Philomena (Judi Dench) gehört zu jenen irischen Frauen, denen Nonnen einst ein uneheliches Kind wegnahmen. Nun, im Alter, will sie ihren Sohn wiederfinden. Dabei muss sie sich in Stephen Frears’ im besten Sinne gefühlvollen Film auch gegen ihren Helfer, einen Journalisten, wehren.

Stuttgart - Philomena Lee ist eine einfache ältere Dame, die man leicht übersehen und noch leichter aufs Korn nehmen könnte. Gute Güte, diese aus Irland stammende Philomena liest am liebsten Heftchenromane, Adels-, Arzt- und Pferdezüchterschmonzes, über den sie dann auch noch begeistert redet, als sei sie gerade von einem großen Werk der Weltliteratur innerlich aufgewühlt worden. Die monotonsten Standardsituationen solcher Schnulzen lobt sie gerne mit dem entzückten Ausruf: „Das hätte ich nie kommen sehen!“ Man muss kein arroganter Journalistenschnösel sein, um Philomena für ein schlichtes Gemüt zu halten, mit dem zu reden sich nicht lohnt.

 

Der von Steve Coogan gespielte Martin Sixsmith aber, mit dem Stephen Frears’ „Philomena“ seine Titelheldin zusammenspannt, ist ein arroganter Journalistenschnösel. Als der Film beginnt, hat Sixsmith gerade seinen Job als Pressesprecher eines Labour-Ministers verloren – das teils von Coogan geschriebene Drehbuch hält sich da an die Fakten eines realen Falls. Nach diversen Vertuschungsskandalen hat man Sixsmith, der intern zu dezenterem Umgang mit der Unwahrheit mahnte, als Sündenbock gefeuert. Nun bleiben viele Türen geschlossen, die der zuvor Umschmeichelte für offen hielt. Er findet keinen Einstieg in den hochrangigen Journalismus, und er geht mit größtem Widerwillen an eine Human-Interest-Geschichte über Philomena (Judi Dench) heran, für die es wenigstens Abnehmer gibt.

Kinder als beschlagnahmtes Vieh

All das ist wichtig, obwohl es gar nicht das ist, worum es in „Philomena“ eigentlich geht. Die Titelheldin bekennt sich nämlich spät zu einem Geheimnis ihrer Jugend. Philomena gehörte zu jenen ledigen Frauen, die während einer unehelichen Schwangerschaft von der eigenen Familie in einen Konvent gezwungen wurde. In der verbohrten Variante des Katholizismus galt dieser Knastersatz als Chance zur Einkehr und zur Buße, bot aber auch den schönen Vorteil, dass niemand draußen das Vorhandensein des Kindes überhaupt zur Kenntnis nehmen musste.

Die im Konvent aufwachsenden Kinder wurden von den Nonnen wie beschlagnahmtes Vieh betrachtet, als Sacheigentum der Kirche. Unter den Augen der zur Zwangsarbeit verdonnerten Mütter wurden die Kleinen zur Adoption ins Ausland frei gegeben.

Die Aufarbeitung dieser skandalösen Verhältnisse und die inhumane Obstruktionspolitik von Christi Nachfolgerinnen auf Erden, die logen, intrigierten und Unterlagen vernichteten, um jeden späten Kontakt zwischen den einst Auseinandergerissenen zu verhindern, haben die Kirche nicht nur in Irland viel Ansehen gekostet. Fürs Kino wurde der Komplex bereits 2002 von Peter Mullan in dem sehr sehenswerten und düsteren Spielfilm „Die unbarmherzigen Schwestern“ aufgearbeitet, der auch in Deutschland auf die Leinwand kam und als DVD erhältlich ist.

Kampf gegen den Helfer

Der 1941 geborene Brite Stephen Frears („Mein wunderbarer Waschsalon“, „Gefährliche Liebschaften“, „High Fidelity“) geht das Thema ganz anders an, weicher, sentimentaler, mit der Balance von harschen Rückblenden und einer sehr viel lichter und klarer wirkenden Gegenwart. Aber nie wird das zur tränenseligen Schnulze. Das Gefühlige ist das getreue Abbild des Innenlebens einer Frau, die nun, wo ihr nicht mehr viel Zeit bleibt, dringlicher als je erfahren möchte, was aus ihrem Sohn geworden ist.

Damit Philomena nicht nur hilfloses Opfer ist, zeigen Frears und Coogan uns ihren Selbstbehauptungskampf gegen ihren Helfer Sixsmith. Der will mit ihr erst nicht viel zu tun haben, eine rasche Geschichte aus ihr herausholen. Dann, als er merkt, dass eine längere Recherche und eine prestigeträchtige Enthüllungsreportage möglich sind, versucht er, Philomena als Ressource zu nutzen. Er braucht lange, sie als Menschen zu akzeptieren und verstehen. Aber, da wird Frears ganz altmodisch, solch eine Läuterung ist hier noch möglich.

Das taugt auch ohne Oscars

Mit Judi Dench hat Frears 2005 „Lady Henderson präsentiert“ gedreht, und man merkt, dass die beiden einen Draht zueinander haben. Dench läuft zu ganz großer Form auf, sie spielt das Beschränkte an Philomena, ohne sie herabzuwürdigen, und das Resolute und Couragierte an ihr, ohne sie zu verklären. Dench ist als beste Hauptdarstellerin für den Oscar nominiert, „Philomena“ steht als bester Film im Rennen und ist in den Kategorien „Bestes Drehbuch nach Vorlage“ und „Beste Originalfilmmusik“ nominiert.

Um die wahren Champions herrscht seit Wochen zwar ganz anderer Wirbel, aber auch für diesen leisen Film gilt die schlichte Empfehlung, an der keine Oscarentscheidung etwas ändern kann: Man sollte ihn unbedingt gesehen haben.

Philomena. Großbritannien 2013. Regie: StephenFrears. Mit Judi Dench, Steve Coogan, Sophie Kennedy Clark, Ruth McCabe. 98 Minuten. Ab 6 Jahren.