Die Liebesgeschichte, die Richard Tanne in „My First Lady“ erzählt, ist auf den ersten Blick unspektakulär, entpuppt sich aber als Romanze mit weltgeschichtlichem Potenzial.

Stuttgart - Chicago im Sommer 1989, ein lauer Sonntag bricht an. Barack (Parker Sawyers), achtundzwanzig Jahre alt, Student an der exklusiven Harvard Law School und Praktikant einer Anwaltskanzlei für Wirtschaftsrecht, hat frei. Im Unterhemd und mit der Fluppe zwischen den Lippen lümmelt er im Sessel. Er tut sich schwer, das lesezerfledderte Buch wegzulegen, dabei hat er eigentlich etwas vor. Seit Wochen versucht er, Michelle (Tika Sumpter), seine Vorgesetzte in der Kanzlei, zu einem Trip ins Grüne zu überreden. Nach langem Zögern hat sie endlich zugestimmt, mit Barack immerhin eine Gemeindeversammlung zu besuchen. Mehr aber nicht, und ein richtiges Date ist das schon gar nicht! Sagt zumindest Michelle, die Privatleben und Beruf strikt trennen will, und Barack auch aus anderen Gründen lieber auf Abstand hält.

 

Der typisch holprige Beginn einer großen Liebe: Er will Sie, aber Sie ziert sich ein bisschen. Es kommt zu niedlichen Verwicklungen, dem ersten Kuss, dem ersten Krach. Und am Ende wird alles gut. Nach diesem bewährten Muster könnte auch der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Richard Tanne in seiner Romanze „My First Lady“ verfahren. Aber Tanne erzählt eben nicht bloß die Geschichte irgendeines fiktiven Liebespaars. Sein Drehbuch verarbeitet die Erinnerungen von Michelle und Barack Obama, die sich tatsächlich 1989 in einer Kanzlei kennen lernten und drei Jahre später in Chicago heirateten. In Tannes Nacherzählung wirkt das erste Rendezvous der beiden nicht wirklich spektakulär. Ohne das Wissen, dass diese beiden jungen Leute später zu politischen Idolfiguren werden, wäre es nicht der Rede wert.

Gezanke im Park

In seiner alten Karre mit durchgerostetem Boden und überquellendem Aschenbecher holt Barack Michelle zuhause bei ihren Eltern ab. Die hat sich bei ihrer eigenen Garderobe mehr Mühe gegeben als ihr Kollege, und ist über dessen arg lässiges Auftreten nicht besonders erfreut. Murrend lässt sie sich in eine Ausstellung mit den Werken schwarzer Künstler führen. Später kommt es beim Imbiss im Park zu gegenseitigen Sticheleien und hitzigen Debatten.

Als Barack bei der Gemeindeversammlung in einem von Schwarzen bewohnten Armenbezirk das Wort ergreift, beginnt Michelle zwar, ihn mit anderen Augen zu sehen. Doch der abschließende Kinobesuch, bei dem die beiden bezeichnenderweise Spike Lees aufrührerisches Getto-Drama „Do the Right Thing“ ansehen, droht wieder, in einem Eklat zu enden.

In Tannes geschliffen leidenschaftlichen, zuweilen zänkischen Dialogen legen Michelle und Barack im Film die liberalen Ansichten, Werte und Überzeugungen dar, für die bis heute die realen Obamas stehen. Im Vorfeld der kommenden Wahlen erhält diese kleine, unauffällige Geschichte einer Liaison zwischen zwei Idealisten plötzlich Gewicht – eine Vergegenwärtigung der Hoffnung und Aufbruchsstimmung, die Barack Obama als erster schwarzer Präsidentschaftskandidat verkörperte.

Die besseren Vertreter des amerikanischen Traums

Denn im Vergleich zu Hillary Clinton etwa, einer Angehörigen des Washingtoner Politikestablishments, oder zu Donald Trump, dem reichen Immobilienmagnaten, erscheinen die Obamas noch immer wie Bürger unter Bürgern, die sich aus eigener Kraft von sozialen Beschränkungen lösen konnten. Was sie zu authentischen Vertretern eines gerechteren amerikanischen Traums macht.

In dieser Vorbildfunktion überhöht der Film die Charaktere zwar. Ins Kitschige driftet die Geschichte trotzdem nicht. Gerade weil Richard Tanne nicht die komplette Biografie der Obamas bis zum heutigen Tag mit all den politischen Erfolgen, aber auch Niederlagen und Fehlentscheidungen des Präsidenten fortschreibt, kommt kein Pathos auf. Man kann diese Darstellung vielleicht auch als leise Mahnung verstehen, dass ein Präsident eben nicht immer in der Lage ist, innerhalb eines engen realpolitischen Handlungsraums die eigenen Ideale zu verwirklichen. Auf den Versuch kommt es dennoch an.

My First Lady. USA 2016. Regie: Richard Tanne. Mit Tika Sumpter, Parker Sawyers, Vanessa Bell Calloway, Jerod Haynes. 83 Minuten. Ab 6 Jahren.