Der schwedische Regisseur Roy Andersson teilt gern grundsätzliche Beobachtungen übers große Ganze mit seinem Publikum – auch in seinem aktuellen Film „Über die Unendlichkeit“.

Stuttgart - Ich habe meinen Glauben verloren, was soll ich nur tun?“, fragt der Priester, und der Therapeut antwortet: „Ich muss meinen Bus kriegen.“ Der kleine Feierabend ist wichtiger als eine verlorene Seele. Unaufgeregt und satirisch trocken bringt der schwedische Regisseur Roy Andersson (77) die Absurdität der menschlichen Existenz auf den Punkt. Seine episodisch angelegten Spielfilme, in denen sich Teilhandlungen manchmal kreuzen, sind immer beides: zum Brüllen komisch und zum Verzweifeln. Episoden sind viel gehaltvoller.

 

„Ich erzähle von der menschlichen Existenz in Fragmenten“, sagt Andersson im Interview. Die „Trilogie über das menschliche Wesen“, die mit „Songs from the second Floor“ (2000) begann, wollte er mit „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ (2014) abschließen – doch er hatte wohl noch mehr zu sagen: Sein jüngstes Werk „Über die Unendlichkeit“ gehört eindeutig mit in diese Reihe.

Ein vom Glauben abgefallener Priester

Den Priester heitern vor dem Gottesdienst auch große Mengen Messweins nicht mehr auf. Er trinkt hinter der Tür, durch deren Rahmen die Kirche zu sehen ist, in der vom Glauben beseelte Menschen tun, was er nicht mehr kann: leidenschaftlich beten. Bis auf eine einzige Szene verharrt die Kamera statisch. Sie ist eine stumme Beobachterin und zwingt den Zuschauern unbarmherzig Anderssons speziellen Blick auf. „Ich wähle die Kameraposition so aus, dass man das Gefühl bekommt, dass sie nirgends anders stehen könnte“, sagt er.

Eine Abfolge von Kunstfotografien sind Anderssons Bilder, und dass sie stets stimmig arrangiert wirken, hat seinen Grund: „Außendrehs funktionieren für mich nicht“, sagt der Regisseur. „Ich drehe nur im Studio und baue alle Kulissen selbst. Denn ich möchte Szenen erschaffen, die die Leute so noch nicht gesehen haben, und dazu brauche ich eine pure Umgebung – es sind Szenen aus dem Leben, aber entschlackt und auf eine sehr spezielle Art verdichtet.“

Ein hasserfüllter Mob

Skurrile, altbacken-gestrige Interieurs sind Anderssons Spezialität. Seine Akteure, fast immer etwas seltsame Durchschnittsbürger, aber exemplarische. „Ich hoffe, das macht meine Figuren universeller“, sagt der Regisseur. „Mit solchen Leuten zu arbeiten ist viel ehrlicher und bedeutungsvoller, existenzieller.“

„Was habe ich falsch gemacht?“, fragt der geschundene Mann mit der Dornenkrone auf dem Kopf und dem schweren Holzkreuz auf der Schulter, den ein wütender Mob mit Knüppeln und Peitschen durch eine zeitgenössische Stadt treibt. „Jesus könnte es heute genauso ergehen wie damals“, glaubt Roy Andersson. Die aus ihrem historischen Kontext gerissene Passionsgeschichte taugt auch als Sinnbild für den galligen Hass, den aufgeheizte Mobs zu allen Zeiten entwickeln können – jenen Hass, der sich derzeit ungehindert Bahn bricht in sogenannten sozialen Netzwerken, in denen Leute mobben, ausgrenzen, diffamieren – und in der Folge auch real morden wie in Hanau.

Drei tanzende Mädchen

Eine Frauenstimme moderiert Anderssons universelle filmische Miniaturen an: den Mann, der auf dem Markt eine Frau schlägt, den Patienten, der den Zahnarzt in den Wahnsinn treibt, weil er keine Betäubungsspritze möchte. Dabei weiß Andersson ganz genau, was pralle Lebensfreude ist: Drei Mädchen beginnen vor einem Ausflugslokal zu tanzen zu einem schwedischen Schlager über drei Mädchen, die vor einem Ausflugslokal zu tanzen beginnen – eine großartig inszenierte Parallelität.

Und dann der Krieg, das zerstörte Köln, verlorene Seelen in den Lüften. „Zuerst wollte ich Dresden nachbauen, aber es war so stark zerstört und die Ruinen so uninteressant“, sagt Andersson. „In Köln stand immerhin noch der Dom und ich habe mich oft gefragt, ob die Bomber ihn aus historischen Gründen verschont haben. Der Zweite Weltkrieg und der Faschismus haben mich mein ganzes Leben lang umgetrieben, viele meiner Ideen kommen daher.“

Die bizarren, wunderbaren Filmbilder des Schweden zeigen vielschichtige Parabeln und sind so sonst nirgends zu sehen – es kann ein großer Genuss und Gewinn sein, sie zu dechiffrieren.