Stuttgart - And the Oscar goes to... the Europäische Filmförderung. Wer hätte gedacht, dass Hollywood mal so weit käme, just jenes filmpolitische Subventionsgewese mit Lob und Ehr zu überhäufen, das man in Amerika mit seinen freien, stets allein am Publikumsinteresse orientierten Medienprodukten eigentlich nur voller Verachtung betrachtet wie einen handzahm verzüchteten Hund? Aber genau das ist am Sonntagabend geschehen und steht nun in den Annalen der Filmgeschichte: Der „beste Film“ des Jahrgangs 2010 heißt „The King’s Speech“ und stammt aus Großbritannien, der „beste nichtenglischsprachige Film“ trägt den Titel „In einer besseren Welt“ und kommt aus Dänemark.
Natürlich ist Letzteres nur eine geringe Überraschung, denn die Kategorie des Auslandsfilms hat ja kein anderes Ziel, als den aus US-Sicht eigentlich völlig exotischen, künstlerisch aber eben doch potenten Kinoproduktionen aus fernen Welten ein Forum zu bieten. Die dänische Regisseurin Susanne Bier war nicht das erste Mal für einen Oscar nominiert. Ihre nun preisgekrönte Familiengeschichte „In einer besseren Welt“, die zwischen Skandinavien und Afrika spielt, wird sie endgültig auch für Aufträge aus Los Angeles empfehlen. Was aber die zypriotische EU-Kulturkommissarin Androulla Vassiliou nicht hinderte, in Brüsseler Jubel auszubrechen: „Was für eine große Nacht für unser Förderprogramm Media. Die Welt liebt unsere Filme.“
Jamás! Wobei im Zentrum solchen Jubels natürlich der britische Oscarhauptgewinner steht, „The King’s Speech“ von Tom Hooper über den stotternden König Georg VI. Die Mitglieder der Academy for Motion Picture Arts and Sciences erklärten ihn in ihrer bekanntlich geheimen Abstimmung nicht nur zum besten Film, sondern zeichneten auch noch seine Regie, sein Drehbuch und den besten Hauptdarsteller Colin Firth aus – mehr war schwer möglich. Dabei betrug sein Budget gerade mal elf Millionen Euro, ein für US-Verhältnisse allemal bescheidener Betrag, noch dazu überwiegend finanziert aus öffentlichen Filmfonds, vom TV-Sender BBC und der Staatslotterie. Mithin Filmförderung pur. Was es so zu sehen gibt? Im Kern ein ruhiges, sehr konservativ erzähltes Historienpsychodrama, indeed. „The King’s Speech“ wird darum wohl kaum als Schlüsselwerk in die Filmgeschichte eingehen. Aber es hat eine spannende Geschichte, eine ganze Riege hervorragender Darsteller, bietet starke Emotionen und eine politische Botschaft. Just so erzielt man auch in Popcorn-Amerika hohe Besucherzahlen.
Academy verteilt Preise für US-Produktionen betont unauffällig
Und die Academy machte vor so viel Leistung prompt den tieferen Diener als vor der zuvor weitaus höher gehandelten Gesellschaftsanalyse-Eigenleistung: „The social Network“, die anspruchsvolle Facebook-Studie von David Fincher, wurde mit drei dann letztlich nicht ganz so wichtigen Oscars mehr oder weniger abgespeist – für das beste adaptierte Drehbuch, den besten Schnitt und die beste Filmmusik. Kein Wunder, dass Fincher die ganze Oscarnacht über ausgesprochen griesgrämig in die Kamera starrte, wenn diese denn ausnahmsweise mal auf ihn gerichtet war.
