Jake Gyllenhaal brilliert in diesem Drama als fieser Emporkömmling in der Medienbranche. Quotendruck beseitigt bei ihm jeden Rest Anstand. Ein Film, der einen das Fürchten lehrt.

Stuttgart - Von nichts kommt nichts. Oder, um es mit den Worten von Lou Bloom (Jake Gyllenhaal) zu sagen: „Wer im Lotto gewinnen will, braucht Kohle für den Lotterieschein.“ Lou steckt zwar mächtig in der Klemme, gehört jedoch zu den Menschen, die gerade in größter Bedrängnis zur Hochform auflaufen.

 

Tagsüber büffelt der Arbeitslose in einem Onlinewirtschaftskurs, abends streift er durch die Straßen von Los Angeles und hält sich mit Diebstählen über Wasser. Als er eines Nachts ein Kamerateam beobachtet, das einen spektakulären Autounfall für die Lokalnachrichten eines TV-Senders filmt, kommt Lou auf die Idee, selbst ins Mediengeschäft einzusteigen. Er klaut ein teures Rennrad, tauscht es beim Pfandleiher gegen eine Kamera und heftet sich an die Fersen des Skandalreporters Joe Loder (Bill Paxton). Der liefert Lou widerwillig erste Tipps für’s schmutzige Handwerk.

Lou erweist sich als höchst aufgeweckt, extrem anpassungsfähig und vor allem völlig skrupellos. Seine ersten Aufnahmen treffen den Geschmack der Nachrichtenproduzentin Nina Romina (Rene Russo), die wie alle unter Quotendruck steht. Im Sender gilt nämlich: Je blutiger und brutaler die Reportage, desto besser. Quereinsteiger Lou ist bereit, zu liefern.

Den gewitzten Antihelden spielt Jake Gyllenhaal

Nightcrawler“, die erste Regiearbeit des Drehbuchautors Dan Gilroy („Das Bourne-Vermächtnis“), erzählt eine uramerikanische Erfolgsgeschichte – und ist dabei mindestens so gallig in seiner Beschreibung wie „Dein Leben in meiner Hand“ (1957), im Original „The sweet Smell of Success“ von Alexander Mackendrick. Doch der Titel des Films ist zweideutig. „Nightcrawler“ bedeutet eben nicht nur Nachtschwärmer, sondern auch „Regenwurm“ und tatsächlich kriecht und schlängelt sich Lou Bloom, von der Gesellschaft ignoriert, eher zum Erfolg, anstatt aufrecht seine Position im Leben zu behaupten.

Jake Gyllenhaal spielt diesen schmierigen, gewitzten Antihelden atemberaubend. Lous Gesicht ist ausgezehrt, der Blick mal starrend, mal unruhig, der Gang mechanisch, die Stimme im Original meist leise, beherrscht und monoton. Gyllenhaal, der zuletzt in den Filmen „Prisoners“ und „Enemy“ des Kanadiers Denis Villeneuve überzeugte, entstellt Bloom aber nicht zur Karikatur, sondern verhilft der Figur zu naturalistischer Glaubwürdigkeit.

Lou ist ein Chamäleon. Trotz seiner schäbigen Klamotten und fettigen Haare nimmt er Menschen für sich ein. Durch ein Zöpfchen am Hinterkopf und mithilfe zur Schau gestellter Selbstsicherheit verwandelt er sich für den Pfandleiher etwa in einen Hipster, der sein schickes Fahrrad tatsächlich gegen eine billige Kamera tauschen will. Auch die Produzentin Romina geht diesem Verführer auf den Leim.

Gilroy schlägt einen bissigen Erzählton an

Aus der zweckgebundenen Liaison der beiden Gierigen erwächst eine folgenschwere Abhängigkeit, was man als grimmigen Kommentar auf zwischenmenschliche Beziehungen in der modernen Arbeitswelt verstehen kann. Überhaupt schlägt Gilroy einen bissigen Erzählton an.

„Nightcrawler“ ist nicht nur eine treffende Mediensatire, sondern kritisiert die alte Doktrin des „American Way of Life“, der ein Höchstmaß an Eigeninitiative verlangt. Lous Aufstieg gelingt vor allem deshalb, weil die Spielregeln in seinem Umfeld extrem dehnbar sind. Eine positive Gegenfigur zu Lou Bloom entwickelt Gilroy nicht und verweigert dem Zuschauer die Möglichkeit, zum charismatischen Fiesling Abstand zu halten.


Dessen Leben schildert Gilroy aber derartig packend, dass man die sichere Distanz gerne aufgibt. Die Kamera von Robert Elswit liefert elegische Nachtaufnahmen von L.A. und lehnt sich in deren Stimmung stark an amerikanische Krimis der vierziger und fünfziger Jahre an. Stilistisch werden die eleganten Straßenansichten dann von Lous rohen Handkamerabildern gebrochen, die hässliche Seiten der Metropole zeigen. Der Videogeier Lou Bloom hält drauf, wenn Menschen rauben, morden und sterben. Mitgefühl empfindet er für die Opfer von Verbrechen in keiner Sekunde.

Trotz seiner pessimistischen Haltung reizt der Film die Gewaltexzesse auf der Bildebene aber nicht aus. Stattdessen überzeugt Gilroys Drehbuch durch überraschende dramaturgische Wendungen, die die Handlung in Gang halten, gleichzeitig aber nachvollziehbar sind.

Genauso sind auch die zeitkritischen Aspekte in „Nightcrawler“ über die nationalen Grenzen der USA hinweg verständlich. Auch in Deutschland bestimmt ein ständig zunehmender Quotendruck die Entwicklungen in der Medienbranche. Trotzdem boomen noch immer all jene Studiengänge, die „irgendwas mit Medien“ zu tun haben. Gilroys Einblicke in diesen Arbeitsmarkt unter verschärften Bedingungen lehren uns auf beeindruckende Weise das Fürchten.