Dass Hollywood nicht der Himmel auf Erden ist, haben auch Filme aus Hollywood oft genug erzählt. So böse wie der Kanadier David Cronenberg hat die Hauptstadt des Gehirnlamettas aber selten jemand porträtiert.

Stuttgart - Wenn man zu Besuch in Los Angeles ist und einem gar nichts Gescheites mehr einfällt, kann man am Straßenrand günstig Stadtpläne erstehen, auf denen all die Häuser der Stars und Sternchen verzeichnet sind, von denen die Kulturindustrie uns weismachen will, dass wir von ihnen träumen. Derart mit „Maps to the Stars“ ausgerüstet, kann man sich aufmachen, um mal einen Blick auf die Mülltonne von Brangelina & Co. zu erhaschen. Großes Kino für kleine Leute!

 

Der kanadische Filmregisseur David Cronenberg hat in seiner langen Karriere stets einen großen Bogen um Hollywood gemacht, indem er sich dem Mainstream mit philosophischen Körperhorror-Filmen wie „Parasiten-Mörder“, „Scanners“ oder „Die Fliege“ entzogen hat. Doch jetzt, im Alter von 71 Jahren, ist er losgezogen und hat ein paar wagemutige Stars von Julianne Moore über John Cusack bis hin zu Mia Wasikowska zusammengetrommelt, um einen Blick hinter die Kulissen der Traumfabrik zu werfen. Der ist so faszinierend, dass man sich mit Grausen abwenden möchte, aber nicht kann.

Boulevard trifft Toilette

Dass Hollywood sich und seine Neurosen und Psychosen zum Thema radikaler, böser, komischer Abrechnungen macht, ist nicht neu. Erinnert sei an Filme wie Barry Levinsons „What just happened“, Robert Altmans „The Player“, Robert Aldrichs „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ oder Joe Roths „America’s Sweethearts“. Doch Cronenbergs Ansatz ist ungleich unbarmherziger und dekonstruktiver.

Wie der Forscher Brundle in der „Fliege“ kreuzt er den Boulevard mit der Toilette und ruft auf gut Österreichisch: „Geht scheißen!“ Was Julianne Moore in einer der schrägsten Szenen, die in Hollywood je gedreht wurden, absolut wörtlich nimmt. Dafür setzt es dann entweder ein Karriere-ende oder einen Darstellerpreis in Cannes, wo „Maps to the Stars“ im Frühsommer Premiere feierte.

Nach der Psychiatrie der Exorzismus

Worum geht es? „I’m from Jupiter!“, erklärt Agathe Weiss ihrem Chauffeur, dem arbeitslosen Schauspieler und Möchtegern-Drehbuchautor Jerome, als sie in Los Angeles ankommt. Sie wirkt glamourös und etwas verstört – und sie ist gekommen, um ihre Familie zu besuchen. Doch die Familie will sie nicht, hat sie verstoßen, seit sie, der Schizo, das Haus anzündete und fast den Bruder tötete. Agathe trägt lange Handschuhe, um die Brandwunden zu verdecken, und kommt direkt aus der Psychiatrie in Jupiter, Florida.

Ihr Bruder Benji ist mittlerweile ein drogenabhängiger Kinderstar, dem bereits Jüngere die Show zu stehlen drohen und dessen weitere Karriere davon abhängt, dass er nachweisen kann, dass er aktuell clean ist. Vater Stafford ist eine Mischung aus New-Age-Guru, Masseur und Gesprächstherapeut, der mit Selbsthilfe-Ratgebern gutes Geld macht. Über ihre Twitter-Freundin Carrie Fisher bekommt Agathe zunächst einen Job als persönliche Assistentin der Schauspielerin Havana Segrand, deren Karriere gerade dem Ende entgegengeht. Havana würde gerne die Hauptrolle im Remake des Films übernehmen, der einst ihre Mutter berühmt machte – es handelt sich dabei um eine Art von ödipalem Exorzismus.

Terror nach innen und außen

Abgesehen von Agathe agieren sämtliche Figuren am Rande des Nervenzusammenbruchs und changieren bestenfalls zwischen unsympathisch und zynisch. Das Drehbuch hat Bruce Wagner geschrieben, einer der scharfzüngigsten Chronisten Hollywoods, der nun dem Affen Zucker gibt. „Maps to the Stars“ ist die beste Bret-Easton-Ellis-Verfilmung, an der Ellis gar nicht beteiligt ist, und löst ein, was dessen Abrechnung mit der Traumfabrik „The Canyons“ nur versprach. Hier verkleidet sich die Soap Opera als griechische Tragödie oder umgekehrt, bis die (inzestuöse) Kleinfamilie sich gleich in mehrfacher Hinsicht als Terrorzusammenhang gezeigt hat, der sich nach innen und nach außen richten kann.

Das funktioniert auch deshalb, weil Cronenberg nach seinen beiden diskursiven Filmen „Eine dunkle Begierde“ und „Cosmopolis“ wieder den menschlichen Körper mit seinen Schwächen, Wunden, Narben und Altersmakeln als Schlachtfeld nutzt. Weshalb man diese forcierte Hollywood-Groteske auch ohne größere Umschweife als hellsichtige Gesellschaftssatire begreifen darf, die den brutal komischen Zeitgeist genau dort in den Blick nimmt, wo er sich seine verführerischen Züge aufschminkt. Anders gesagt: Hollywood hat hier allen Anlass, sich zu schämen.

Maps to the Stars. USA 2014. Regie: David Cronenberg. Mit Julianne Moore, John Cusack, Robert Pattinson, Mia Wasikowska, Carrie Fisher, Evan Bird. 111 Minuten. Ab 16 Jahren.