U-Boot-Krieg, Hochstapelei in Baden und schneller Sex: Die diesjährige Filmschau Baden-Württemberg hatte viele Themen zu bieten. Nur der Spielfilm scheint zur Problemzone zu werden.

Stuttgart - Es ist, als wäre man selbst an Bord des deutschen U-Bootes unter Feindbeschuss – da gleich zu Beginn der Serie „Das Boot“ versenkt wird. Nur einmal war man so nah dran an dieser speziellen Weltkriegssituation: 1981 in Wolfgang Petersens Spielfilm „Das Boot“. Der hat als Inspiration für die Serie gedient, die der Pay-TV-Sender Sky und die Bavaria Filmproduktion produziert haben, und die mächtigen Bilder bestehen bei einer Vorführung im Rahmen der Filmschau Baden-Württemberg im Stuttgarter Metropol-Kino auf der großen Leinwand.

 

Zwei Handlungsstränge laufen parallel: Auf dem Boot herrscht explosive Stimmung, weil der Sohn eines Kriegshelden einen glühenden Nazi als Kommandanten ausgestochen hat. Im französischen La Rochelle hat unterdessen ein Matrose seine stramm linientreue Schwester in den Widerstand verstrickt, bevor er in See gestochen ist. Ganz großes Kino ist das, pardon, große Serie.

Das U-Boot wäre vor Drehbeginn beinahe gesunken

Zwei derer, die dafür verantwortlich sind, stehen bei der Filmschau Rede und Antwort: die Produzenten Oliver Vogel (Bavaria) und Marcus Ammon (Sky). Wie groß der Druck gewesen sei dieser achtteiligen 25-Millionen-Euro-Produktion, möchte Gunther Reinhardt wissen, Kulturredakteur unserer Zeitung. Der im Römerkastell ansässige Vogel, der der hiesigen Branche mit den Serien „Soko Stuttgart“ und „Dr. Klein“ wichtige Impulse gegeben hat, antwortet mit einem Bergsteigervergleich: Wenn man in der Wand hänge dürfe man sich „nicht vorstellen, wie es wäre, unten aufzuschlagen“. Er gibt allerdings zu, Krisen erlebt zu haben und erzählt eine Episode aus Malta, wo die fahrbare U-Boot-Außenhülle hergerichtet wurde: „Ich bekam einen Anruf: Das Boot sinkt, wenn du es noch sehen möchtest, musst du dich beeilen – da wäre alles beinahe vorbei gewesen.“ Beinahe, denn binnen 24 Stunden gelang es einem Team von Ingenieuren, das Wasserfahrzeug wieder seetüchtig zu machen.

Ammon berichtet von seiner Mission, Sky vom reinen Sportsender zu einem Unterhaltungssender umzubauen. Er war schon an der Serie „Babylon Berlin“ beteiligt, einer Koproduktion mit der ARD, die sich trotz mancher Kritik auch für den öffentlich-rechtlichen Sender gelohnt hat: Der spektakuläre Krimi in der Hauptstadt der 1920er Jahre ist das erste größere Fernseh-Lagerfeuer seit langem. „Das Boot“ hat Sky nun ohne öffentlich-rechtliche Beteiligung mit der Bavaria produziert, und ein so stringentes Drama mit so brillanten Bildern gab es kein zweites Mal auf dieser Filmschau – jedenfalls in keinem einzigen Spielfilm, den die Konkurrenz durch Qualitätsserien zunehmend in eine Krise stürzt. „Ich gebe zu, ich gehe auch nicht mehr ins Kino“, sagt Vogel mit Verweis auf seine Home-Anlage. Ammon ergänzt: „Es würde helfen, wenn deutsche Filmemacher mehr darauf achten würden, was das Publikum möchte, anstatt sich selbst zu verwirklichen.“ Das sitzt.

Ein Stuttgarter „Tatort“ als bester Film – echt jetzt?

Tatsächlich konnte die Filmschau diesmal nur wenige Spielfilme aufbieten. Felix Hassenfratz hat mit „Verlorene“ ein düsteres süddeutsches Provinzdrama um zwei Schwestern gedreht zwischen Kirchenorgel, Machotum, Zimmermannshandwerk und Inzest. Maria Dragus spricht darin Mundart wie auch Hans-Jochen Wagner in der Komödie „Big Manni“. Der gebürtige Tübinger spielt den Hochstapler Manfred, der mit Erdbohrmaschinen, die gar nicht existieren, Banken und Politik um Millionen D-Mark erleichtert. Die Satire zum realen Flowtex-Skandal der 90er ist leicht, Wagner eine Wucht. „Mir war das ein Begriff, aber ich kannte die genauen Hintergründe nicht, wie raffiniert das war“, sagt er am Samstag vor der Premiere im Metropol-Kino. „Es ist schön, mal sowas spielen zu dürfen, denn oft muss man ja so angepasstes Zeug machen.“ Wegen des Quotendrucks und der Angst der Sender, die Leute nicht mehr zu erreichen, „fehlt bei Spielfilmprojekten manchmal der Mut – ich habe das Gefühl, es ist schwieriger geworden“.

Tatsächlich wurde als bester Film am Sonntag eine Folge des Stuttgarter „Tatorts“ ausgezeichnet. Nichts dagegen – aber sollte ein Filmstandort nicht Originelleres zu bieten haben? Auch ein Blick auf den Nachwuchs gibt zu denken. Beim Jugendfilmpreis waren früher charmante Werke zu sehen, in denen Jugendliche sich in ihrer Lebenswelt mit ihren Problemen auseinandersetzten; nun imitieren sie große Vorbilder. Wie Bewerbungsfilme für die Filmakademie wirken der Krimi „Mortis Law“, in dem Kugeln im Flug verharren, oder das mit viel Geballer durchsetzte Kriegs-Drama „Zavala“. Mit einer Pointe wartet der postapokalyptische Gewinnerfilm „Keep the Change“ auf: Eine junge Frau mit Gasmaske findet in den Ruinen eine Konservendose und hinterlässt dafür einen Geldschein – auf dem das Konterfei des aktuellen US-Präsidenten prangt.

Dominas führen Männer in Hundekostümen aus

Keine Qualitätssorgen hat dank vieler Idealisten der chronisch unterfinanzierte Dokumentarfilm. Der Gewinner Constantin Hatz, ein Absolvent der Ludwigsburger Filmakademie, blickt in „Stammtisch“ in die Abgründe der deutschen Seele wie Ulrich Seidl es „Im Keller“ (2014) mit der österreichischen getan hat. Hatz zeigt Jäger, Schützen und Demokratiefeinde, verzweifelte Kleintierzüchter ohne Nachfolger, schlagende Verbindungsburschen und Royalisten, die Wilhelm II. nachtrauern, obwohl dieser den Ersten Weltkrieg mit zu verantworten hat. Er zeigt Dominas, die Männer in Hundekostümen über die Wiese treiben und Swinger, die im Club über Vertrauen referieren. „Ich bin nicht so ne Kuschelmaus“, sagt eine Frau, ihr Ziel sei „einfach reiner, kurzer, geiler Sex“. Das sind die wahren Parallelgesellschaften – touché!

Puppentrick fürs Herz bietet Mareika Greiss von der Stuttgarter Hochschule der Medien: In „Liz und Evie“ freundet sich eine junge Frau mit einem rätselhaften Mädchen an, das Stopptrick-Szenario ist liebevoll analog gestaltet. Auch starke Animation gedeiht also weiterhin im Land – während die einstige Königsdisziplin Spielfilm an Boden zu verlieren droht.