Wieder mal legt sich Roland Emmerich, der Schwabe in Hollywood, mit dem Amtssitz des US-Präsidenten an. Diesmal lässt er das Weiße Haus nicht wie in „Independence Day“ von Aliens, sondern von Putschisten zerlegen.

Stuttgart - Ein Mann wird an dem gemessen, was er zerstören kann, nicht nur in Kreisen der Fremdenlegionäre und Finanzheuschrecken, sondern auch in Hollywood. So hat sich der Schwabe Roland Emmerich 1996 in Hollywood Respekt verschafft: er hat in „Independence Day“ das Weiße Haus die Luft gejagt.

 

Auch in seinem neuen Film „White House down“ setzt er dieser emotional aufgeladenen Zentralimmobilie der Supermacht heftig zu. Eine schwer bewaffnete Truppe von Terroristen, Politgangstern, Putschisten – ihre Motive sind zunächst völlig unklar – versucht, den afroamerikanischen Präsidenten Sawyer (Jamie Foxx) als Geisel zu nehmen. Diesmal verwandelt sich das Weiße Haus nicht mit einem einzigen Rums aus der Strahlenkanone eines Raumschiffs komplett in Kleinholz, es wird Raum um Raum zerlegt.

Ein Kopfschuss für Washington

Ein Fremdenführer, der mit seiner Touristengruppe zum Faustpfand der Terroristen wird, bittet den rüden Haufen aus Ex-Elitesoldaten und Rednecks um Rücksichtnahme auf die vielen Kunstschätze. Die Rabiatoren, die zuvor schon Gilbert Stuarts Porträt von George Washington vorsätzlich einen Kopfschuss verpasst haben, zerteppern daraufhin vorsätzlich weitere Kostbarkeiten. Mit anderen Worten: 1996 schien eine schmachvolle Niederlage Amerikas nur denkbar durch den Überraschungsangriff eines überlegenen Gegners. Nun wird– wenn auch in rasantem Zeitraffertempo – eine schrittweise Aushöhlung von innen vorgeführt.

Es gibt in „White House down“ einen klassischen starken Mann, den von Channing Tatum gespielten Cale. Der träumt als Sicherheitsmann im Capitol davon, zur Personenschützergarde des Präsidenten zu gehören. Cale befindet sich mit seiner Tochter Emily (Joey King) während des Überfalls auf Besuchertour im Weißen Haus, und weil er nicht im ersten Ansturm wie alle regulären Sicherheitskräfte niedergemetzelt oder wie die Touristen als Geisel genommen wird, haben die Bösen ein Problem. Cale führt nach dem Muster der „Stirb langsam“-Filme den Kampf gegen die Terroristen aus den Verstecken des eroberten Weißen Hauses heraus: Counter Terrorism in Reinkultur.

Das Böse kommt von innen

Cale könnte schnell zum Inbegriff eines intakten Amerika werden, das sich immer noch zu wehren versteht. Aber so einfach legt Emmerich seine Filme nicht mehr an. Der erfolgreiche Arbeitsmigrant, der Kino anfangs als reine Reizmaschine betrachtete, hat längst begriffen, dass Filme immer gesellschaftlich Position beziehen und Botschaften enthalten, ob ein Regisseur das beabsichtigt oder nicht. Also fasst er nun offene Aussagen und verborgene Subtexte genauer als früher ins Auge. In „White House down“ entpuppt sich der Angriff aufs Weiße Haus als Komplott konservativer Politiker und ihrer Hintermänner aus dem militärisch-industriellen Komplex.

Playmobil-Kino mit Charme

Diese liberale Agenda von „White House down“ ist in den USA von Republikanern getadelt worden. Das dürfte aber nicht der Hauptgrund gewesen, warum der Film in den USA unter den Erwartungen lief. Bislang hat er dort 73 Millionen Dollar Umsatz gemacht. Das liegt wohl daran, dass Antoine Fuquas „Olympus has fallen“ mit einigen Wochen Startvorsprung fast die gleiche Geschichte erzählt und dabei mit erstaunlich wenig Grips und einem völligen Mangel an Selbstironie enttäuscht hatte.

„White House down“ ist der um Klassen bessere Film, weil Emmerich und sein Drehbuchautor James Vanderbilt („Zodiac“, „The Amazing Spider-Man“) wissen, dass sie nicht mehr darauf setzen können, jede Demonstration der Verletzlichkeit des innersten Schutzzirkels der USA werde das Publikum automatisch in Bann schlagen. Emmerichs Angriff auf den Sitz der Macht Washington in „Independence Day“ war einst noch ein Tabubruch. Im Gefolge von 9/11 aber gehört die Verwandlung amerikanischer Städte in eine massiver Zerstörung ausgesetzte Heimatfront zum Kinoalltag.

Viel Augenzwinkern trotz Geballer

Und so hält Emmerich seinen Film nun mit mehr als einem Augenzwinkern beständig in Bewegung und über weite Strecken pathosfrei. Dies ist von Realismusanspruch weit entferntes Playmobilfiguren-Kino, in dem die Männeken flugs von einem kniffligen Schusslinienaufbau in den nächsten geschoben werden. Aber obwohl Tatum immer wieder durch Schussgarben aus Automatikwaffen sprinten muss und so unbehelligt bleibt, als seien alle Schutzengel der nördlichen Halbkugel zum Geschossumlenken an seine Seite abkommandiert worden, wird dies kein Killerkino körperlicher Höchstleistungen und völlig hemmungsfreier Tötungsbereitschaft.

Kampfjets scheuen Kinder

Ganz anders als in den vielen Filmen mit dem Autor Dean Devlin kann Emmerich in „White House down“ den Figuren eine dünne, aber halbwegs charmante Charakterhülle geben, fließen die Dialoge, sitzen die Gags, können die Schauspieler atmen. Gegen Ende, wenn Tochter Emily die Flagge des Präsidenten auf dem Rasen des Weißen Hauses schwenkt, um anfliegende Kampfjets zum Abdrehen zu bringen, wird Emmerich richtig sülzig.

Aber dass amerikanische Piloten im Kampfeinsatz angesichts eines Kindes, das zum Kollateralschaden werden könnte, die Bombenklappen wieder schließen, das ist eine falsche Zusicherung, die der 1955 in Stuttgart geborene und in Sindelfingen aufgewachsene Emmerich den Amerikanern sichtlich geben wollte. Er möchte wohl mittlerweile, dass eine Nation sich an dem misst, was sie nicht zerstört.