Nein, was ihre eigene US-Produktion angeht, verteilte die Academy die diesjährigen Oscars betont unauffällig – kein Vergleich zum Vorjahr, als so demonstrativ der Antikriegsfilm „Tödliches Kommando“ von Kathryn Bigelow den Vorzug bekam vor James Camerons „Avatar“. Zwei Schauspieler-Oscars für David O. Russells Boxdrama „The Fighter“, Kostüm- und Kulissenruhm für Tim Burtons ansonsten eben glanzlose „Alice im Wunderland“, die „beste Kamera“ und drei Technik-Oscars für Christopher Nolans „Inception“, der Trickfilmpreis für „Toy Story“ und Natalie Portman als „beste weibliche Hauptrolle“ in „Black Swan“: man hätte wirklich kein von den internationalen Boulevardmedien bemühtes schielendes Oppossum namens Heidi sein müssen, um das alles vorab so Pi mal Daumen für gut möglich zu halten. Alsp sprach Hollywood: Den großen Film haben wir selbst diesmal nicht zu bieten. Darum der verklärte Blick in die Alte Welt (wenn auch leider ohne Preisfolgen für den Ludwigsburger „Grüffelo“-Zeichentrick oder den Komponisten Hans Zimmer). Mit solch einer breiten, eher unaufgeregten Oscarverteilung könnte sich der langjährige Beobachter übrigens durchaus zufriedengeben.
Wenn nicht die ganze Oscarnacht in diesem Jahr entschieden unter allzu großer Unaufgeregtheit litt. Ein Problem der Academy wächst sich langsam gefährlich aus: Der Oscar ist weiterhin der bekannteste Filmpreis der Welt mit dem höchsten Prestige, aber die TV-Einschaltquoten in Amerika neigen zum Abbröckeln. Deswegen soll die alljährliche rund dreistündige Gala auf Geheiß des Fernsehsenders ABC immer straffer, schneller, vor allem jünger und hipper werden. Dabei hat sie leider auch viel von ihrem Charme und vor allem an Biss verloren.
Wird die Oscarnacht also peu à peu zum profillosen Showevent?
Früher wurden rede- und darstellungsgewandte Komiker oder Talkshowmaster als „Hosts“, also Gastgeber des Abends, verpflichtet. Gerade die erste Viertelstunde der Oscarnacht mit der Begrüßungs-Conférence geriet so häufig zum satirischen Rundumschlag gegen Hollywood, Amerika und den Rest der Welt. Diesmal aber wurden die beiden Schauspieler Anne Hathaway und James Franco als Hosts bemüht. Beide sind zweifellos lecker anzuschauen, waren ansonsten aber erschreckend brav und überfordert und scheiterten oft schon am schlichten Timing ihrer vorproduzierten Telepromptergags.
Früher boten zudem gerade die Dankesreden einigen Preisträgern Gelegenheit zu politischen Unkorrektheiten. Inzwischen halten sich beinahe alle brav an die knappen Zeitvorgaben des Produzenten und spulen ihre Dankadressen an Vater, Mutter, Kind und Kollegen ab. Die einzige rühmlich Ausnahme machte am Sonntag der US-Dokumentarfilmer Charles Ferguson („Inside Job“), der nach Oscarentgegennahme den seiner Meinung nach offenkundigen Skandal anprangerte, dass bis heute kein einziger Verantwortlicher der Milliardenfinanzkrise wegen Betrugs im Gefängnis einsitze. Prompt gab es im Saal Beifall, der mal nicht vom ABC-Tonband eingespielt werden musste.
Wird die Oscarnacht also peu à peu zum profillosen Showevent? Womöglich bedarf es ja einfach nur einiger das Publikum und die Kritik wieder stärker polarisierender Filme, um schon nächstes Jahr mehr Schwung in die Bude; Pardon: ins Kodak Theatre in Los Angeles zu bekommen. „True Grit“, der formal zweifellos exzellente Western der fabelhaften Coen-Brüder, bot diesbezüglich offenbar zu wenig Streit- und Gesprächsstoff – und ging dann prompt trotz seiner fabelhaften zehn Nominierungen zum Schluss ganz leer aus.
Eine These dazu? Während Hollywood in der Oscarnacht zu Zeiten eines George W. Bush das Polit-Establishment trefflich pikste, hat es zur Zeit von Obama Angst, irgendetwas falsch zu machen. Letzteres kann ja auch in der Politik ein Fehler sein. In der Kunst aber ist es das stets.