Er spielt zwar in Indien, ist aber kein Bollywood-Kitschmusical: Ritesh Batras Film erzählt bittersüß von einer schwierigen Liebe.

Stuttgart - Der schweigsame Angestellte Mister Fernandes (Irrfan Khan) hat 35 Jahre lang in einem Großraumbüro in Mumbai gearbeitet, er ist ein einsamer und mürrischer Witwer, der keine Lust hat, seinen eifrigen jungen Nachfolger anzulernen. Auch den spielenden Kindern vor seinem Haus gibt er den Ball nicht zurück, der auf sein Grundstück gefallen ist, manchmal aber schaut er abends von seiner Terrasse aus mit melancholischem Blick dem Treiben der Großfamilie in der Nachbarwohnung zu. „Die meisten Menschen führen ein Leben in stiller Verzweiflung“, so schrieb der US-Amerikaner Henry David Thoreau einmal, und dieser Satz trifft geradezu exemplarisch auf Mister Fernandes zu.Die Botschaften von Saajan verändern Ilas (Nimrat Kaur) Leben merklich.

 

Eines Tages aber, als Mister Fernandes wieder mal allein am Kantinentisch sitzt, holt ihn etwas aus seiner resignierten Lethargie. Das in Aluminiumschälchen gelieferte Essen schmeckt anders, ja, es schmeckt viel, viel besser als sonst. Ein seltener Fehler ist passiert im System der Dabbawallas, die unzählige Lunchboxen durch die indische Metropole bewegen. Dieses Essen war nämlich nicht für ihn bestimmt, sondern für den Mann von Ila (Nimrat Kaur). Sie will ihre Ehe retten, hat deshalb etwas Besonderes gekocht und ist nun enttäuscht, als ihr Mann abends kommentarlos heimkehrt und seine Frau wie immer ignoriert. Mister Fernandes aber genießt nicht nur, er legt den leeren Schälchen eine Nachricht bei. So entspinnt sich ein Briefwechsel zwischen einem Mann und einer Frau, die sich noch nie gesehen haben, von denen der Zuschauer aber weiß, dass sie zueinanderpassen würden.

Sanfte Komik und privates Glück

Ritesh Batras „Lunchbox“ ist ein Film aus Indien, aber kein Bollywoodfilm. Die aus der unteren Mittelschicht stammenden Protagonisten hören vielleicht mal die einschlägige Musik, sie selber aber agieren in einem bittersüßen Stück klassischen Erzählkinos, dessen Wurzeln eher im Westen denn im Osten liegen. Ein bisschen sentimental ist diese Geschichte, fällt aber nie ab ins triefend Gefühlige, und auch von einer sanften Komik ist sie durchzogen. Man könnte diese Zurückhaltung auch kritisieren, in der Literatur reüssieren schließlich gerade kraftstrotzende Romane wie Aravind Adigas „Der Weiße Tiger“ oder Mohsin Hamids „So wirst du stinkreich im boomenden Asien“, die auch soziologisch-politische Gesellschaftsporträts liefern.

„Lunchbox“ dagegen zieht sich eher zusammen, zeigt lieber kleine Verweigerungen denn große Revolten. Dieser Film setzt auf das private Glück, das für ihn nur im Rückzug respektive im Austritt aus dem System zu haben ist. „Der falsche Zug fährt manchmal in den richtigen Bahnhof“, so kommentiert Mister Fernandes’ Nachfolger den letztlich zielführenden Irrtum der Dabbawallas. Dieser kleine Mann, der als Waise aufwuchs und lange Zeit nirgends richtig angenommen wurde, wird nicht nur zu Mister Fernandes’ Freund, er bekommt in diesem auf stille Weise bewegenden Film auch seine eigene Geschichte.

Lunchbox. Indien, Deutschland, Frankreich, 2013. Regie: Ritesh Batra. Mit Irrfan Khan, Nimrat Kaur. 105 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.