des christlichen Dogmas von der unbefleckten Empfängnis. Zuhause gibt die kleine Hiba (Berlin Badr) das Ammenmärchen an ihre jüngere Schwester Nasma (Christy Bared) weiter. Fortan wickeln sich die verstörten Mädchen nachts in schwarze Plastiksäcke, um sich vor ungewollten Schwangerschaften durch eklige Parasiten zu schützen.

Auf dem Schlauch

In Assad Fouladkars Beziehungskomödie „Liebe halal“ stehen allerdings nicht nur die Kinder auf dem Schlauch, wenn es um Fragen zu Liebe, Sex und Partnerschaft geht. Auch die Erwachsenen schlagen sich mit fatalen Missverständnissen herum, die einerseits alltäglich sind, andererseits erst durch mehr oder weniger strikte Scharia-Gebote entstehen.

Anhand dreier Paargeschichten erzählt der libanesische Drehbuchautor und Regisseur von den Schwierigkeiten muslimischer Paare, die religiöse Vorschriften und individuelle Bedürfnisse unter einen Hut bringen müssen. Awatef (Mirna Moukarzel), die Mutter von Hiba und Nasma, ist eigentlich glücklich in der Ehe mit Salim (Ali Sammoury). Wäre der bloß ein bisschen genügsamer im Bett. Was westliche Frauen als vorsintflutliche Barbarei ablehnen, schätzt Awatef als gute Option: Eine Zweitfrau soll ihr den Nimmersatten dann und wann vom Hals halten, im Haushalt und auch bei der Kindererziehung einspringen. Mit ihrem Wunsch stößt Awatef bei Salim jedoch nicht auf Gegenliebe, weil der nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern aus aufrichtiger Zuneigung mit Awatef lebt.

Krieg und Trennungen

Zwischen Batoul (Zeinab Hind Khadra) und Mokhtar (Hussein Mokaddem) herrscht dagegen Krieg. Schon zweimal hat Mokhtar vom zweifelhaften Vorrecht Gebrauch gemacht, sich durch die Formel „Ich verstoße dich“ von seiner Frau zu trennen. Jedes Mal im Beisein der sensationslüsternen Hausgemeinschaft. Beim dritten Mal ist die Trennung rechtsgültig. „Die Religion ist kein Spiel“, rügt ein Imam den verdutzten Mokhtar, der die Loslösung von Batoul plötzlich bitter bereut.

Dann ist da noch Loubna (Darine Hamzé), die nach ihrer Scheidung ein neues, vermeintlich freieres Leben an der Seite von Jugendschwarm Abou Ahmad (Rodrigue Sleiman) beginnt. Der ist selbst unglücklich verheiratet, will aber bloß den Kick einer „Ehe auf Zeit“, ein durch die Scharia gedecktes Verhältnis ohne weitere Verpflichtung.

Arme Würstchen, gallige Lehren

Die äußeren Bedingungen, unter denen sich die Paare lieben und fetzen, sind eigentlich bedrückend. Darüber kann auch der manchmal zotige, kindlich naive Humor nicht hinwegtäuschen. Trotzdem präsentiert „Liebe halal“ keine galligen Lehren über die Beschaffenheit der muslimischen Gesellschaft. Gerade in den Charakterzeichnungen unterläuft Assad Fouladkar jene Klischees, die er durch die fast schematische Konstruktion seines Plots zunächst zu bestätigen scheint.

Die bequeme Unterscheidung zwischen weiblichen Opfern und männlichen Nutznießern einer vom Machismo durchtränkten Religionspraxis funktioniert hier nicht. Denn die Frauengestalten treten nicht als passive Erdulderinnen auf, und die Männer agieren selten stark und selbstbewusst.

Zu schwach für Schwächegefühle

So ernsthaft Fouladkar die Konsequenzen von Mokhtars Scheidungsentschluss für Batoul schildert, so deutlich arbeitet er Mokhtars Unvermögen heraus, seiner Frau auf Augenhöhe zu begegnen. Obwohl es manchmal danach aussieht, Mokhtar ist kein selbstgerechter Despot. Er ist ein von unbegründeter Eifersucht überwältigtes Würstchen, ein Typ, der nie gelernt hat, Angst und Schwächegefühle auszuhalten.

Wie Awatef als Frau männliche Vorrechte für ihre eigenen Zwecke instrumentalisiert und Salim in die Bigamie treibt, legt Fouladkar als grellen, irrwitzigen Rollentausch an. Dass Salim und die beiden Töchter bald die Vorzüge einer zweiten Frau und Mutter im Haus zu schätzen wissen, öffnet Awatef die Augen. Die von ihr zuvor als einengend empfundene, herkömmliche Paarbeziehung wird zum fragilen Idealmodell. Loubna macht dagegen die bittere Erfahrung, dass zwischen Traumvorstellung und Wirklichkeit tatsächlich Welten liegen. Es zeigt sich: Liebe ist komisch, launisch, manchmal sogar peinlich. Rein, also „halal“, ist sie selten.

Liebe halal. Deutschland, Libanon 2015. Regie: Assad Fouladkar. Mit Mirna Moukarzel, Ali Sammoury, Darine Hamzé, Rodrigue Sleiman. 91 Minuten. Ab 6 Jahren.